Klinik-Mitarbeiter befragt Verdi-Erhebung: In Krankenhäusern fehlen rund 80.000 Pfleger

Düsseldorf · Patientenversorgung im Akkord und selbst keine Zeit für einen Schluck Wasser. Krankenpfleger schlagen Alarm. Die knappe Personaldecke bringe sie an ihre Grenzen und gefährde das Wohl der Patienten: "Wir spielen jeden Tag Risiko".

 Eine Pflegekraft begleitet eine alte Frau beim Gang über den Flur.

Eine Pflegekraft begleitet eine alte Frau beim Gang über den Flur.

Foto: Oliver Berg

Die Gesundheit von Patienten und Personal wird laut Vereinter Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) durch drastischen Pfleger-Mangel in den deutschen Krankenhäusern gefährdet. Nach Berechnungen der Gewerkschaft fehlen bundesweit rund 80.000 Pfleger in den Kliniken.

Die Gesundheitsexpertin der Gewerkschaft, Sylvia Bühler, stellte heute in Düsseldorf eine neue Erhebung vor. Verdi hatte nach eigenen Angaben von Anfang März bis Ende Mai in 166 Krankenhäusern rund 13.000 Beschäftigte nach ihren Schichtplänen befragt und das Stellendefizit auf dieser Basis hochgerechnet. Demnach müsste die Stellenzahl zusätzlich zu den rund 370.000 Pflegern um 22 Prozent erhöht werden, um alle Schichten in den Krankenhäusern ausreichend zu besetzen.

Die Praxis sehe leider ganz anders aus, berichtete Esther Hasenbeck, Krankenpflegerin im Universitätsklinikum Essen. Im Nachtdienst seien während der Erhebung auf ihrer Station nur zwei Pfleger für 36 Patienten zuständig gewesen. Die Verantwortung, unter diesen Bedingungen für jeden Einzelnen die richtigen Tabletten und Infusionen bereitzustellen und jeden komplett zu versorgen, sei immens. "Da passieren leider Fehler auf menschliche Kosten", berichtet die 32-Jährige über Erfahrungen aus zehn Berufsjahren.

Nach Berechnungen von Verdi müssten die Krankenhäuser im Schnitt schon am 25. eines Monats schließen, weil das Personal bis zu diesem Stichtag bei ausreichender Schichtbesetzung schon aufgebraucht wäre. Natürlich tut das keine Klinik. Wo gibt es also Einschnitte?

"Sparen tun wir hauptsächlich an unserer eigenen Gesundheit", erklärt Hasenbeck. "Es sind bestimmt mehr als 100 Dienste vergangen, wo ich nicht einen Schluck Wasser getrunken habe, weil ich keine Zeit dazu hatte und mit Sicherheit noch mehr Dienste, wo ich nicht auf Toilette gegangen bin oder einmal in ein Butterbrot gebissen habe", schildert sie ihren belastetenden Alltag. "Aber natürlich leidet auch der Patient."

Das weiß auch die Siegener Altenpflegerin Daniela Höfer. Der Personalschlüssel müsse so sein, dass Aufgaben wie Sterbebegleitung, Notfälle, Herzinfarkte, Schlaganfälle, Angehörigen- und Arztgespräche ohne Überforderung des Personals erfüllt werden könnten, fordert die 46-Jährige. Da dies häufig nicht der Fall sei, gäben manche schon während der Ausbildung auf, andere flüchteten sich in Teilzeit oder müssten wegen eines Burnouts aufhören zu arbeiten.

Hinzu komme die schlechte Bezahlung, die Verdi mit fairen Tarifverträgen verbessern will. Ihren Angaben zufolge liegt der Durchschnittslohn für Krankenpflegefachkräfte bei rund 3200 Euro, in der Altenpflege sogar nur bei rund 2600 Euro.

In den Krankenhäusern habe sich das Pfleger-Defizit im Vergleich zur letzten Verdi-Erhebung 2013 um weitere 10.000 Stellen vergrößert, bilanzierte Gesundheitsexpertin Bühler. Die Lage sei in allen Bundesländern etwa gleich schlecht. In der Altenpflege habe Bayern die beste Personalausstattung. In Nordrhein-Westfalen fehlten rund 18.000 Pfleger in den Kliniken.

"Wir haben den Beruf gewählt, weil wir Kranken und Alten helfen wollen", stellt Hasenbeck fest. "Nach spätestens zwei Jahren ist dieser Grundgedanke vernichtet. Wir spielen jeden Tag Risiko. Würdevoll ist zurzeit nichts mehr an unserer Versorgung. Man möchte eigentlich nur noch jeden Tag weinend nach Hause gehen."

Das wollen Hasenbeck und Höfer zusammen mit anderen Demonstranten am Mittwoch bei einer Kundgebung anlässlich der Gesundheitsministerkonferenz (20. bis 21. Juni) in Düsseldorf auch Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) klarmachen. Der Vorsitzende der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, appellierte an die Gesundheitsminister, eine klare Antwort auf die Personalfragen zu geben.

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