Rückblick auf vor 40 Jahren Bonner übernimmt "höchst unfreiwillig [...] die Rolle der Kassandra vor dem Fall Trojas"

Vor 40 Jahren: Ein Bonner Klimaforscher übernimmt "höchst unfreiwillig [...] die Rolle der Kassandra vor dem Fall Trojas"

 Hermann Flohn

Hermann Flohn

Als alle Welt die leichte Abkühlungsphase auf der Erde zwischen 1945 und 1980 zum Anlass nahm, die Gefahren des zusätzlichen, durch den Menschen verursachten Treibhauseffekts auszublenden, griff Professor Hermann Flohn (1912-1997) im Jahr 1975, damals Direktor des Meteorologischen Instituts Bonn, zur Feder. In einem Grundsatz-artikel für "Bild der Wissenschaft" sagte er voraus, dass die Abkühlung Ende der 1980er Jahre von den Wirkungen des Treibhauseffekts überrollt werden würde. Der Artikel trug den Untertitel "Regieanweisungen eines Wissenschaftlers". In der Enzyklopädie der Welt-

Klimatologie (2005) wird Flohn als "einer der weltweit größten Klimatologen" bezeichnet. In seinem Artikel warnte er, dass die Menschheit bald einen Energieumsatz in der Größenordnung natürlicher Klimaschwankungen erreiche: "Noch ist Zeit, vielleicht zehn oder 20 Jahre: Politische Entscheidungen dieser Größenordnung können nur - ohne Rücksichtnahme auf die Zeiteinheit der Wahlperiode - in internationaler Zusammenarbeit bewältigt werden. Solche Entscheidungen benötigen eine weitschauende und doch realistische Sicht, benötigen den Mut zur Unpopularität."

Zum Erkenntnisfortschritt bis 1975 schrieb er: "Der Einsatz physikalischer Messmethoden hat uns in dem letzten Jahrzehnt eine Fülle neuer Erkenntnisse geboten; manches scheinbar gesicherte Lehrbuchwissen ist auf dem Scherbenhaufen der von den Tatsachen widerlegten Ideen gelandet. Eine dieser Erkenntnisse ist der rasche Ablauf der Umstellungen von Eiszeit zu Warmzeit und umgekehrt. Diese Umschaltungen zwischen zwei Gleichgewichtszuständen gehen offenbar nicht in einer Zeitskala von Zehntausenden, sondern von einigen Hunderten von Jahren vor sich, und die entscheidenden Prozesse, die sich über Rückkopplungen wechselseitig verstärken, laufen möglicherweise sogar in weniger als 100 Jahren ab.

Beim Energieproblem plädiert der Wissenschaftler für die Atomkraft: "Mittelfristig stehen wir vor der Entscheidung zwischen fossiler und nuklearer Energie. Zweifellos darf man das Problem der Betriebssicherheit von Reaktoren oder der Verwahrung radioaktiven Materials weder übertreiben noch verharmlosen; politische Instabilitäten spielen hier eine wesentliche Rolle. Aus den obigen Darlegungen ergibt sich jedoch, dass auch die Verwendung fossiler Brennstoffe ein Risiko enthält, das nach Meinung führender Meteorologen und Ozeanographen langfristig noch höher ist, überhaupt nicht vergleichbar mit dem jedenfalls technologisch minimierbaren Risiko der Kernkraftwerke."

Die Vernachlässigung langfristiger Per-spektiven sei "ein schwerwiegender Vorwurf" gegenüber Politikern. Flohn gesteht: "Höchst unfreiwillig übernimmt hier der Klimatologe die undankbare Rolle der Kassandra vor dem Fall Trojas: Hätte man ihr geglaubt, dann wäre Troja zu retten gewesen. Unsere Generation trägt die Verantwortung für ein Weltproblem unserer Enkel - sehen wir zu, dass wir dieser Verantwortung gewachsen sind."

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