RAF-Terror im Deutschen Herbst Wie 44 Tage die Bundesrepublik für immer veränderten

Bonn · 1977 traten die Terroristen der RAF an, um den Staat mit Anschlägen, Morden und Entführungen in die Knie zu zwingen. Sie stießen auf den entschlossenen Widerstand. Ein Blick zurück - auch ins GA-Archiv.

Der Deutsche Herbst vor 40 Jahren war die wohl schwerste Krise der alten Bundesrepublik. Nie vorher und nie nachher sahen sich Staat und Regierung so massiv angegriffen, fühlten sich die führenden Männer in Wirtschaft und Politik bedroht, die ganze Gesellschaft herausgefordert. In sehr kurzer Frist fielen Entscheidungen von großer Tragweite.

Die Bundesrepublik war noch im August 1977 eine ganz andere als knapp sieben Wochen später. Das Echo dieser Tage hallte in Büchern, Dokumentationen, Filmen und Theaterstücken nach. Sie unterteilen die Akteure des Herbstes 1977 gerne in Schurken und Helden. Das Bemühen, begreifen zu wollen, hat bis heute nicht aufgehört, denn die Schurken traten an, eine bessere Welt herbeizubomben, und die Helden mussten Menschen opfern, um den Terrorismus zu besiegen. Das ist der Stoff, aus dem Tragödien sind.

Der Terrorismus war aus der Studentenbewegung der 1960er Jahre hervorgegangen. Während das Gros der politisch mobilisierten akademischen Jugend den Marsch durch die Institutionen antrat oder sich von den ideologischen Debatten einfach abwandte, nahm eine kleine Gruppe den selbstgesteckten Auftrag, eine bessere, gerechtere Welt ohne Krieg und ohne Kapitalismus zu verwirklichen, bitter ernst.

Seit Anfang der 1970er Jahre war die Baader-Meinhof-Gruppe aktiv

Ihr Feindbild war die Bundesrepublik, die sie als Fortsetzung des Faschismus sah, als moralisch korrumpierten Unterstützer des Vietnamkrieges, der Unterdrücker aller Freiheitsbewegungen weltweit, als Freund Israels, das aus ihrer Sicht die Palästinenser unterdrückte. Seit Anfang der 1970er Jahre war die sogenannte Baader-Meinhof-Gruppe aktiv mit Brandanschlägen, Bombenattentaten, Entführungen, Morden und Banküberfällen.

Mit dabei der Anwalt Horst Mahler, der heute politisch bei der extremen Rechten zu verorten ist. Die Gruppe rekrutierte neue Mitglieder und nannte sich danach „Rote-Armee-Fraktion“, kurz RAF.

Ihre Taten begründete sie mit einer selbstgestrickten, marxistisch-leninistisch inspirierten Ideologie, mit Versatzstücken anderer linker Gedankengebäude. Sie sahen sich als Stadtguerilla, wollten den Kampf der lateinamerikanischen Befreiungsbewegungen nach Deutschland tragen, „in die Metropolen“, wie sie sagten. Das formulierten sie in einer verquasten, ideologisch überfrachteten Sprache, einem marxistischen Jargon, dem nur Eingeweihte folgen konnten.

Sie glauben ernsthaft, wenn sie als Avantgarde mit Gewalt vorweg gingen, dann würde das Volk folgen, und der verhasste Staat mit seinem kapitalistischen System würde zusammenstürzen. Ein Irrtum.

Ihre Gedankenwelt verankerte sich in einer radikalen Linken, die sich in den 1960er Jahren gebildet hatte, und fand dort eine verhältnismäßig breite Unterstützung. Auf bis zu 2500 Unterstützer schätzten die Sicherheitsbehörden in den 80er Jahren das Vorfeld der RAF, nur 15 bis 30 gehörten zum harten Kern.

Die meisten Mitglieder stammten aus Familien der bürgerlichen Mitte

Das Besondere dieser relativ kleinen Gruppe war ihre gesellschaftliche Verankerung: Die meist jungen Männer und Frauen stammten zu einem erheblichen Teil aus Familien der bürgerlichen Mitte, waren gut ausgebildet, studierten, brachten Talente mit wie Ulrike Meinhof, die eine bekannte und geachtete junge Journalistin war, bevor sie in den Untergrund ging. Oder Gudrun Ensslin, die aus einer Pfarrersfamilie stammte. Sie waren Schauspieler, Anwälte, Bankkaufleute. Viele am Anfang einer vielversprechenden Karriere – wenn sie diesen Weg denn hätten beschreiten wollen.

