Parteien in Deutschland Zwischen Höhenflug und Absturz

Berlin · AfD und FDP, Piraten, Linke, Grüne: Die "kleinen" Parteien sind oft Zünglein an der Waage. Ihre Aussichten könnten kaum unterschiedlicher sein.

 Die Bürger haben die Wahl: Eine Wand mit Wahlplakaten im hessischen Oberursel. FOTO: DPA

Die Bürger haben die Wahl: Eine Wand mit Wahlplakaten im hessischen Oberursel. FOTO: DPA

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Die große Koalition kann zufrieden sein. Sie macht eine sozialdemokratische Politik und wird von Angela Merkel als Kanzlerin geführt. So wollen es die Bürger, so wird es in allen Umfragen immer aufs Neue bestätigt, die sich seit den Bundestagswahlen 2013 nicht wesentlich verändert haben. Auch die Landtagswahlen im Osten konnten diesen Trend nicht beeinflussen. Die Union hat sich mehr oder weniger behauptet, auch wenn sie in Thüringen um die Macht fürchten muss. Die SPD reüssierte in Brandenburg und stürzte in Thüringen ab. Bewegung in die politische Szene können also nur die kleinen Parteien bringen, AfD, Grüne, FDP, Linkspartei und Piraten. Wie sieht es bei ihnen aus? Lassen sich Entwicklungen erkennen, die irgendwann die Bundespolitik prägen?

Bei drei Parteien, die auf Bundesebene nicht (mehr) im Parlament vertreten sind, gibt es ganz gegenläufige Trends. Die Piraten gehen unter, die AfD steht mittelfristig vor einer verheißungsvollen Zukunft. Und die FDP? Der vom einstigen FDP-Chef Philipp Rösler beschworene Frosch strampelt noch kräftig, in der Hoffnung, dass die Milch, in der er schwimmt, endlich zu Butter wird. Aber vielleicht schwimmt er tatsächlich nur in Wasser. Der Reihe nach:

Die AfD: Sie hat eindeutig Konjunktur. Von allen nicht im Bundestag vertretenen Parteien hat die Alternative für Deutschland eindeutig die besten Aussichten. Gerade hat sie bei drei Landtagswahlen im Osten den Sprung in die Parlamente geschafft. Dabei konnte sie von allen Parteien Wähler an sich binden und auch im Lager der Nichtwähler punkten. Da sie nirgendwo in Regierungsverantwortung eingebunden ist, kann sie nirgendwo für Fehlentwicklungen verantwortlich gemacht werden, können ihre Konzepte auch nirgendwo dem Praxistest unterzogen werden.

Das garantiert weiterhin viel Zuspruch, denn die AfD kann so allen Unmut bündeln und aufnehmen. Was auffällt: Die AfD hat ihre inhaltliche Strategie geändert. Von der Eurorettungspolitik ist in den ostdeutschen Wahlkämpfen gar nicht mehr die Rede gewesen. Da gab man den Russlandversteher, warnte vor ungebremster Zuwanderung und forderte besseren Schutz vor Kriminalität.

Meinungsforscher sehen die AfD auf dem Weg zu einer rechtspopulistischen Protestpartei. Die Partei widerspricht dem heftig, doch haben gerade die internen Querelen in der Folge der Landtagswahlen solche Befürchtungen eher genährt. In Brandenburg plauderte ein AfD-Mann Infos aus dem Binnenleben der Partei aus, wo Parteichef Alexander Gauland missliebige Abgeordnete zum Mandatsverzicht bewegen wollte - den eigenen Stiefsohn.

Als der tatsächlich ging, rückte mit Jan-Ulrich Weiß jemand nach, der wegen Vorwürfen in der Kritik steht, eine antisemitische Karikatur in Internet veröffentlicht zu haben. Er wurde von der Fraktion ausgeschlossen, will aber sein Mandat behalten. Es wird über einen Übertritt zur NPD spekuliert. In Sachsen gibt es ähnliche Probleme. Dort verzichtete Detlev Spangenberg darauf, als Alterspräsident des Landesparlamentes zu fungieren, nachdem ihm eine Nähe zu rechtsradikalem Gedankengut vorgehalten worden war.

  • Prognose: Die AfD könnte auch in Hamburg in die Bürgerschaft einziehen. Sie versteht es, den Unmut mit der etablierten Politik aufzunehmen und wird mittelfristig ein Faktor der deutschen Politik bleiben - vielleicht sogar auf Bundesebene, wo sich die CDU völlig uneinig ist, wie sie mit der Partei umgehen soll.

