Premier will es EU-Gegnern und -Anhängern recht machen Camerons europäische Gratwanderung

MANCHESTER · Einen Moment lang habe der britische Premierminister David Cameron tatsächlich gedacht, alles sei ein Traum, erinnerte er sich an den Morgen nach der Parlamentswahl im Mai. Die Konservativen saßen wieder mit einer absoluten Mehrheit im Unterhaus. Einige für ihn politische Störenfriede traten im Zuge der Wahlergebnisse zurück.

 Großbritanniens Premier David Cameron auf dem Tory-Parteitag.

Großbritanniens Premier David Cameron auf dem Tory-Parteitag.

Foto: DPA

Und obwohl Cameron bei seiner gestrigen Rede zum Abschluss des Parteitags der Tories in Manchester mit Ovationen empfangen wurde, wie in einem Traum dürfte er sich fünf Monate danach nicht mehr fühlen. Zu groß sind die Kontroversen innerhalb der konservativen Partei, wenn es zu Reizthemen wie Einwanderung oder EU kommt. Vor allem Europakritiker in den eigenen Reihen setzen dem Premier zu, der die Briten bis spätestens 2017 in einem Referendum darüber abstimmen lassen will, ob das Land den Verbund verlassen oder ihm weiter angehören soll.

Bis es soweit ist, will der Regierungschef Zugeständnisse in Brüssel durchsetzen. Es geht um bislang schwammige Forderungen, unter anderem nach weniger Bürokratie, mehr nationaler Eigenständigkeit und einer Beschränkung von Sozialhilfeleistungen für Einwanderer. Konkret wurde er noch nicht, die Verhandlungen über Reformen laufen.

Auch das Treffen in Manchester wurde von der schwierigen Debatte über das Referendum bestimmt und stellte Cameron vor die Herausforderung, sowohl Befürworter als auch Gegner der EU zufriedenzustellen und die weitere Spaltung der Partei in der EU-Frage zu verhindern. Eine flammende Rede pro Europa forderten Fürsprecher eines Verbleibs.

Doch die bekamen sie nicht. Es war vielmehr ein Versuch der Gratwanderung zwischen dem rechten Flügel und den Befürwortern eines EU-Verbleibs: "Glaubt mir, ich habe keine romantische Beziehung zur EU und ihren Institutionen", sagte Cameron. Alle wüssten, so Cameron, was in der Union schieflaufe. Sie sei zu groß, zu rechthaberisch und mische sich zu sehr in nationale Belange ein.

Er gab sich kämpferisch: "Wir drücken uns nicht vor Auseinandersetzungen, wir bleiben dran, wir lösen Probleme." Warum er für die Mitgliedschaft kämpfen will? "Die EU ist der größte Binnenmarkt der Welt." Es zählten nur zwei Dinge für ihn: Großbritanniens Wohlstand und Großbritanniens Einfluss. Und so betonte Cameron, das Königreich sei nicht interessiert an einer "ever closer union", einer stärkeren europäischen Integration, vor der sich zahlreiche erklärte Insulaner fürchten.

Derweil wird die Diskussion um Immigration auf der Insel weiter hitzig geführt. Innenministerin Theresa May trat auf dem Parteitag als Hardlinerin auf. "Je weniger Menschen zu Unrecht Asyl beantragen, desto großzügiger können wir den bedürftigsten Menschen an den gefährlichsten Orten der Welt helfen", sagte sie und sprach sich dafür aus, dass Flüchtlinge, die durch sichere Länder gereist seien, es schwerer haben sollten, ein Bleiberecht zu erhalten.

Sie wählte scharfe Worte, die bei einigen europäischen Partnern für Irritationen gesorgt haben dürften. An einer gemeinsamen EU-Asylpolitik werde Großbritannien sich "in tausend Jahren nicht" beteiligen, so May. Zu viel Einwanderung mache es unmöglich, eine "in sich geschlossene Gesellschaft" aufzubauen, lasse Löhne sinken und mache Menschen arbeitslos. Der "Guardian" befand, Mays Rede markiere "einen neuen Tiefpunkt in der britischen Einwanderungspolitik". Selbst der konservative "Telegraph" nannte ihre Ansprache "schrecklich, irreführend, zynisch und unverantwortlich". Das Königreich ist vom Flüchtlingsansturm bislang wenig betroffen. In den zwölf Monaten bis Juli 2015 haben knapp 26 000 Menschen auf der Insel Asyl beantragt.

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