Der Deutsche Herbst nahm seinen Anfang schon im April 1977, als der Generalbundesanwalt Siegfried Buback und zwei seiner Begleiter auf offener Straße in Karlsruhe erschossen wurden. Im August starb der Chef der Dresdener Bank, Jürgen Ponto, in seinem Haus, nachdem die mit der Familie bekannte Terroristin Susanne Albrecht dem Mordkommando Zutritt verschafft hatte.

Im August scheiterte ein Anschlag auf die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe, weil eine Beschussanlage technisch versagte. Sie steht heute im Haus der Geschichte in Bonn. Am 5. September kidnappte die RAF den Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer in Köln. Vier seiner Begleiter starben. Ziel der Entführung war es, die gefangenen RAF-Mitglieder im Gefängnis Stuttgart-Stammheim freizupressen. „Big Raushole“, wie die Terroristen es flapsig formulierten, war angelaufen.

Die Bundesregierung begriff diese Aktion richtigerweise als Frontalangriff. Die Terroristen bedrohten die zentralen Funktionsträger des Staates. Der versagte ganz offenbar dabei, diese Menschen zu schützen. Doch die Regierung unter Helmut Schmidt unter Einbeziehung auch der Opposition unter Helmut Kohl legte sich sofort auf die Linie fest, den Terroristen nicht nachzugeben, sondern Schleyer zu befreien. So begann der Deutsche Herbst. Ein Spiel auf Zeit und eine schwere Belastungsprobe für die ganze Gesellschaft.

Bonn wurde zur Festung: Hier tagte der Krisenstab

Eine bleierne Zeit: 44 Tage. Das Land verstummte gleichsam. Die Radiosender spielten nur getragene Musik, keine Schlager, keinen Pop, keine gesungenen Lieder. Die Menschen schauten so intensiv wie selten Nachrichten im Fernsehen, hörten Radio, weil jeder Tag, jede Stunde eine neue Entwicklung bringen konnte. Bonn wurde zur Festung. Hier tagte der Krisenstab. Polizei, BKA und Verfassungsschutz setzten alle ihre Fahndungsmittel ein, die gerade neu entwickelt worden waren. Die neue Datentechnik kam zum Einsatz.

Überall in der Republik kontrollierte die Polizei an allen Orten den Verkehr. Wer sich irgendwie auffällig verhielt, schaute in die Mündung einer Maschinenpistole. Die Beamten waren nervös, denn sie wussten, die Terroristen schossen sofort und trafen auch. Die hatten ihr Handwerk in Ausbildungslagern der palästinensischen Terrororganisationen im Nahen Osten gelernt – und auch bei der Stasi, wie nach 1990 klar wurde.

Das ganze Land jagte Terroristen. Helmut Schmidt selbst rief die Bürger in seiner Fernsehansprache am 5. September 1977 dazu auf. Jeder noch so kleine Hinweis helfe. In jedem Postamt, in jedem Rathaus, in jedem Gemeindeaushang hing das Fahndungsplakat, das eine hohe Belohnung für Hinweise versprach. Wenn wieder ein Täter gefasst oder ums Leben gekommen war, strich irgendjemand das Bild aus.

Das Land näherte sich einer Hysterie: Es wurden Wohnungen durchsucht, selbst bei geringsten Verdachtsmomenten. Linke Studenten standen unter scharfer Beobachtung. Die Menschen waren fassungslos, das Land wie gelähmt.

Doch Schleyer blieb verschwunden, und die bleierne Atmosphäre zog sich in die Länge. Jedem war bewusst, dass hinter den Kulissen hektisch verhandelt und verbissen ermittelt wurde. Übernächtigte Politiker traten vor die Kameras und gaben Stellungnahmen ab. Das Verfassungsgericht verhandelte über eine Klage der Familie Schleyer, der Staat müsse ihren Ehemann und Vater befreien. Der Bundestag debattierte über ein Gesetz, das den Kontakt zwischen Anwälten und Terroristen unterbinden konnte.

Der Rechtsstaat ging an seine Grenzen

Aber es war wenig wirklich bekannt. Offenkundig war nur, der Rechtsstaat, den man doch zu verteidigen antrat, ging an seine Grenzen und womöglich darüber hinaus: Die alte, eher behäbige und in Sicherheitsfragen aus heutiger Sicht beinahe nachlässige Bundesrepublik wandelte sich rapide. Sie war immer noch den Idealen des Neubeginns nach 1945 verpflichtet, die nie wirklich einer Belastungsprobe ausgesetzt gewesen waren.

