Größtes Brückenerneuerungs-Projekt Deutschlands gestartet Die Sauerlandlinie wird Sanierungsgebiet

WILNSDORF · Die Autobahn 45, die Sauerlandlinie, ist mit knapp 260 Kilometern nicht die längste in Deutschland. Aber sie ist wohl jene Autobahn, die in ihrem Verlauf zwischen Ruhrgebiet und Rhein/Main-Gebiet die meisten Brücken aufzuweisen hat.

Allein auf den gut 120 Kilometern in NRW sind es 70, die die Täler Südwestfalens überspannen. Und genau das ist inzwischen ein Problem. "Wir haben die Statik genau nachgerechnet", sagt Landesverkehrsminister Michael Groschek (SPD), "von den 32 Großbrücken mit einer Spannweite von mehr als 100 Metern müssen 17 neu gebaut werden." Um aber später durchgängig sechsspurig fahren zu können, würden alle Brücken erneuert. Sein Wiesbadener Amtskollege Tarek Al-Wazir (Grüne) ergänzt, auf hessischem Gebiet seien 20 von 22 erneuerungsbedürftig.

Gestern Morgen trafen sich die beiden Minister unter der Talbrücke Rinsdorf, einer der großen Brücken im Siegerland, wenige Kilometer entfernt von der Anschlussstelle Wilnsdorf. Auf sieben mächtigen Pfeilern ruht hier die fast 500 Meter lange Brücke. Von den Fahrzeugen, die 70 Meter höher über den Asphalt donnern, ist in der Nähe des kleinen Heckebachs nur ein Rumpeln zu hören. Von unten wirkt die Spannbetonbrücke tadellos. Doch der Schein trügt.

"Als die Brücken für die A45 in den 60er Jahren gebaut wurden, war man sehr stolz, dass sie schön und schlank geworden waren und die Landschaft nicht verschandelten", sagt Winfried Pudenz, der Hauptgeschäftsführer des Landesbetriebs Straßenbau NRW. Man habe damals aber nicht voraussehen können, dass diese Bauwerke - meist zweispurig mit Standstreifen ausgelegt - nicht einmal 50 Jahre später den Verkehrsströmen nicht mehr gewachsen seien.

So war man bei der Planung der Sauerlandlinie davon ausgegangen, dass auf Jahrzehnte hinaus 22 000 bis 25 000 Fahrzeuge dort unterwegs sein würden, heute sind es auf dem besonders belasteten Abschnitt bei Hagen 70 000, und die Prognose für 2025 liegt bei 90 000. Was die Brücken aber vor allem bröckeln lässt, ist der hohe Anteil an Lastwagen. Verursacht ein 40-Tonner doch die gleiche Materialermüdung wie 40 000 Personenwagen. Normalerweise liegt der Lkw-Anteil auf deutschen Autobahnen bei 10 bis 15 Prozent, auf der A45 aber sind zu mehr als 20 Prozent Lastwagen unterwegs.

Doch mehr Güter auf die Schiene zu verlagern, ist in Sauer- und Siegerland keine Alternative. "Wir löffeln heute die Suppe aus, die uns frühere Generationen eingebrockt haben", sagt Groschek. Er meint die fehlende Bahn-Infrastruktur. Die Ruhr-Sieg-Strecke, also die Bahnlinie von Hagen über Siegen und Gießen in Richtung Frankfurt hat heute noch Tunnel, die Ende des 19. Jahrhunderts gebaut worden sind. "Da passen zum Beispiel die großen Walzrahmen der Siegerländer Eisenwerke gar nicht durch", weiß der Minister, "die Unternehmer lachen mich doch aus, wenn ich denen vorschlage, mehr Güter auf die Schiene zu bringen." NRW habe zwar die Erneuerung der Ruhr-Sieg-Strecke für den neuen Bundesverkehrswegeplan beim Bund angemeldet. Hoffnung, dass es dafür Geld gibt, hegt Groschek aber kaum.

Bleibt also die Autobahn. Zehn bis zwölf Jahre, so rechnet Al-Wazir, dürften die Bauarbeiten in Hessen dauern. Die Planer in NRW haben einen Zeitplan vorgelegt, der bis 2028 reicht. Für die Auto- und Lastwagenfahrer bedeutet das: Zwar keine Vollsperrungen, aber erhebliche Einschränkungen. An der Lennetalbrücke bei Hagen haben die Bauarbeiten bereits begonnen, genauso auf hessischer Seite zwischen Dillenburg und Herborn.

Der Kraftakt, wie ihn Groschek und Al-Wazir nennen, kostet rund zwei Milliarden Euro. In NRW beträgt das Investitionsvolumen 1,2 Milliarden, in Hessen sind es 800 Millionen. Damit ist die Autobahn 45 das größte Brückenerneuerungs-Projekt, das derzeit in Deutschland läuft. Zunächst werden jene Brücken neu gebaut, die statisch die größten Probleme aufweisen, doch nach und nach sollen alle erneuert werden, um den Verkehr künftig im gesamten Verlauf der Autobahn sechsspurig fahren zu lassen.

