Sprache in der Politik Sprachgebrauch bei Flüchtlingsdebatte beeinflusst Gesellschaft

Bonn · Die Debatte um den Umgang mit Flüchtlingen wird dominiert von Begriffen, die technokratisch sind und meist einer Agenda dienen, die den Menschen nicht mehr im Blick hat. Das prägt die Politik und beeinflusst die Wahrnehmung der Situation in der Gesellschaft.

Zwölf Jungs sitzen mit ihrem Fußballtrainer zwei Wochen lang in einer thailändischen Höhle fest und werden dramatisch gerettet – die weltweite Anteilnahme ist überwältigend, die Medien berichten rund um die Uhr, zeigen und beschreiben das Elend der Kinder in der Höhle in Echtzeit. Fifa-Präsident Giovanni Infantino hat die Geretteten sogar zum Finale der Fußball-WM nach Russland eingeladen. Auch wenn sich später herausstellt, dass sie zu dem Zeitpunkt noch gar nicht reisefähig sind. Jeder Überlebende wird bejubelt – jedes Leben zählt.

Im gleichen Zeitraum treiben Hunderte, vermutlich Tausende Menschen in Booten auf dem Mittelmeer. Manche erreichen ihr Ziel, Europa. Viele werden aus ihrer dramatischen Lage gerettet. Hunderte sterben, darunter sicher auch ein paar Jungs, die gerne wieder Fußball gespielt hätten. Von ihnen gibt es so gut wie keine Bilder. Und niemand lädt sie zu irgendetwas ein. Und schon gar nicht nimmt die Welt (spürbar) Anteil am Schicksal derer, die hierzulande schon längst nicht mehr als das beschrieben werden, was sie sind: Menschen.

Natürlich ist die Migration kein singuläres Ereignis wie die eingeschlossenen Jungs in Thailand. Die Frage ist dennoch, warum ihr Schicksal so viele Menschen derart berührt, während zeitgleich mittlerweile mancher sogar darüber diskutiert, ob man die Menschen im Mittelmeer vor dem Ertrinken rettet oder nicht?

Die Antwort beginnt bei der Sprache. Sie prägt die Politik und somit das politische Handeln. Jede Tat, jede Brutalität hat ihre Wurzel in Worten. Und verrohte Worte führen zu verrohten Taten.

Begriffe, meist steril und technokratisch

629 tote Menschen hat die Hilfsorganisation Sea-Watch allein im Juni dieses Jahres im Mittelmeer gezählt – mehr als in den fünf Jahren zuvor in diesem Monat – und das trotz insgesamt deutlich sinkender Flüchtlingszahlen. Doch die Flüchtlingsdebatte ist geprägt von Worten wie „Asyltourismus“, „Ankerzentren“ oder „Zurückweisung“. Von „Festung Europa“ ist die Rede, von „Ordnung“, die wiederhergestellt werden müsse. Begriffe, meist steril und technokratisch, gesetzt von der Politik, verbreitet von den Medien. Die toten Menschen – mehr als 1400 allein im Jahr 2018 –, die täglichen Dramen, die existenzielle Not derer, die fliehen, geraten so völlig aus dem Blickfeld. Sie kommen nur noch als Zahl vor. Oder als Naturkatastrophe: „Flüchtlingswelle“ oder „Flüchtlingsstrom“.

Gerade an den letztgenannten Begriffen lässt sich sehr gut das beschreiben, was in der Kommunikationsforschung als Framing bekannt ist. Dabei geht es – wörtlich übersetzt – um die Einrahmung, die Einbettung von Ereignissen, die mit Hilfe von Begriffen und deren Konotation in ein Deutungsraster eingefügt werden. So lässt sich über die Sprache die Wahrnehmung ein und derselben Sache beeinflussen, denn die Begrifflichkeit definiert das Problem und steckt im Subtext schon mal den Rahmen für eine Lösung ab: „Flüchtlingswelle“ und „Flüchtlingsstrom“ haben etwas Bedrohliches, gegen das man sich schützen muss.

