NS-Aufarbeitung bei Ministerien Wie Nazis den Beginn der Bonner Republik prägten

Bonn · Historiker präsentieren Zwischenbericht zum Umgang deutscher Ministerien und Behörden mit ihrer NS-Vergangenheit in der Nachkriegszeit. Auf einer Tagung beschäftigt sich die Zunft nun mit den Kontinuitäten und Brüche in den 1950er- und 60er-Jahren.

 Die Düppel-Kaserne in der Graurheindorfer Straße war ab 1949 Hauptsitz des Bundesinnenministeriums. Einen hohen Anteil der Mitarbeiter machten in den 1950er- und 60er Jahren ehemalige Nazis aus. FOTO: FROMMANN

Die Düppel-Kaserne in der Graurheindorfer Straße war ab 1949 Hauptsitz des Bundesinnenministeriums. Einen hohen Anteil der Mitarbeiter machten in den 1950er- und 60er Jahren ehemalige Nazis aus. FOTO: FROMMANN

Foto: Barbara Frommann

Wie tief war das Auswärtige Amt in den Nationalsozialismus verstrickt? Mit der Klärung dieser Frage hat der damalige Bundesaußenminister Joschka Fischer 2005 eine unabhängige Historikerkommission beauftragt. 2010 veröffentlichten Norbert Frei und drei Kollegen ihren Bericht. „Das Amt“ wurde ein Bestseller und löste nicht nur unter Historikern eine kontroverse Debatte aus. Die Tür für Historiker war damit auch in anderen Ministerien und Behörden geöffnet.

„Auch bei Historikern ist seither ein neues Interesse an der Funktionsweise und Macht von Institutionen entstanden“, sagt Frank Bösch, der derzeit die Historikerkommission zur Aufarbeitung der Geschichte des Innenministeriums leitet. Mittlerweile gibt es ausführliche Studien zum Verkehrsministerium, dem Bundeskriminalamt und dem Verfassungsschutz. Zahlreiche Kommissionen arbeiten zudem die Geschichte sieben weiterer Bundesministerien sowie von Bundesarchiv und Bundesrechnungshof auf. Da die Forschungsprojekte, die in der Regel von den Institutionen selbst finanziert werden, teilweise mehrere Jahre andauern, hat die Bundesregierung 2015 eine Bestandsaufnahme der Aufarbeitung in Auftrag gegeben.

Der gut 100 Seiten umfassende Bericht von Christian Mentel (Zentrum für Zeithistorische Forschung) und Niels Weise (Institut für Zeitgeschichte) ist im Februar erschienen. Bei den 28. Rhöndorfer Gesprächen der Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus, die heute und morgen am katholisch-sozialen Institut in Bad Honnef stattfinden, diskutieren führende deutsche Zeithistoriker über den Zwischenstand.

Dabei soll es vor allem um die personellen und institutionellen Kontinuitäten sowie die Brüche in der Nachkriegszeit gehen. Dabei stehen die Ministerien Wirtschaft, Sicherheit, Justiz und Inneres im Fokus. Zum Letzteren forschen Bösch und Andreas Wirsching seit 2014. Das Innenministerium hatte sich unter den Ministern Schily, Schäuble und de Maizière länger gegen eine Aufarbeitung gesträubt und letztlich nur einen Auftrag zur Untersuchung der Nachkriegszeit erteilt. Erklärung: die tragende Rolle des Ministeriums zur NS-Zeit sei bereits zweifellos belegt. Auch Bösch und seine Gruppe finden es jedoch sinnvoll sich in diesem Fall auf die 1950er und 60er Jahre zu konzentrieren.

Nach der Auswertung von 290 Lebensläufen kommen sie zu dem Ergebnis, dass ehemalige NSDAP-Mitglieder einen hohen Anteil der Mitarbeiter des Ministeriums ausmachten. Von den zwischen 1949 und 1970 im höheren Dienst beschäftigten Beamten des Hauses waren 54 Prozent in der NSDAP, im Jahr 1961 sogar 66 Prozent.

Bis 2018 will die Kommission abschließende Ergebnisse vorlegen. „Dazu wird es auch wieder ein publikumswirksames Buch und weitere Veröffentlichungen geben“, kündigt Bösch an. Bei der Studie zum Innenministerium erarbeiten Studenten in einem Projekt zudem eine Online-Präsentation und eine Ausstellung.

Der Zwischenbericht unter dem Titel „Die zentralen deutschen Behörden und der Nationalsozialismus. Stand und Perspektiven der Forschung“ ist online auf www.zzf-pdm.de abrufbar.

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