Jetzt ging es womöglich in Richtung eines Polizeistaats? Dass die Freiheit nur zu verteidigen ist, wenn sich die Demokraten gegen die Feinde der Demokratie wehren, war eine der schmerzlichen Erkenntnisse des Herbstes.

Am 13. Oktober 1977 – Schleyer war immer noch verschwunden – entführten palästinensische Terroristen den Lufthansa-Jet Landshut, der von Mallorca nach Frankfurt fliegen sollte. 86 Passagiere und fünf Besatzungsmitglieder waren an Bord. Die Entführer drohten mit der Sprengung des Flugzeuges und forderten die Freilassung der RAF-Gefangenen.

Das Flugzeug ging auf einen Irrflug über Italien, Zypern, Dubai nach Aden und schließlich nach Mogadischu. Die Lage eskalierte von Stunde zu Stunde. Der Kapitän wurde erschossen. Ein Nervenkrieg vor laufender Kamera. Hektische Reisediplomatie zwischen Bonn, dem Jemen und Somalia setzte ein. Kanzler Schmidt und mit ihm die Bundesregierung blieben bei ihrem Kurs: Kein Nachgeben.

Das Risiko einer großen Katastrophe schwebte über allem, denn die Entführer waren zu allem entschlossen. Die Regierung spielte auf Zeit, um Schleyer zu finden und die GSG 9 zum Einsatz zu bringen, von der bis dahin kaum jemand etwas wusste. In den frühen Morgenstunden des 18. Oktober 1977 gelang die Befreiung. Noch in der gleichen Nacht brachte sich die Führungsspitze der RAF im Stuttgarter Gefängnis um.

Erst 1998 endete die Geschichte der Anschläge

Zwei Terroristen erschossen im Verlauf des Dienstag den entführten Schleyer. Seine Leiche wurde am 19. Oktober in Mühlhausen im Elsass gefunden. Schmidt hatte dem Terrorismus damit die entscheidende Niederlage zugefügt. Doch der Preis für ihn persönlich und für das ganze Land war hoch. Die RAF des Sommers 1977 zerstritt sich über ihren Misserfolg, zerfiel und löste sich in Teilen auf. Eine neue Generation von Tätern übernahm. Erst 1998 endete die Geschichte nach vielen weiteren Morden und Attentaten.

Die Fernwirkungen des Deutschen Herbstes ziehen sich bis in die Gegenwart. Die Bundesregierung musste sich sofort nach den Tagen im Oktober gegen die bewusst gestreute Theorie zur Wehr setzen, die RAF-Gefangenen in Stammheim seien in Wahrheit ermordet worden. Die Inszenierung des Selbstmordes durch die Terroristen lief auf diese Variante hinaus und war bewusst so gewählt. Die Unterstützer in Deutschland und Europa griffen das Thema auf.

Die Nazizeit lag noch nicht so lange zurück, und die politische Stimmung in Europa war aufgeheizt. Viele hielten diese Variante für denkbar. Viele Fragen rund um diese dramatische Nacht im Gefängnis sind bis heute nicht schlüssig beantwortet. Wie konnte die Tat gelingen, wenn doch der Trakt mit den Zellen quasi rund um die Uhr überwacht wurde? Wie vergiftet die politische Atmosphäre war, wird aus der Tatsache deutlich, dass diese Theorie geglaubt wurde. Der Staat galt als Feind. Er musste als gewalttätig entlarvt und beseitigt werden.

Innenpolitisch eskalierte sofort nach dem Ende der dramatischen Tage die Suche nach vermeintlichen und echten Unterstützern der RAF, nach Sympathisanten und Helfern. Namhafte Intellektuelle wie Heinrich Böll oder Luise Rinser waren immer wieder Ziel von Angriffen vor allem aus den Reihen der CDU.

Ein sachlicher Streit über Gründe und Folgen des Terrorismus war unmöglich, die politische Debatte vergiftet. Dass die Grünen in ihren ersten Jahren in Teilen so fundamentalistisch links unterwegs waren, so unzugänglich für Bündnisse, so auf sich bezogen, hatte auch damit zu tun. Die bis heute fortdauernden Geplänkel in den Feuilletons über 1968 und die vermeintlich negativen Folgen spiegeln einen fernen Abklatsch dieser Debatten.

