Pflegekammer in Rheinland-Pfalz Weiße Salbe auf einer offenen Wunde

BONN · In Rheinland-Pfalz wird zum 1. Januar eine Pflegekammer eingerichtet, in der alle Pflegekräfte Mitglied werden müssen. Der Mainzer Landtag sprach sich einstimmig dafür aus. Jetzt gibt es viel Kritik.

 Weil die Menschen immer älter werden, ist die Pflege sicherlich ein weiter wachsendes Berufsfeld.

Weil die Menschen immer älter werden, ist die Pflege sicherlich ein weiter wachsendes Berufsfeld.

Foto: dpa

Tanja Kracht ist sauer. "Ich bin jetzt 25 Jahre im Beruf, doch eine Kammer habe ich bisher noch nicht gebraucht", sagt sie. Die gelernte Krankenschwester führt das Ambulant-Eifel-Pflegeteam in Kelberg und soll als Arbeitgeberin in diesen Tagen 14 Mitarbeiter bei der künftigen rheinland-pfälzischen Pflegekammer anmelden. "Ich muss das tun, sonst drohen Strafzahlungen", sagt die 42-Jährige. Lieber würde sie sich weigern, weil "ich etwas gegen Zwangsmitgliedschaften habe".

Das aber wird nicht möglich sein, denn in der Pflegekammer, die zum 1. Januar 2016 eingerichtet wird, müssen alle Menschen, die im Land in der Pflege tätig sind, Mitglied werden - inclusive eines Jahresbeitrags, dessen Höhe aber noch nicht feststeht. Insgesamt sind das rund 44.000 Menschen.

Auch von Sinn und Nutzen der Kammer ist Tanja Kracht nicht überzeugt. "Wenn ich die Verantwortlichen danach frage, dann erhalte ich immer die Antworten "Mit der Kammer sind wir auf Augenhöhe mit den Ärzten" und "Damit können unsere Interessen besser vertreten werden." Das sei ihr einfach zu pauschal. Schließlich würden die Interessen der Beschäftigten von den Berufsverbänden vertreten, die zum Beispiel mit den Krankenkassen an einem Tisch sitzen und darüber verhandeln, was die Pflege kosten darf. Daran werde sich künftig auch nichts ändern, sagt Kracht.

Einer dieser Berufsverbände ist der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (BPA). Und der sieht die Kammer ähnlich kritisch wie Arbeitgeberin Kracht. "Wir haben einen Fachkraftmangel, bräuchten einen verbesserten Personalschlüssel, um die Pflegekräfte zu entlasten, und durchaus auch höhere Verdienstmöglichkeiten für die Menschen", sagt der Bundes- und rheinland-pfälzische Landesvorsitzende Bernd Meurer, "doch für all das wird die Pflegekammer nicht zuständig sein."

Die Politik müsse "unmittelbar etwas für die Pflege tun". Stattdessen trage sie "weiße Salbe auf eine offene Wunde" auf. Weniger dramatisch sieht das Rote Kreuz die Pflegekammer. "Es wird sich zeigen, ob das eine sinnvolle Geschichte ist", sagt Armin Renz, Bereichsleiter Soziale Arbeit, Pflege beim DRK-Landesverband. Eine einheitliche Meinung haben die Wohlfahrtsverbände - alle Anbieter von Pflegeleistungen - nicht: Der Paritätische nimmt ähnlich wie das DRK eine neutrale Position ein. Die Arbeiterwohlfahrt sieht die Pflegekammer eher kritisch, Caritas und Diakonie bewerten sie positiv.

Die Abgeordneten des Mainzer Landtags haben sich einstimmig für die Einrichtung der Pflegekammer entschieden. Dabei war die Union stets etwas forscher als die rot-grüne Koalition. Die Kammer werde eine "starke Stimme" für alle in der Pflege Tätigen, sagte zum Beispiel der Ahrweiler CDU-Abgeordnete Horst Gies schon Anfang 2013. Mit Hilfe einer starken beruflichen und gesellschaftlichen Vertretung werde der Pflegeberuf sicher attraktiver, so Gies.

Lange gegen die Gründung der Pflegekammer war die Gewerkschaft Verdi. "Wir halten sie auch nach wie vor für überflüssig", sagt Jürgen Dehnert, Sprecher des Landesverbands Rheinland-Pfalz/ Saarland, "weil sie zu einem Bürokratiemonster zu werden droht." Verdi fürchte, dass die Pflegekammer sich nicht so sehr um die Beschäftigten kümmern werde, sondern als "Spielwiese für Leistungsanbieter" diene. Auch inhaltlich meldet Dehnert Bedenken an: Er verstehe nicht, warum die Ausbildung aus der staatlichen Hand in die Kammer überführt werde. Jetzt, wo sie nicht mehr zu verhindern sei, wolle man sie "positiv beeinflussen". Ein Punkt: Der Monatsbeitrag dürfe nicht über zehn Euro liegen. "Alles darüber hinaus wäre absolut daneben."

Was Pflegedienst-Unternehmerin Tanja Kracht überhaupt nicht verstehen kann, ist, wie die Verantwortlichen mit den Zahlen einer Befragung jonglieren. 2012 waren nach GA-Informationen 44.500 Pflegende im Land aufgefordert worden, ihre Meinung zum Thema Kammer zu sagen. 9321 haben sich registrieren lassen, 7033 gaben eine gültige Stimme ab, doch nur 5335 sprachen sich für die Einrichtung einer Kammer aus. Was die Verantwortlichen für die Kammer aber offenbar nicht davon abhielt, damit zu werben, dass bei der Abstimmung der Pflegenden fast 76 Prozent für die Einrichtung der Kammer votiert hätten. Für Kracht ist die Sache klar: "Da stimmt doch etwas nicht."

Ein Blick in andere Länder

Der Aufbau einer Pflegekammer ist in mehreren Bundesländern im Gange. So hat der schleswig-holsteinische Landtag Mitte Juli mit den Stimmen von SPD, Grünen und Südschleswigschem Wählerverband (SSW) ein Kammer-Einführungsgesetz beschlossen. Das niedersächsische Landeskabinett beschloss Anfang Juli, den Entwurf des dortigen Pflegekammer-Gesetzes zur sogenannten Verbandsanhörung freizugeben. Behinderten- oder Seniorenverbände können dabei ihre Meinung zu dem Gesetz mitteilen. In beiden Ländern soll jeder der in der Pflege Tätigen Mitglied werden.

In Bayern hingegen wird derzeit darüber diskutiert, ob es einen freiwilligen Zusammenschluss der Pflegekräfte geben soll. Wohin die Reise in Nordrhein-Westfalen geht, ist noch nicht klar. Laut Gesundheitsministerium liegt dem Landtag ein Antrag von Rot-Grün vor, mit dem die Landesregierung aufgefordert werden soll, die Entwicklung in anderen Ländern wie Rheinland-Pfalz zu beobachten.

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