Kommentar zur Lage der SPD Tief, tiefer - Neustart

Meinung | Bonn · Der Volkspartei SPD kommt in Etappen das Volk abhanden, im Bund reiht sich Niederlage an Niederlage. Unser Autor meint: Die Sozialdemokraten müssen raus aus ihrem Tief, das langsam chronisch wird.

Die SPD ist eine Volkspartei. Eine Volkspartei in großen Nöten, denn ihr kommt das Volk in Etappen abhanden. Wenn die Genossen ehrlich mit sich sind (und das sollten sie nach 20,5 Prozent bei der Bundestagswahl unbedingt sein), müssen sie registrieren: Immer weniger Menschen wissen, wofür die SPD steht und wofür sie gewählt werden soll. Im Bund reiht sich Niederlage an Niederlage: 2005, 2009, 2013, 2017.

Im November 2009, nach dem Aufprall bei 23,0 Prozent bei der Bundestagswahl wenige Wochen zuvor, beklagte der damalige Vorsitzende Sigmar Gabriel in seiner Antrittsrede, dass die SPD seit 1998 zehn Millionen Wähler verloren habe – damals die Hälfte ihrer Anhänger.

Gabriels Befund: „Eine Partei, der das passiert, hat eines nicht: ein sichtbares Profil.“Schlimmer geht immer. Acht Jahre später sieht es noch schlechter aus. Das Ergebnis der Bundestagswahl ist ein Desaster. Der Patient SPD liegt weiter auf der Intensivstation. 20,5 Prozent Zustimmung kratzen fundamental am Selbstverständnis, eine Partei für eine sehr breite Schicht der Gesellschaft zu sein.

Eine Volkspartei muss den Anspruch haben, den Bundeskanzler zu stellen – oder die Bundeskanzlerin. Davon ist die SPD weiter entfernt denn je, zumal sozialdemokratische Bundeskanzler in Deutschland nur gewählt werden, wenn die Zeiten nach Aufbruch sind.

Die SPD braucht Zeit

Angela Merkel verströmt einen solchen Aufbruch nicht, aber sie verbreitet ein ausreichend großes Gefühl an Gewissheit, dass es für eine Mehrheit stabil weitergeht. Schwer anzugreifen für die SPD. Die traditionsreiche deutsche Sozialdemokratie steckt in der tiefsten Krise ihrer Nachkriegsgeschichte. Sie muss raus aus ihrem Tief, das langsam chronisch wird.

Die Erneuerung der Partei, wieder raus ins Leben, hin zu den arbeitenden Menschen, die Öffnung auch für Nicht-Mitglieder, die SPD als Politikwerkstatt – das alles hat Gabriel schon versucht. Mit ausgebliebenem Erfolg.

Jetzt also macht sich der dramatisch gescheiterte Schulz daran, die SPD als Parteichef zu erneuern. Wenn die SPD es mit ihrer Erneuerung ernst meint, kann sie nicht darauf hoffen, dass Jamaika scheitert. Was sollte ihr Vorteil im Falle von Neuwahlen sein? Die SPD braucht Zeit, kann Schulz eine Phase des Übergangs lassen, aber der nächste Kanzlerkandidat wird nicht Schulz heißen – und möglicherweise weiblich sein.

Die SPD ist eine Volkspartei auf steinigem Weg. Tief, tiefer – Neustart. Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität sind gerade in Zeiten der Globalisierung keine Werte von gestern. Weil auch in der Berufspolitik Menschen agieren, fehlt der Partei einfach der richtige Kandidat oder die richtige Kandidatin, der oder die mitreißt und schon allein durch ihr Auftreten Erneuerung verspricht. Die Suche der SPD geht weiter.

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