Interview mit Beamtenbund-Chef „Der Staat muss seine Bediensteten schützen“

Am Montag und Dienstag trifft sich der dbb Beamtenbund und Tarifunion zu seiner Jahrestagung in Köln. Mit dbb-Chef Ulrich Silberbach sprachen im Vorfeld Helge Matthiesen, Kai Pfundt und Ulla Thiede.

 Der gebürtige Kölner Ulrich Silberbach.

Der gebürtige Kölner Ulrich Silberbach.

Foto: Benjamin Westhoff

Nach den Angaben Ihrer Gewerkschaft fehlen in Deutschlands öffentlichem Dienst Zehntausende Mitarbeiter. Wie dringlich ist das Problem?

Ulrich Silberbach: Sehr. Alleine in den Finanzämtern sind 11 000 Stellen unbesetzt. Beschäftigte, die dafür sorgen, dass der Staat die Steuern einnehmen kann, die ihm zustehen und die er für die Bewältigung seiner Aufgaben benötigt. Auch in vielen anderen Bereichen gilt: Die Kollegen gehen auf dem Zahnfleisch. Es werden ohne Ende Überstunden gemacht. Der öffentliche Dienst bekommt immer mehr Aufgaben, aber nicht das notwendige Personal. So geht es nicht weiter.

Neueinstellungen sind nicht so einfach. Schon jetzt gibt es in manchen Bereichen Fachkräftemangel.

Silberbach: Richtig. Die Beschäftigten fallen nicht vom Himmel. Wir müssen im öffentlichen Dienst auf Qualität achten. Das bedeutet eine gute Ausbildung, und die braucht Zeit. Und die Beschäftigten müssen angemessen bezahlt werden.

Ist der öffentliche Dienst im Wettbewerb um die besten Mitarbeiter konkurrenzfähig?

Silberbach: Das ist ein Problem. Viele Kollegen fühlen sich unterbezahlt, viele fühlen ihre Arbeit nicht wertgeschätzt. Die öffentlich Bediensteten haben von Seiten der Politik in den vergangenen Jahre immer nur um die Ohren bekommen. Da macht es Manchem keinen Spaß mehr, für „den Staat“ zu arbeiten. Dabei hat der öffentliche Dienst ja allerhand zu bieten.

Zum Beispiel?

Silberbach: Was das Geld angeht, können wir mit der Privatwirtschaft oft nicht mithalten. Dafür können wir andere Vorzüge anbieten. Neben der Arbeitsplatzsicherheit die gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Fortbildung, Arbeitszeitflexibilität – da kann der öffentliche Dienst Vorreiter sein, das wollen wir weiter ausbauen.

Öffentlich Bedienstete sind zuletzt an Silvester Opfer von Angriffen durch Gewalttäter geworden. Schützt der Staat seine Leute ausreichend?

Silberbach: Polizei und Justiz müssen bei solchen Vorfällen klare Kante zeigen. Der Staat muss seine eigenen Bediensteten mit aller Macht schützen. Das werden wir am Montag bei unserem Jahreskongress sehr deutlich machen.

Die Strafen für derartige Angriffe sind bereits verschärft worden. Reicht das?

Silberbach: Nein. Wir müssen den Kreis derjenigen, die unter Schutz gestellt werden müssen, erweitern, zum Beispiel um Rettungskräfte. Wenn Sanitäter oder Feuerwehrleute, also Menschen, die sich für andere Menschen einsetzen, angegriffen werden, ohne das dies für die Täter schnell spürbare Folgen hat, bekommen wir ein ernstes gesellschaftliches Problem. Das können wir nicht weiter laufen lassen.

Thema Digitalisierung: Ist der öffentliche Dienst bei der elektronischen Verwaltung gut aufgestellt?

Silberbach: Überhaupt nicht. Wir hinken zum Beispiel im Vergleich mit den skandinavischen Ländern um mindestens zehn Jahre hinterher. Um hier Fortschritte zu erzielen, brauchen wir einen Masterplan und eine Stabsstelle im Kanzleramt, mit eigenem Budget. E-Government muss Chefsache werden. Alternativ könnte man ein Digitalministerium einrichten, aber das müsste dann auch gegenüber den anderen Ressorts wirksame Befugnisse haben.

Digitalisierung bedeutet Veränderung, womöglich sogar Verlust des Arbeitsplatzes. Wie geht der öffentliche Dienst damit um?

Silberbach: Natürlich müssen wir die Ängste und Einwände der Beschäftigten berücksichtigen. Wir sehen aber auch die Chance, junge Menschen für den digitalen Staatsdienst zu begeistern. Wer will denn als Schulabgänger in einer Welt von Ärmelschonern und staubiger Aktenablage arbeiten? Wenn wir die digitale, fortschrittliche Arbeitswelt mit dem Dienst am Menschen verbinden, der ja im Staatsdienst oft geleistet wird, ist das eine tolle Kombination.

Im öffentlichen Dienst stehen Tarifverhandlungen an. Wie gehen Sie in die Gespräche?

Silberbach: Wir haben uns bei den Lohnforderungen in den vergangenen Jahren stark zurückgehalten. Jetzt brauchen die Beschäftigten ein sichtbares Lohnplus im Portemonnaie.

Die Gewerkschaft Verdi will bis zu sechs Prozent fordern...

Silberbach: Das wird sich bei uns in ähnlichen Bereichen bewegen, außerdem kommen Themen wie soziale Komponenten und Arbeitszeitregelungen hinzu.

Bei den Verhandlungen zwischen Union und SPD geht es auch um das Thema Bürgerversicherung – die die Beamten vehement ablehnen. Warum eigentlich?

Silberbach: Die Bürgerversicherung, für uns eine Einheitsversicherung, ist eine Rote Linie, die nicht überschritten werden darf. Was aus SPD-Kreisen mit sozialer Gerechtigkeit begründet wird, hat damit nichts zu tun. Es handelt sich um eine Mogelpackung hoch drei.

Inwiefern?

Silberbach: Schauen sie sich die Zahlen an. 2001, als die letzte Erhebung zum Themawar, hat der Staat 7,5 Milliarden Euro für Beihilfeleistungen für Beamte ausgegeben. Für den selben Zeitraum und die selben Beschäftigten hätte der Staat als Arbeitgeber in die gesetzliche Krankenversicherung 18 Milliarden Euro einzahlen müssen. Allein diese Zahlen machen deutlich: Die Bürgerversicherung ist eine Milchmädchenrechnung. Da scheint sich der ein oder andere in der SPD die Bekämpfung des Berufsbeamtentums und der Privaten Krankenversicherung zu Lebensaufgabe gemacht zu haben.

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