Auf Grundlage solcher Begriffe lässt sich schwer eine seriöse Diskussion führen. Würde man hingegen von „Flüchtlingszuwachs“ oder schlicht „Migration“ sprechen, wäre der Sachverhalt neutral konnotiert und eine sachliche, lösungsorientierte Diskussion wahrscheinlicher. Daran haben Parteien wie die AfD und seit einiger Zeit auch die CSU und Teile der CDU offensichtlich kein Interesse. Durch das erfolgreiche Setzen von Begriffen wie „Flüchtlingswelle“, die 2015 schnell Eingang in die Umgangssprache gefunden haben, wird bewusst ein Frame, also ein Rahmen etabliert, der nur zu einer abwehrenden Lösungsstrategie führen kann.

So weit verbreitet hat sich der Begriff „Asyltourismus“ hingegen zwar nicht, aber an ihm wird offenbar, dass er von CSU-Politikern, die das Wort nachweislich relativ gleichzeitig und scheinbar unabhängig voneinander in Interviews benutzten, ganz bewusst gesetzt wurde, um zu suggerieren, dass Flucht vor allem etwas von Sightseeing-Tour mit Pina Colada auf dem Ausflugsbötchen sei. Die Flucht der Menschen vor Gewalt, Krieg, Folter, Verfolgung, Hunger oder Armut wird damit zur Urlaubsreise umgedeutet.

Der Diskurs wird immer weiter nach rechts gezerrt

Der nötige Diskurs über den Umgang mit Flüchtlingen und die Aufnahmefähigkeit einzelner Länder wird so nicht nur vergiftet, sondern immer weiter nach rechts gezerrt – eine Entwicklung, die auch unterschiedliche politische Positionen immer unversöhnlicher auseinanderdriften lässt. Es ist ein Versäumnis der Kräfte, die für eine humane Politik stehen, eine neutrale Gegenbegrifflichkeit zu etablieren, um eine Sachdebatte zu ermöglichen, in der auch noch Platz für Empathie ist. Immerhin: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat kürzlich Selbstkritik geübt und angekündigt, das Wort „Asyltourismus“ nicht mehr zu verwenden.

Dennoch: Gegenüber der FAZ gab AfD-Chef Alexander Gauland kürzlich zu Protokoll: „Wir versuchen, die Grenzen des Sagbaren auszuweiten.“ Und das mit Erfolg: Was vor Jahren noch undenkbar schien, ist heute bereits sagbar, ohne dass es zu größerer Empörung führt. „Es gibt plötzlich zwei Meinungen darüber, ob man Menschen, die in Lebensgefahr sind, retten oder lieber sterben lassen soll“, schreibt Wolfgang Luef im Magazin der „Süddeutschen Zeitung“. „Das ist der erste Schritt in die Barbarei.“

Der Autor spielt damit darauf an, dass mehrere Schiffe von Hilfsorganisationen, die vom Ertrinken bedrohte Migranten aus dem Mittelmeer retten, derzeit am Auslaufen gehindert werden und dass der Kapitän des Rettungsschiffes Lifeline sich in Malta für sein Tun vor Gericht verantworten muss. Von Italiens neuem Innenminister Matteo Salvini werden Leute wie er als „Vizeschlepper“ verunglimpft und Flüchtlinge als „Menschenfleisch“ bezeichnet. Der AfD-Bundestagsabgeordnete Petr Bystron hat am vorvergangenen Wochenende im Namen der Bundestagsfraktion seiner Partei „Strafanzeige wegen illegalen Einschleusens von Ausländern“ bei der Staatsanwaltschaft Berlin gegen fünf Hilfsorganisationen eingereicht, darunter „Ärzte ohne Grenzen“ oder „Save the Children“. Die Migranten werden dort als „sog. Flüchtlinge“ bezeichnet.

Offenbar Nebensächlichkeiten in einer Öffentlichkeit, die bei der Flüchtlingsthematik durch die verwendeten Begrifflichkeiten längst vergessen zu haben scheint, dass es immer noch um Menschen geht. Und dass deren Rettung und Verbringung in einen sicheren europäischen Hafen durch das Seerecht, das Völkerrecht, die europäische Menschenrechtskonvention und die Genfer Flüchtlingskonvention legitimiert sind.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort