Verhandlungen über Reformliste Athen hat plötzlich Zeit

BRÜSSEL · Das Ringen um Griechenland geht weiter. Zum Erstaunen einiger EU-Diplomaten war auch am gestrigen Montag nicht erkennbar, dass Athen bei der Erstellung der Reformliste allzu große Eile an den Tag legte.

Zwar appellierte der außenpolitische Experte der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, Elmar Brok (CDU), an Athen: "Es ist Griechenlands letzte Chance, etwas zu liefern."

Und auch der Grünen-Finanzexperte Sven Giegold schimpfte: "Griechenland leidet unter schlechtem Regieren genauso wie unter einer ritualisierten Verunsicherungskampagne: Hochkochen von Gerüchten, unverantwortliches Grexit-Gerede, versöhnliche Verhandlungen." Aber der Chefsprecher der Europäischen Kommission, Margaritis Schinas, bemühte sich, die Verärgerung vom Wochenende zu beruhigen: "Die Tatsache, dass die Experten das ganze Wochenende und auch heute arbeiten, ist ein positives Zeichen", erklärte er in Brüssel.

Das rund 100 Seiten umfassende Dokument aus dem Hause von Finanzminister Gianis Varoufakis war am Wochenende zunächst nur digital auf Tablets und lediglich in Griechisch vorgelegt worden, was die Unterhändler der Institutionen (EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds) verärgert hatte.

Gestern betonten Delegierte aus Athen wiederum, die Liste sei kein Tabu - man könne durchaus einzelne Maßnahmen streichen oder neu aufnehmen. Schwerpunkt solle allerdings der Kampf gegen Steuerhinterziehung bleiben. EU-Kreise gingen gestern angesichts dieser Unverbindlichkeit davon aus, dass es nicht - wie zunächst erwartet - noch vor Ostern zu einem Krisentreffen der Euro-Finanzminister kommen werde. Die müssten das Papier nämlich auf der Grundlage der Experten-Empfehlung billigen. Erst dann könnte Griechenland Zugriff auf die rund 7,2 Milliarden Euro bekommen, die dem Land aus verschiedenen Quellen noch zustehen.

Für Überraschung sorgte diese Entwicklung vor allem deswegen, weil es noch vor zwei Wochen geheißen hatte, die Hellenen seien spätestens Anfang April pleite. Ein alarmierender Anruf von Regierungschef Alexis Tsipras bei Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker könne also "unmöglich so ernst gemeint gewesen sein wie er klang", sagte ein hoher EU-Diplomat.

So konnte es kaum verwundern, dass auch die Spekulationen um eine Bitte Athens an Moskau um weitere Hilfsgelder im Rahmen eines Besuches von Tsipras am 8. April eher als "Warnschuss" eingeordnet wurden. "Russland kann ja nicht einmal der eigenen Bevölkerung eine Perspektive bieten", betonte der CDU-Außenpolitiker Brok.

Manfred Weber, Chef der christdemokratischen Mehrheitsfraktion im Europäischen Parlament, sagte, Tsipras kokettiere mit Russland. Dieses Verhalten erschwere eine "konstruktive Lösung mit Europa in den Finanzfragen".

Wie es in den nächsten Tagen konkret weitergeht, war zunächst offen. In Brüssel wollte sich gestern niemand festlegen, wann die Reformliste Athens endgültig feststeht. Erstaunlicherweise hat man plötzlich viel Zeit.

Das hoch verschuldete Euro-land wird seit fast fünf Jahren von Hilfskrediten der Europäischen Zentralbank, der EU und des Internationalen Währungsfonds gestützt. Im Gegenzug akzeptierten die diversen Regierungen Spar- und Reformauflagen.

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