Regierungsbildung in Berlin War das Nein zur GroKo die richtige Entscheidung der SPD?

BERLIN · Früh legte Martin Schulz nach der Bundestagswahl fest, sich einer großen Koalition zu Verweigern. Vor dem Gespräch des SPD-Chefs bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeiner plagen die Partei Skrupel, ob diese Entscheidung richtig war.

 Ein Bild aus gemeinsamen SPD-Tagen bei der Klausurtagung der Partei in Berlin 2014. An diesem Donnerstag empfängt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (rechts), dessen Parteimitgliedschaft ruht, SPD-Chef Martin Schulz zu einem Vier-Augen-Gespräch.

Ein Bild aus gemeinsamen SPD-Tagen bei der Klausurtagung der Partei in Berlin 2014. An diesem Donnerstag empfängt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (rechts), dessen Parteimitgliedschaft ruht, SPD-Chef Martin Schulz zu einem Vier-Augen-Gespräch.

Foto: dpa

Also heute hoch die Treppe zu Schloss Bellevue. Reden über Deutschland. Martin Schulz muss sich auf ein ernstes Gespräch beim Bundespräsidenten einstellen. Am Mittwoch hat Frank-Walter Steinmeier bei der Preisverleihung des Geschichtswettbewerbes des Bundespräsidenten einen schönen Satz gesagt: „Ein deutscher Bundespräsident zumal, muss über Vergangenes und über die Erkenntnis, die daraus zu gewinnen ist, auch nachdenken, wenn er über die Zukunft spricht.“

Die jüngste Bundestagswahl ist mittlerweile Geschichte. Auch sie wird einmal ein Fall für die Geschichtsbücher. In ihrer Wirkung strahlt sie stark auf Gegenwart und Zukunft aus: Erstmals in fast 70 Jahren Bundesrepublik, so hat es das mahnende Staatsoberhaupt am Montag gesagt, sei eine Regierungsbildung in Deutschland gescheitert.

Welche Erkenntnis daraus zu gewinnen ist, wenn Steinmeier an diesem Donnerstag den SPD-Vorsitzenden Martin Schulz zu einem Vier-Augen-Gespräch in Schloss Bellevue trifft? „Wir werden nicht in eine große Koalition eintreten“, hatte Schulz zum Wochenstart erneut bekräftigt, da war Jamaika wenige Stunden zuvor in der Nacht gescheitert. Dieser Beschluss des SPD-Vorstandes gegen einen Wiedereintritt in eine nächste „GroKo“ fiel einstimmig. Doch fest steht auch: Das Jamaika-Aus hat die SPD kalt erwischt. „Eine Bewährungsprobe, keine Staatskrise“, betonte tags darauf Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble.

Hat Schulz sich zu früh festgelegt?

In der SPD-Bundestagsfraktion hatte sich nach den gescheiterten Jamaika-Sondierungen eine lebhafte Debatte entwickelt. Von fast 50 Wortmeldungen berichtete Johannes Kahrs, einer der Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD-Bundestagsfraktion. Die sehr frühe Festlegung von Schulz bereits kurz nach Schließung der Wahllokale am 24. September, sich einer großen Koalition zu verweigern, betrachten zahlreiche Genossen im Lichte der jüngsten Entwicklung als fragwürdig.

Neben der „GroKo“ hat Schulz für seine Partei inzwischen auch die Tolerierung einer Minderheitsregierung ausgeschlossen. „Das halte ich nicht für praktikabel“, so Schulz. Doch so apodiktisch sehen es nicht alle Spitzengenossen. Bundestags-Fraktionschefin Andrea Nahles will sich die Option, eine Minderheitsregierung zu tolerieren, zumindest offen halten. „Da müssen wir jetzt drüber reden.“ Auch SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel hält eine Minderheitsregierung für denkbar. „Das ist eine Frage, die in Gesprächen auch erörtert werden muss.“

Reden müssen an diesem Donnerstag erst einmal Steinmeier und Schulz. Es geht um: Die Angst der SPD vor diesem Bundespräsidenten, der schon am Montag erkennen ließ, dass er nun von allen Parteien Bewegung erwarte – SPD inklusive. Zwei Akteure mit unterschiedlichen Interessen. Steinmeier, dessen SPD-Mitgliedschaft ruht, seit er Bundespräsident ist, muss als Staatsoberhaupt darauf hinarbeiten, Bewegung in den derzeit stockenden Prozess einer Regierungsbildung zu bekommen.

Demokratie kostet Energie

Seeheimer-Sprecher Kahrs jedenfalls plädiert für eine Neubewertung: „Wir haben jetzt einfach eine andere Lage.“ Der Bundespräsident habe „eine Ansage gemacht“. Was bedeute: „Dann muss auch die SPD sich bewegen. Dann müssen nochmal alle Parteien miteinander reden.“ Alle Parteien müssten nun erneut nachdenken. Dies bedeute jetzt „nicht sofort GroKo, nicht sofort Tolerierung, nicht sofort Neuwahlen“, so Kahrs.

Schulz müsste runter von seiner Festlegung vom Wahlabend: Nein zur „GroKo“. Und er muss auch den SPD-Bundesparteitag in zwei Wochen in Berlin im Auge haben, wo er, der dramatisch gescheiterte SPD-Kanzlerkandidat, wieder für den Parteivorsitz kandidiert. Bislang ist Schulz der einzige Kandidat. Doch wer weiß, vielleicht entwickelt sich angesichts der neuen Lage auch innerhalb der SPD eine neue Dynamik bei der Besetzung des Parteivorsitzes. Ist Schulz am Ende doch noch zu Gesprächen mit den Unionsparteien bereit?

„4 Wochen umsonst. So günstig ist nicht mal …“, wirbt ein großer deutscher Autovermieter dieser Tage in Zeitungsanzeigen für seine Dienstleistung. Das ist böse. Es könnte sich herausstellen, dass die gescheiterten Sondierungen am Ende doch nicht umsonst waren, womit man wieder beim Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten wäre. Was lernen wir für die Zukunft aus dem Blick in die Vergangenheit? „Demokratie ist anstrengend“, hat Bundestagspräsident Schäuble bei seiner Antrittsrede gesagt. Sie kostet Energie. Und vielleicht bekommt das politische Berlin nun eine ganz andere Energiewende.

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