Kommentar zur Europawahl in Deutschland Themen verschlafen

Meinung | Bonn · CDU und SPD als Verlierer, die Grünen als klarer Gewinner, die AfD trotz Zuwächsen eingebremst - das sind die wichtigsten Ergebnisse der Europawahl. Diese könnte für Deutschland zur Schicksalswahl werden, kommentiert GA-Chefredakteur Helge Matthiesen.

In der deutschen Politik werden die Karten neu gemischt. Das ist nach diesem Wahlsonntag besonders deutlich. Dabei geht es nicht nur um das Auf und Ab der Wählerstimmen. Offenbar ist da mehr in Bewegung. Die beiden großen Volksparteien sind die Verlierer, die Grünen der strahlende Gewinner. Die AfD scheint eingebremst.

Vorher fiel häufig der Begriff Schicksalswahl: Das könnte diese Europawahl tatsächlich werden. Der große Rechtsruck blieb aus. Stattdessen mobilisierte Europa die deutschen Wähler wie nie zuvor. Das ist eine gute Nachricht. Der Mehrheit der Bürger scheint klargeworden zu sein, welche entscheidende Rolle die Union für ihr Leben und für die Lösung der großen Probleme spielt. Sie nahmen ihr Schicksal in die Hand.

Bedeutung des Themas Klimaschutz unterschätzt

Drei Themen sind für den Wahlausgang in Deutschland und die starken Verschiebungen in der Wählergunst von Bedeutung. Sie werden vor allem von jungen Menschen getragen. Die beiden großen Volksparteien haben ad eins die Bedeutung des Themas Klimaschutz völlig unterschätzt. Nach dem Hitzesommer und der schwierigen Debatte um die Kohle in der großen Koalition überzeugten offenbar nur noch die Grünen.

Das zweite Thema betrifft die Sozialpolitik. Hier ist vor allem das Versagen der SPD auffällig. Offenbar sind Themen der sozialen Absicherung für die überwiegende Zahl der Wähler nicht mehr entscheidend. Eine Politik zu Lasten der nachwachsenden Generationen muss endlich aufhören. Es sind die jungen Wähler, die nicht mehr SPD wählen.

Hinzu kommt das Thema Netzpolitik. Es ist seit dem Aufstieg der Piraten auf der Tagesordnung. Aber weder Union noch SPD haben hier irgendwelche Ideen. Wenn die beiden Parteien weiterleben wollen, müssen sie Antworten finden. Ansonsten erodiert ihre Basis weiter, sofern dieser Prozess, wie im Fall der SPD, überhaupt noch zu stoppen ist.

Die AfD ist offenbar am Ende ihrer Mobilisierungsmöglichkeiten. Ihre Kommunikationsstrategien und ihre Themen verfangen nicht mehr über den engen Kreis ihrer Anhänger hinaus. Sobald nicht mehr über Migration diskutiert wird, fehlt ihr das zündende Thema.

Lokale Besonderheiten in Bremen

Bremen bündelt diese Entwicklungen und reichert sie mit ein paar lokalen Besonderheiten an. Die SPD verliert im Stadtstaat nach 74 Jahren ihre Spitzenstellung. Ein historischer Moment. Aber es gibt weiter eine strukturelle linke Mehrheit aus SPD, Grünen und Linken. Insofern wird es die CDU schwer haben, dort zu regieren. Das wäre bedauerlich, denn ein Regierungswechsel wäre dringend nötig. Symbolisch ist die Niederlage für die SPD kaum zu unterschätzen.

Wie geht es beim Berliner Spitzenpersonal weiter? Es deutet wenig darauf hin, dass sehr viel geschehen wird. Sollte die SPD die Regierung in einem Akt der Verzweiflung verlassen und es käme zu Neuwahlen, brächte das vermutlich ihren Absturz in die Bedeutungslosigkeit. Das wird sie kaum riskieren. Ähnlich geht es CDU und CSU. Sie können nur verlieren, wenn sie jetzt große Veränderungen einleitete.

Wenn es eine Schicksalswahl war, dann vor allem für die SPD. Andrea Nahles hat ihre Konkurrenten um die Führung weggebissen, aber die Krise hört einfach nicht auf. Der SPD fehlt jede personelle Alternative. Sigmar Gabriel erklärte am Samstag seinen Rückzug aus der Politik. Das mag Frau Nahles trösten. Für die Sozialdemokratie ist das sehr bitter.

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