Die Linke: Macht einen ziemlich langweiligen Eindruck. Die Bundesregierung macht derzeit alles andere als eine neoliberale Politik. Das erschwert eine Fundamentalopposition. "Das geht uns nicht weit genug" - so lautet ein Standardsatz der linken Opposition - siehe Mietpreisbremse, Mindestlohn und Rente mit 63. Immerhin halten die Vorsitzenden Bernd Riexinger und Katja Kipping die Strömungen der Partei besser zusammen, als es ihnen viele zugetraut hätten. Die Landtagswahlen im Osten führten nicht wie erhofft zu einem großen Aufbruch - auch wenn in Thüringen noch immer gehofft wird, dass Bodo Ramelow der erste linke Ministerpräsident werden könnte.

  • Prognose: Die Linken haben ein sicheres Wählerreservoir, über das hinaus sie nicht mehr wachsen werden. Bundespolitisch sind sie ohne Machtperspektive. Die Distanz zur SPD ist seit der Bundestagswahl eher gewachsen, weil beide Parteien außenpolitisch Welten trennen.

Die Piraten: Sie haben ihre Zukunft definitiv hinter sich. In vier Landtagswahlen in Folge kamen sie in die Parlamente: in Berlin, dem Saarland, Schleswig-Holstein. Auch im NRW-Landtag sind sie vertreten. Von Beginn an aber gab es Gezänk. Vielleicht auch nicht mehr als in anderen Parteien, aber das Prinzip der gnadenlosen Transparenz machte jeden heftigen Mail-Austausch, jedes böse Wort und jeden Dissens in der Sache publik. Dabei zeigte sich ein abstoßend rauer Unterton.

Zudem gab es immer wieder Vorwürfe, die eindeutig männerdominierte Partei sei latent frauenfeindlich. Sehr auffallend war, dass die Partei, die sehr laut sein kann, bei der Debatte um die Überwachungspraktiken der NSA keine Rolle spielte, keine öffentliche Debatte anführen und keine Kampagne auf die Beine stellen konnte. Ein Offenbarungseid, denn genau dort sollte doch eigentlich die Kernkompetenz der Partei liegen.

Stattdessen kümmerten sich die Abgeordneten mit viel Hingabe Orchideen-Themen. In Berlin sorgte ihre Initiative, in öffentlichen Gebäuden Toiletten für Transsexuelle einzurichten, für medialen Wirbel. Dabei fiel dann gar nicht mehr auf, dass die Hauptstadt-Piraten im Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der Pannenserie um den neuen Flughafen engagierte Arbeit leisteten. Aber auch das ist mittlerweile fast schon Schnee von gestern, denn die Partei zerlegt sich in atemberaubendem Tempo. Fast die gesamte eher sozialliberal orientierte Führungsriege hat der Partei den Rücken gekehrt. Die Ex-Vorsitzenden Matthias Schrade und Sebastian Nerz sind ebenso ausgetreten wie die Parteipromis Christopher Lauer und Anke Domscheit-Berg. Ende 2012 zählte die Partei 35 000 Mitglieder. Heute sind es noch 27 000.

  • Prognose: Die Piraten haben den Punkt überschritten, nach dem es keine Rückkehr zu alter Stärke mehr geben kann.

Die FDP: Tapfer bestreitet Parteichef Christian Lindner das Hinsterben der liberalen Partei. Man muss ihm nicht glauben. Gerade sind die Liberalen nicht nur aus der letzten Beteiligung an einer Landesregierung geflogen (Sachsen), sie sind nun auch in keinem Ost-Landtag mehr vertreten. Eigentlich müsste man das nicht überdramatisieren, denn der Osten war für die Liberalen immer ein schwieriges Pflaster, weil es dort an den typischen liberalen Milieus fehlt.

Aber auch von anderswo kommt keine Hoffnung. "Wir brauchen eine Eisbrecher-Wahl", sagt Lindner, und hat die Hamburger Wahl im kommenden Jahr im Blick. Noch habe die FDP 67 Abgeordnete in verschiedenen Landtagen und dem Europaparlament, rechnet er vor, bundesweit 57 000 Mitglieder. Daraus abzuleiten, dass die FDP "voll im Geschäft" sei, scheint allerdings doch überoptimistisch. Zumal immer wieder Störfeuer den kontinuierlichen Wiederaufstieg behindern.