Das Geld für den Neubau der Brücken kommt zwar vom Bund, doch für die Planungskosten erhalten die Länder nur eine nachträgliche Erstattung von drei Prozent. Aus Sicht der beiden Minister viel zu wenig. "Im Vergleich zu Bahnprojekten ist das sehr ungerecht", meint Groschek. Denn die Bahn erhalte, bevor sie mit den Planungen beginne, schon 19 Prozent der voraussichtlichen Planungskosten. "Der Bund muss die Länder bei den umfangreichen Planungen mehr unterstützen als bisher", sagt auch Al-Wazir, "eine Kostenerstattung von drei Prozent ist ein Witz." In Nordrhein-Westfalen sind es 36 Millionen, die das Land für die Planung voraussichtlich erhält, die realen Kosten betragen aber laut Ministerium 180 bis 240 Millionen Euro.

Einig sind sich die beiden Ressortchefs an diesem Morgen im Siegerland auch darüber, dass der Bund mehr Geld als bisher bereithalten müsse. Statt fünf Milliarden für die ganze Wahlperiode seien sieben Milliarden Euro für jedes Jahr notwendig, macht insgesamt 28 Milliarden, nur um die Infrastruktur zu erhalten und nicht etwa Neues zu bauen, zitiert Al-Wazir aus einem Gutachten, das von allen Seiten anerkannt werde. "Das ist keine Frage der Parteizugehörigkeit", sagt er und fügt hinzu, "hier stehen ein Roter und ein Grüner. Und wenn auch ein Schwarzer dabei wäre, würde er das genauso sehen."

Groschek hebt hervor, dass man in Berlin zuweilen den Eindruck habe, der Bund wolle nur die Bildung fördern. "Nein, es darf nicht Bildung statt Beton heißen, sondern Bildung und Beton."

Erneuerungsbedürftige Brücken im Rheinland

Auch im südlichen Rheinland sind zahlreiche Brücken erneuerungsbedürftig. So sieht das NRW-Verkehrsministerium die Notwendigkeit von Ersatzneubauten unter anderem bei folgenden Brücken, wie aus einer Aufstellung für unsere Zeitung hervorgeht:

  • Im Leverkusener Kreuz, in dem derzeit ja schon die Fahrspuren der A3 verengt sind, ist aus Sicht der Verkehrsplaner im Land sowohl eine Verstärkung als auch ein Neubau erforderlich.
  • Wie mehrfach berichtet, ist für die Leverkusener Rheinbrücke im Zuge der A1 ein Ersatzneubau geplant, der bis zum Jahre 2020 stehen soll. Immer wieder hat die Polizei beklagt, dass zahlreiche Lastwagenfahrer das Fahrverbot von Lkw über 3,5 Tonnen missachten. Die Brücke war im Juni für derlei Fahrzeuge gesperrt worden, weil diese die Tragfähigkeit des Bauwerks gefährden. Dadurch sollen Schwingungen vermieden werden, die die Schäden vergrößern könnten. Inzwischen sind bereits Verstärkungen angebracht worden. Sollte all das nicht dazu beitragen, dass die marode Brücke noch sechs Jahre hält, müsste sie womöglich vollgesperrt werden. Das hatte NRW-Verkehrsminister Michael Groschek jedenfalls schon einmal als Szenario ins Gespräch gebracht.
  • Erneuerungsbedürftig ist aus Sicht des Landes auch die sogenannte Hochstraße, also der auf Stelzen gebaute Abschnitt der A1 zwischen dem Leverkusener Kreuz und der Rheinbrücke.
  • Im Autobahnkreuz Köln-Nord ist laut Ministerium die Brücke über die A1 zu erneuern. Besonders dringlich scheint das aber nicht zu sein, denn Verstärkungen sind derzeit nicht nötig.
  • Ähnliches gilt für drei Brücken im Heumarer Dreieck.
  • Verstärkung und Neubau sind hingegen im Zuge der A4 im Kreuz Köln-Ost erforderlich.
  • Ein großes Bauvorhaben steht zudem bekanntlich im Verlauf der A565 in Bonn an, dem Tausendfüßler. Das Landesverkehrsministerium hält einen Ersatzneubau für notwendig, für den nächsten Bundesverkehrswegeplan hat NRW zudem den sechsspurigen Ausbau angemeldet. Am Rande bemerkt: Für die Landes-Straßenbauverwaltung gibt es außer dem Tausendfüßler noch den A565-Abschnitt "Bonn, Dransdorfer Weg". Diese Straßenbezeichnung gibt es allerdings laut Bonner Straßenkataster seit dem 19. Dezember 1972 nicht mehr. Damals beschloss der Hauptausschuss, den Dransdorfer Weg in "Im Vogelsang" umzubenennen. Die Bezeichnung gibt es aber auch nicht mehr. Aktueller Name ist laut Kataster Spessartstraße. Nur in der Straßenbauverwaltung des Landes hält sich offenbar auch mehr als 40 Jahre nach dem Untergang des Dransdorfer Wegs eben diese Bezeichnung.
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