Missbrauchsstudie der katholischen Kirche Strukturen der Kirche begünstigen pädophile Täter

Fulda · Auf der Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz ist die Studie zum sexuellen Missbrauch an Minderjährigen vorgestellt worden. Ergebnis: Die Strukturen der Institution begünstigen pädophile Täter nach wie vor.

In der katholischen Kirche bestehen weiterhin Strukturen, die den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen begünstigen. Das ist das Ergebnis der Studie zum sexuellen Missbrauch an Minderjährigen durch Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige, die am Dienstag während der Herbstvollversammlung der katholischen Deutschen Bischofskonferenz im hessischen Fulda der Öffentlichkeit vorgestellt wurde.

Die Autoren der im Auftrag der Kirche entstandenen Untersuchung hatten 38 156 Personalakten der katholischen Bistümer, aber auch staatliche Strafakten untersucht. Dabei waren sie auf 1670 Missbrauchstäter und rund 3670 Betroffene gestoßen.

Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, der Erzbischof von München und Freising, Reinhard Kardinal Marx, zeigte sich am Dienstag zerknirscht. „Ganz klar muss gesagt werden: Sexueller Missbrauch ist ein Verbrechen“, sagte Marx. „Allzu lange haben wir in der Kirche weggeschaut, vertuscht und wollten es nicht wahrhaben.“ Für allen Schmerz müsse er als Vorsitzender der Bischofskonferenz um Entschuldigung bitten. „Ich empfinde Scham beim Wegschauen von vielen, die den Missbrauch bagatellisiert haben, da schließe ich mich ein.“ Nun müsse die Kirche auf die Betroffenen zugehen und mit ihnen gemeinsam den Missbrauch bekämpfen.

„Das Risiko sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen innerhalb der Strukturen der katholischen Kirche besteht fort und verlangt konkrete Handlungen, um Risikokonstellationen entgegenzuwirken“, sagte dagegen der Leiter der Studie, der forensische Psychiater Harald Dreßing. Er nannte den Missbrauch klerikaler Macht sowie den Umgang der Kirche mit der Homosexualität, dem Zölibat und dem Sakrament der Beichte als mögliche Ursachen.

Opfer überwiegend männlich

Die Betroffenen des Missbrauchs in der katholischen Kirche seien überwiegend männlich gewesen. Das unterscheide sie von Opfern sexuellen Missbrauchs in anderen Zusammenhängen. „Wir sprechen über wiederholte, häufig lang anhaltende Missbrauchshandlungen an Kindern, die oft 13 Jahre und jünger waren.“ Annähernd ein Drittel der Täter hatte eine Neigung zur Pädophilie, in den untersuchten Strafakten wurde bei 20 Prozent der Missbrauchstäter eine homosexuelle Orientierung dokumentiert.

„Die Reaktion der Kirche auf eine erhebliche Anzahl von Fällen des sexuellen Missbrauchs war inadäquat“, sagte Dreßing. „Der Schutz von Institution und Beschuldigten hatte Vorrang vor den Interessen der Betroffenen.“

Die Bundesvorsitzende der Opferhilfsorganisation „Weißer Ring“, die frühere Staatsministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU), forderte, „die Verantwortlichen in der Kirche müssen sich konkret und im Einzelfall gegenüber den Opfern bekennen und auch benannt werden“. Doch genau das ist eine der Schwächen der Studie: Wie sich der Missbrauch auf die 27 deutschen Diözesen verteilte, wird darin nicht benannt. Die Forscher waren im Gegenteil vertraglich verpflichtet, keine einzelnen Bistümer zu nennen.

Müller-Piepenkötter sprach sich zudem dafür aus, dass die Kirche Präventionskonzepte mit den Opfern zusammen entwickeln muss. „Die Würde der Opfer gebietet, dass nicht ohne sie und über ihre Köpfe hinweg gearbeitet wird.“ Ähnliche Forderungen stellte auch der Vorsitzende der Opferorganisation „Eckiger Tisch“, Matthias Katsch. Er plädierte für eine „unabhängige Aufarbeitung der Missbrauchsfälle mit Hilfe einer staatlichen Kommission“.

Kooperation mit dem Staat

„Jetzt wissen wir, dass die ganze Sache System hatte“, sagte Katsch. Die Kirche müsse sich bereit erklären, alle Archive zu öffnen und mit dem Staat zu kooperieren. „Strafrechtlich sind viele Fälle verjährt“, sagte Katsch. „Aber die Opfer wollen wissen, was gewesen ist.“

Zudem sprach sich Katsch dafür aus, statt der bisherigen Anerkennungsleistungen für Missbrauchsopfer Entschädigungen zu zahlen. Der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, der Trierer Stephan Ackermann, zeigte sich offen für beide Forderungen von Katsch. Die weitere Aufarbeitung könne die katholische Kirche jedenfalls nicht alleine leisten. „Wir können es nicht ohne Hilfe von außen.“

Die beim Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung angesiedelte „Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs“ würdigte die Studie als „wichtigen Anfang“. Niemand können nun noch behaupten, es handele sich um Einzelfälle.

Vor allem die innerkirchlichen Machtstrukturen hätten den Schutz der Kinder und die Rechte der Betroffenen untergraben. „Dringend geboten ist eine konsequente Analyse täterfreundlicher Strategien innerhalb der Kirche“, heißt es in einer Stellungnahme. Da der Missbrauch vor allem im Alter des Kommunionsunterrichts begann und Ministranten besonders betroffen gewesen seien, sei eine kritische Überprüfung der Gemeinde- und Seelsorgearbeit nötig. Auch müsse es eine konsequente Auseinandersetzung mit dem Zölibat und der Haltung der Kirche zur Sexualität geben.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Lauterbachs Gesetz führt zu Chaos
Kommentar zu den Folgen der Cannabis-Legalisierung Lauterbachs Gesetz führt zu Chaos
Zum Thema
Aus dem Ressort