Palästinenser-Aufstand Angst vor neuen Attacken

Jerusalem · Ein einminütiges Video in den sozialen Netzwerken hat Israelis am Montag an die schlimmsten Tage der zweiten Intifada erinnert: Der Clip zeigt zunächst Hände, die einen Sprengstoffgürtel zusammenbauen.

In der letzten Szene bewegt sich ein Mann in Militäruniform mit Rucksack auf eine Bushaltestelle zu, an der israelische Soldaten warten. Im Abspann prangt das Banner der Al-Quds-Brigaden, der Miliz des Islamischen Dschihads.

Vor zehn Jahren hatten die Palästinenser die zweite Intifada für beendet erklärt, die sich am Besuch vom späteren Ministerpräsidenten Ariel Scharon auf dem Tempelberg entzündet hatte. Bei palästinensischen Selbstmordattentaten waren innerhalb von fünf Jahren mehrere hundert Israelis getötet und Tausende verletzt worden. Angesichts der neu aufgeflammten Gewalt im besetzten Westjordanland und am Tempelberg in Jerusalem diskutieren Israelis, ob sie die Vorboten eines dritten Palästinenser-Aufstandes erleben.

Amos Harel, Militärkorrespondent der liberalen Tageszeitung "Haaretz" schreibt: "Israelis und Palästinenser befinden sich eindeutig auf einer abschüssigen Bahn." Bereits Mitte September hatte der UN-Sonderkoordinator für den Nahost-Friedensprozess, Nickolay Mladenov, gewarnt, die Zusammenstöße auf dem Tempelberg "haben das Potenzial, Gewalt weit über die Mauern der Altstadt Jerusalems" zu säen. Wenige Tage später nahm Palästinenserpräsident Mahmud Abbas selbst das Wort Aufstand in den Mund: Es gebe das "Risiko einer Intifada", erklärte er in Paris.

Israelische Experten fragen sich, ob Abbas die Situation entgleitet. Seit zehn Jahren kooperiert die Palästinensische Autonomiebehörde mit den Israelis in Sicherheitsangelegenheiten. Das ist auch im Eigeninteresse von Abbas, dem es so gelungen ist, die radikalislamische Hamas im Westjordanland in Schach zu halten. Doch die Zusammenarbeit ist ein Drahtseilakt für ihn, denn für die palästinensische Bevölkerung ist bisher wenig herausgesprungen. Weder konnte Abbas die Aussöhnung mit der Hamas herbeiführen, noch gab es die lange versprochenen Wahlen, die Wirtschaftsprobleme häufen sich, die Israelis bauen weiter in den besetzten Gebieten und ein eigener Staat erscheint ferner denn je.

Vom Beginn einer dritten Intifada war bereits im Herbst 2014 die Rede gewesen, als Israelis in Jerusalem von Palästinensern getötet wurden. Was damals wie heute gegen die These eines organisierten Aufstandes sprach, ist, dass es sich mutmaßlich um Einzeltäter handelt, die die Anschläge in einem spontanen Entschluss verüben. So hoffen die israelischen Sicherheitskräfte, dass die Unruhen um den Tempelberg, der Moslems wie Juden heilig ist, nach den gestern beendeten religiösen Feiertagen wieder abflauen werden.

Es wird Kraftanstrengungen auf beiden Seiten bedürfen, um eine weitere Eskalation zu verhindern. Kobi Michael vom Institut für Nationale Sicherheitsstudien in Tel Aviv fordert "kreative Lösungen", um die Lage zu stabilisieren. Dazu gehöre, dass die Palästinenser die Sicherheitskooperation mit Israel fortsetzen, während Israel wiederum den Status quo auf dem Tempelberg bekräftigen müsse, der allein Moslems das Gebet in der Al-Aksa-Moschee erlaubt.

Ansonsten aber müsse das Gelände für alle Besucher zugänglich gehalten werden, auch für Juden, deren wichtigstes Heiligtum, der Tempel, dort bis vor 2000 Jahren stand.

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