Generaldebatte im Bundestag Stehaufmännchen Angela Merkel

Berlin · Bundeskanzlerin Angela Merkel ist angeschlagen und angreifbar. Im Bundestag hat sie jedoch nur wenig zu befürchten.

 Die Generaldebatte war der erste öffentliche Auftritt der Bundeskanzlerin Angela Merkel nach dem Wahldebakel am Wochenende.

Die Generaldebatte war der erste öffentliche Auftritt der Bundeskanzlerin Angela Merkel nach dem Wahldebakel am Wochenende.

Foto: dpa

Angezählt, verletzt und niedergeschlagen ist sie – und rappelt sich doch wieder auf. Die deutsche Turnhoffnung Andreas Toba hat bei den Olympischen Spielen die Zähne zusammengebissen, trotz Kreuzbandriss einfach weitergeturnt, seine Mannschaft dadurch im Wettbewerb gehalten und eine der bleibenden Geschichten von Rio geschrieben. Kein Wunder also, dass der Applaus der Abgeordneten am Dienstagvormittag laut aufbrandet, als der noch an Krücken gehende Sportler auf der Besuchertribüne des Berliner Reichstagsgebäudes begrüßt wird.

Ob die von Bundestagspräsident Norbert Lammert ausgesprochene Einladung etwas mit der politischen Inszenierung dieses Tages zu tun hat, ist nicht überliefert. Gewisse Parallelen zur schwierigen Situation der Hauptrednerin jedoch drängen sich auf. Zumindest in der Unionsfraktion existiert die Hoffnung, die CDU-Chefin möge nach der schweren politischen Verletzung, die sich die Partei am Wochenende in Mecklenburg-Vorpommern zugezogen hat, die richtigen Signale setzen und in die Offensive gehen. „Es ist wichtig, immer wieder aufzustehen“, sagt Andreas Toba.

Angela Merkel weiß, dass diese Generaldebatte wichtig für sie ist. Es ist ihr erster öffentlicher Auftritt in Deutschland nach dem 19-Prozent-Debakel in ihrem Heimatbundesland, der ihre Christlich Demokratische Union auf Platz drei hinter der Alternative für Deutschland verwiesen hat. Ihre eigene Person ist mehr denn je zuvor in den Mittelpunkt der Kritik gerückt, von einer Mecklenburger „Anti-Merkel-Wahl“ ist schon die Rede. Ihr unionsinterner Dauerkontrahent, CSU-Chef Horst Seehofer, hat sich wieder einmal per Interview zu Wort gemeldet, die Lage der Union als „höchst bedrohlich“ und „diese Berliner Politik“ als Wurzel allen Übels an den Urnen bezeichnet. Aus dem Lager des anderen Koalitionspartners, den Sozialdemokraten, hat sich die Bundeskanzlerin in Gestalt von SPD-Vize Ralf Stegner anhören müssen, dass sie ihren „Zenit überschritten“ habe.

All das lässt auch eine Angela Merkel nicht kalt. Von einer „nach diesem Wochenende verständlichen Niedergeschlagenheit“ ist in ihrem Umfeld die Rede. Deshalb muss sie mit dieser Rede herauskommen aus der Opferrolle, die einem Regierungschef schlecht steht und „wieder in den Handlungsmodus kommen“, wie einer der ihren sagt. Zeigen, wer die Hosen an hat in dieser Regierung. Merkels Kostüm, das eigentlich keine Rolle spielen sollte, tut es in diesem Falle doch. Das schwarz-rote Ensemble kommt als Bekenntnis zur Koalition daher – und zum Weitermachen.

Wie Andreas Toba will auch Angela Merkel das Stehaufmännchen machen. Ansatzweise gelingt ihr das. Sie hat eine Reihe von Botschaften parat, die zumindest auch von den CSU-Abgeordneten in der ersten Reihe, Gerda Hasselfeldt und Max Straubinger, eifrig beklatscht werden. Merkel kann auch glänzen, weil es zumindest in dieser Debatte von Seiten der SPD keine Widerworte gibt und die Opposition vor allem die für Verunsicherung sorgende Uneinigkeit in der Regierung beklagt, aber keine echten Treffer landen kann. „Die Situation ist um ein Vielfaches besser als vor einem Jahr“, sagt also die Kanzlerin unter Verweis auf den anfangs unkontrollierten Zuzug von Flüchtlingen.

Sie zählt auf, dass die Politik keineswegs untätig war, obwohl „noch viel zu tun“ sei: schärfere Asylgesetze, verpflichtende Integrationskurse, als sicher eingestufte Herkunftsländer, finanziell unterstützte Kommunen, besser gesicherte EU-Außengrenzen. „Wir haben die Ordnung und Steuerung der Flüchtlingsbewegung in Deutschland erreicht“, hält sie der Obergrenzenrhetorik aus München entgegen. Das liegt für sie auch am Abkommen mit der Türkei, das sie vehement verteidigt: „Bei Seegrenzen geht es nicht anders, als dass man mit dem Nachbarn spricht.“ Vor Staatschef Erdogan kuscht sie dabei aus ihrer Sicht nicht: „Wenn die Türkei Menschenrechte verletzt, wird das beim Namen genannt.“

So lautet ihre Bilanz ein Jahr nach der nächtlichen Entscheidung, die Grenzen für aus Ungarn kommende Flüchtlinge nicht zu schließen, dem symbolischen Höhepunkt ihrer Flüchtlingspolitik. Anschließend kommt sie auf die daraus resultierenden AfD-Wahlerfolge und das Wochenende zu sprechen. Es ihr wichtig, zu betonen, dass die großen Vereinfacher für alle im Bundestag versammelten Parteien ein Problem darstellen, nicht nur für ihre Union. Wie aber damit umgehen? „Von Wählerbeschimpfung halte ich gar nichts“, ruft sie in den Saal und fordert alle Anwesenden auf, ihre Worte zu mäßigen: „Wenn auch wir anfangen, in unserer Sprache zu eskalieren, gewinnen nur die, die es noch einfacher ausdrücken.“

Ohne dass sie den Namen nennt, gibt Merkel damit dem Linken Dietmar Bartsch Recht, der als Fraktionschef der größten Oppositionspartei traditionell die Generaldebatte über den Kanzleretat eröffnet und gesagt hat, dass „Horst Seehofer zum Ergebnis in Mecklenburg-Vorpommern sehr viel beigetragen hat“. Ihrem Plädoyer für die ihr eigene ruhige Rhetorik folgt eines für Sachlichkeit und Treue zu den Fakten, die vom politischen Gegner beiseite gewischt würden: „Wenn wir uns an denen orientieren, die nicht an Lösungen interessiert sind, verlieren am Ende wir selbst an Orientierung“. Sie sagt das, ja, durchaus mit Leidenschaft.

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