Mit dem Rücken zur Wand Athen wurstelt weiter

BRÜSSEL · Athen steht - wieder einmal - mit dem Rücken zur Wand. Zwar verlängerte die Brüsseler Kommission am Dienstag das Ultimatum, bis zu dem die Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras einen Katalog mit Reformversprechen vorlegen muss, bis Juni.

Aber der Druck wächst: Schließlich erwarten in den nächsten Tagen Millionen von hellenischen Beamten, Lehrern, Polizeibeamten und Richter ihr April-Gehalt. Außerdem stehen neue Fälligkeiten beim Schuldendienst an. Dass die Regierung inzwischen Staatsbetriebe per Gesetz zwingt, ihre Guthaben bei der Nationalbank zu führen, um sie dem Zugriff des Finanzministers auszusetzen, ist nur ein weiteres Zeichen für den Überlebenskampf.

Heute wird Tsipras am Rande des EU-Gipfels mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zusammentreffen. Morgen sitzen die Finanzminister der Union in Riga bei einem informellen Treffen zusammen. Ursprünglich war erwartet worden, dass dann die Reformliste abgehakt werden kann. Doch daraus wird wohl nichts, obwohl - so bestätigen Unterhändler in Brüssel - die Liste fertig ist. Bis auf einen Punkt: Es fehlt eine bindende Vereinbarung, die von der Vorgängerregierung zugesagten Umbauten von Rentensystem und Arbeitsmarkt fortzuführen. Tsipras will das Versprechen nicht abgeben.

So schießen in Brüssel derzeit diverse Szenarien ins Kraut - bis hin zum Grexit, dem mehr oder minder freiwilligen Austritt aus der Euro-Zone, von dem Athen aber nichts wissen will. Selbst bei der Europäischen Zentralbank (EZB) ist man sich darüber im Klaren, dass nicht einmal ein Zahlungsausfall des Landes zu einem Rückzug vom Euro führen würde - zumindest nicht, wenn Tsipras und sein Kabinett dies nicht wollen. Die europäischen Verträge lassen einen Rauswurf nicht zu, wie EZB-Vizepräsident Ribeiro Constancio erst in diesen Tagen bekräftigte. Mehr noch: Sollte Athen tatsächlich über einen Abschied aus der Euro-Zone nachdenken, so würde dies auch ein Ende der EU-Mitgliedschaft bedeuten - und somit den Verlust vieler Milliarden EU-Fördergelder jährlich.

Da andererseits ein Einlenken Tsipras' als unwahrscheinlich gilt, läuft es am Ende - so mutmaßen Diplomaten und Beobachter in Brüssel - am Ende eben doch wieder auf ein Weiterwursteln hinaus, da das gegenwärtige zweite Hilfspaket offiziell erst Anfang Juni ausläuft. Bis dahin könne sich, so heißt es, Athen irgendwie über Wasser halten.

Die Flirtversuche mit Russland und China passen ins Bild: Sie empören die Euro-Partner, sorgen zugleich für eine Kulisse der Erpressung, an deren Ende die Währungsunion eben doch wieder einknicken werde, argwöhnen Finanzmarktexperten. Mit anderen Worten: Tsipras kommt zwar ziemlich unvorbereitet und planlos rüber, verfolgt aber tatsächlich eine Strategie. Er will die noch ausstehenden Gelder auch ohne Reformzusagen einstreichen. Ausgerechnet der frühere Eurogruppen-Chef und heutige Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker liefert dem griechischen Premier dafür immer wieder genügend Anhaltspunkte. Schließlich wiederholte Juncker erst in dieser Woche wieder, ein Euro-Aus Griechenlands (Grexit) sei "zu 100 Prozent ausgeschlossen". In hellenischen Ohren klingt das nach einem Freibrief.

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