Die Linke in Westdeutschland zerfiel weiter

Wer die Tage im Herbst erlebt hatte und sich frei von irgendwelchen Lagerzuordnungen fühlte, verlor jede Sympathie für linke Politik. Eine Partei links von der SPD unter dem Markenzeichen Sozialismus oder Kommunismus war seitdem nicht mehr denkbar. Niemand verstand die RAF und niemand verstand jene, die die RAF zu verstehen schienen.

Die Linke in Westdeutschland zerfiel weiter in ideologisch kleinteilig verankerte Sekten, die sich heftig bekämpften. Bei Wahlen hatten sie keinen Erfolg. Nur unter dem Etikett der ökologischen Politik, der Antiatombewegung fand sich so etwas wie eine linke Partei zusammen, die Grünen. Dass die Streitereien um den Nato-Doppelbeschluss und Atomkraft in Deutschland so bösartig, grundsätzlich und fundamentalistisch gerieten, hat womöglich damit zu tun.

Ganz enorm war die Entwicklung der Bundesrepublik auf dem Feld der inneren Sicherheit. Sie glitt nicht in den Polizeistaat ab, den die Terroristen ohnehin in ihr sahen. Aber das BKA, der Grenzschutz, Justiz und Polizei modernisierten sich rasch und sehr effektiv. Rasterfahndung, Ringfahndung, Schleierfahndung, Computereinsatz, Anti-Terror-Einheiten entstanden erst durch den Terrorismus oder wurden als Mittel der Terrorbekämpfung ausgebaut. Die anfangs völlig überforderten Sicherheitsbehörden professionalisierten und modernisierten sich.

Deutschland kam in der Realität an, die auch vom Terrorismus der Palästinenser geprägt war, spätestens seit dem Anschlag auf die Olympischen Spiele in München 1972 mit dem Desaster der gescheiterten Geiselbefreiung. Ihre Ursache war eine unzureichend vorbereite Polizei. Die öffentliche Aufmerksamkeit für den Terrorismus von links war über Jahre deutlich größer als für die Gefahren von rechts.

Dass es neben den Anschlägen der RAF Anschläge der extremen Rechten gab, drang weit weniger klar in das Bewusstsein der Menschen. Beim Münchener Oktoberfest starben im September 1980 13 Menschen. Der Täter war ein bekannter Rechtsextremer. Das Attentat gilt als das schwerste der deutschen Nachkriegsgeschichte.

Unverstanden blieb der Terrorismus auch von jenen, die nach 1968 einen anderen Weg einschlugen, aber sahen, welche Schlüsse ihre Altersgenossen aus den linken, theoretischen Debatten an den Universitäten gezogen hatten. Man kannte sich, hatte in den gleichen Seminaren und Vorlesungen gesessen, war auf den gleichen Demonstrationen gewesen.

Die Bücher über diese Zeit füllen Bibliotheken: Erinnerungen, Biografien, Bekenntnisse, Dokumentationen und Analysen. Kaum ein Thema der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte ist ähnlich dicht erforscht und beschrieben. Das Drama der gebrochenen Helden, die wie Helmut Schmidt einen guten Bekannten in den Tod schicken mussten, weil es die politische Situation gebot, faszinierte die Drehbuchautoren und Theatermacher.

Wirklich zu verstehen war der Weg der Terroristen nicht

Die beklemmende Welt in Stammheim, in den konspirativen Wohnungen, bei Überfällen und Attentaten, die brutale Gruppendynamik der Mörder mit den hehren Zielen forderte Künstler heraus. Antworten und Erklärungsversuche gibt es viele. Wirklich zu verstehen war der Weg der Terroristen nicht. Man darf all das als Versuche der Bewältigung eines Traumas verstehen: Wie wurden aus den Idealen, die man einst selbst teilte, ganz reale Tote? Wie konnte es passieren, dass die Anklage der Elterngeneration, den Nazis nicht widerstanden zu haben, zu Taten führte, die moralisch nicht zu rechtfertigen waren?

Die extreme Polarisierung der bundesdeutschen Gesellschaft ist nur vor dem Hintergrund des Kalten Krieges zu verstehen, des Konfliktes zwischen dem marxistisch-leninistischen Ostblock und dem demokratisch-liberalen Westen. Sie ist nur vor dem Hintergrund des Konfliktes zwischen Palästinensern und Israelis zu verstehen. Sie ist im Übrigen ein europäisches Phänomen. Die Gesellschaften des Kontinents hatten in der ersten Hälfte des Jahrhunderts vielfach verinnerlicht, politische Konflikte ideologisch zu begründen und gegebenenfalls mit Gewalt zu lösen.