Beispiel Hamburg: Ausgerechnet in der Stadt, die durch einen Wahlerfolg den Wiederaufstieg einleiten soll, verstrickt sich die Partei in sektiererische Machtkämpfe. Ausgerechnet dort hat sich eine Konkurrenzpartei namens "Neue Liberale" gegründet. Die Neuen präsentieren dabei alte Gesichter: Ausgerechnet die ehemalige Hamburger FDP-Vorsitzende Sylvia Canel und der Ex-Vize Najib Karim gehen gemeinsam auf Wählerfang. Chancen werden ihnen kaum eingeräumt, aber sie könnten der "alten" Partei das entscheidende Prozent für den Einzug in die Bürgerschaft kosten.

Andere Querschüsse kommen von der alten Parteiprominenz. Ex-Gesundheitsminister Daniel Bahr hat bei der Allianz angeheuert. Das muss man nicht anstößig finden, denn Bahr hat immerhin Gesundheitsökonomie studiert. Dennoch steht die FDP unter Rechtfertigungszwang.

Dessen ungeachtet versucht Lindner, den Prozess der Erneuerung voranzutreiben. Gerade hat er in Berlin auf einer Konferenz mit den Kreisvorsitzenden das neue Leitbild vorgestellt, das nun in der Partei diskutiert werden soll. Mit fünf Versprechen will die FDP neues Vertrauen gewinnen: "die beste Bildung der Welt", "Aufstieg durch eigene Leistung", "selbstbestimmt in allen Lebenslagen", "Staat, der es einfach macht" - und "Politik, die rechnen kann". Der letzte Punkt ist wichtig. Die FDP muss mit dem Schlimmsten rechnen.

  • Prognose: Die wirklich entscheidenden Wahlen für die FDP finden nicht in Hamburg 2015 statt, sondern 2016 in Baden-Württemberg. Erst wenn die Bürger den Eindruck gewinnen, dass die große Koalition mit einem expansiven Ausgabekurs den Bogen überspannt, hat die FDP wieder eine Chance, sich in Erinnerung zu rufen. Insofern liegt ihr Schicksal nicht mehr allein in ihrer Hand.

Die Grünen: Eigentlich führen große Koalitionen regelmäßig zum Erstarken der Opposition. Diesmal ist es bislang anders. Die Grünen profitieren nicht. Der von der Regierung exekutierte Atomausstieg nimmt der Partei ein klassisches Mobilisierungsthema, das durch nichts zu ersetzen ist. Zudem gelingt es noch nicht so recht, in der Öffentlichkeit als Nachlassverwalter des FDP-Erbes beim Thema Bürgerrechte aufzutreten. Es fehlt in der Bundespolitik auch ein Großrhetoriker vom Schlage eines Joschka Fischer oder eines Jürgen Trittin.

Zudem leistet sich die Partei gerade einen erstaunlichen Streit um die Flüchtlingspolitik. Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat einem Asylkompromiss zugestimmt, der die Länder des West-Balkans zu sicheren Drittstaaten erklärt. Das wird ihm nun vorgehalten. Dass er dabei Zugeständnisse herausholte, für die die Grünen viele Jahre lang gekämpft hatten, wird ihm dagegen nicht angerechnet: Die Umstellung auf Barleistungen für Asylbewerber, das Aufweichen der Residenzpflicht und die erleichterte Arbeitsaufnahme.

Da sich die Flüchtlingsproblematik in Deutschland zu einem Megathema der kommenden Monate entwickeln wird, dürfte der Partei eine harte Zeit bevorstehen. Zumal es den Grünen bei einem anderem Thema nicht gelingt, zu einem Anführer einer Kampagne zu werden: TTIP, das umstrittene Handelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA, weckt in der Bevölkerung viele Besorgnisse. Die öffentliche Debatte darüber spielt sich allerdings derzeit am sichtbarsten innerhalb der Regierung - wenn nicht innerhalb der SPD - ab. Die Grünen sind da ein glatter Ausfall.

  • Prognose: Die Partei steckt in keiner Krise. In den ostdeutschen Landtagswahlen hat sie sich sogar stabilisiert. Aber der Bundestrend ist derzeit nicht günstig. Erst wenn die ziemlich ruhig regierende Koalition in schwieriges Wasser kommt, erhalten die Grünen wieder mehr Aufmerksamkeit.
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