Damit war es 1945 eigentlich vorbei. Aber die Grundtendenz dieses Denkens wirkte fort. Terror gab es in Italien, in Großbritannien und Nordirland, im spanischen Baskenland und auch in Frankreich und Belgien. Die Wurzeln waren unterschiedlich wie auch die Ausprägungen. Das Phänomen indes blieb sich ähnlich.

Der Ost-West-Konflikt endete 1989. Erst 1998 löste sich die RAF endgültig auf. Die meisten Täter sind gefasst und verurteilt. Viele sind inzwischen wieder frei. Die allermeisten haben sich vom Terrorismus distanziert, weil sie den furchtbaren Fehler erkannten, der sie zur Gewalt führte. Mindestens drei Verdächtige der späten Phase laufen noch frei herum. Sie begehen regelmäßig Überfälle meist in Norddeutschland, offenbar, weil sie für ihr Leben im Untergrund Geld brauchen. Das verschaffen sie sich mit Gewalt in Supermärkten und bei Geldtransporten.

Sie haben das Rentenalter erreicht und müssen in der Illegalität ohne Altersversorgung und Krankenversicherung existieren. Die Polizei sucht sie in Deutschland und den Nachbarländern.

Bei der Auflösung 1998 fand sich in den einschlägigen Schreiben kein Wort des Bedauerns für die Opfer, auch nicht für jene, die als Unbeteiligte ins Fadenkreuz gerieten. Ungeklärt ist die Frage, wer Schleyer erschossen hat. Es gibt keinen Zeugen, und die beiden mutmaßlich Beteiligten schweigen. Ungeklärt ist auch, wer Siegfried Buback ermordet hat.

Angehörige bemühen sich um Klärung, doch die Gerichte folgen ihren Argumenten nicht. Ungeklärt sind viele weitere Attentate. Auch wenn die RAF längst zerfallen ist. Darin scheint die unerbittliche Unmenschlichkeit jener Tage ein letztes Mal auf. Diesen letzten Triumph des Verrats gönnen die Frauen und Männer dem Staat nicht.

Heute ist der Terror anders: Er soll möglichst viele Menschen in den Tod reißen

Der Terror heute ist ein ganz anderer. Die frühe RAF ging gegen Verlage oder Kaufhäuser vor, in der zweiten Phase richtete sich die Gewalt gegen Repräsentanten des Staates. Die Angriffe folgten der Logik einer Ideologie, aber sie waren wenigstens in diesem Rahmen nachvollziehbar. Dann fielen den Anschlägen auch Funktionsträger in Militär, Wirtschaft oder Politik zum Opfer – in diesem Zusammenhang stehen die Attentate in Bonn.

Heutige Terroristen versuchen, möglichst viele Menschen mit in den Tod zu reißen. Sie schlagen im Alltag zu, auf der Straße, auf dem Weihnachtsmarkt. Das lässt diesen Terror für die Gesellschaft sehr viel bedrohlicher erscheinen, denn er kann jeden treffen. Die Gefahr für das Gemeinwesen, den Staat und die Demokratie war 1977 deutlich größer.

Die Täter von damals und die Täter von heute unterscheiden sich in ihren Zielen, ihren Ideenwelten, ihren strategischen Überlegungen, ihrem Vorgehen und ihren Aktionen. In ihrer ideologischen Verblendung, ihrer Gewaltbereitschaft und Menschenverachtung gibt es keine Unterschiede. Die Antwort, die die Gesellschaft geben muss, ist die gleiche: Für Terrorismus gibt es keine Rechtfertigung.

Die Erfolglosigkeit der RAF hat genau hier ihre tiefere Ursache. Die Demokratie der gerade 30 Jahre alten Bundesrepublik war so gefestigt, dass die Terroristen ohne Unterstützung blieben. Das Volk ließ sich nicht aufhetzen. Das Kalkül der Täter ging nicht auf. Schmidts Politik des konsequent handelnden Staates war von einer übergroßen Mehrheit getragen. Der Staat darf den Feinden der Demokratie nicht nachgeben, er muss die Freiheit aller schützen. Auch wenn der Preis dafür das Leben von Menschen ist.

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