Kommentar zum Verbot von Koranverteilungen Späte Einsicht

Meinung | Bonn · Fünf Jahre lang konnten Salafistenvereinigungen wie "Die wahre Religion" auf Straßen und Plätzen für den Heiligen Krieg werben. Das Verbot kommt spät und wird allein nicht ausreichen, um verlorenes Vertrauen der Bürger zurückzugewinnen.

 Fahnder bringen sichergestellte Dokumente aus der Wohnung in Endenich.

Fahnder bringen sichergestellte Dokumente aus der Wohnung in Endenich.

Foto: Jens Kleinert

Die Razzien sind gelaufen, die Organisation „Die wahre Religion“ ist verboten. Ist damit das Problem gelöst? Mitnichten. Auch wenn das Räderwerk einer Organisation gebremst wurde, die den so genannten Heiligen Krieg legitimierte und junge Männer an die IS-Terroristen vermittelte, bleibt die Gefahr durch islamistische Parallelgesellschaften hoch. Denn zur Wahrheit gehört auch, dass ein Vereinsverbot weder den Terror-Tourismus, noch die Ausprägung unintegrierter Subkulturen aus zornigen, jungen Männern unterbindet. Es liegt auf der Hand, dass sich ihr Milieu bald in neuen Gruppierungen zusammenfindet.

Zurecht ist die Politik für ihr zögerliches Vorgehen gegenüber den Koranverteilern gescholten worden. In den betroffenen Städten hatten vor allem die Kommunalpolitiker den Sturm der Entrüstung auszuhalten. Dass zwischenzeitlich gar versucht wurde, den radikalisierten Gruppen mit Verordnungen des Gewerberechts und kleinkarierten Aktionen der Ordnungsämter entgegenzutreten, wirkte dabei wie eine Bankrotterklärung des Staates. Die Politik wird nun mehr Kraft als für die Unterzeichnung eines Verbotserlasses aufwenden müssen, um beim Bürger Vertrauen zurückzugewinnen. Der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (SPD) versuchte gestern zu suggerieren, Razzia und Vereinsverbot seien Ergebnis der Politik der rot-grünen Landesregierung. Tatsächlich aber sind Vereinsverbote gemäß Zuständigkeit bislang von Bundesinnenministern (der Union) ausgegangen – ebenso wie Razzien. Wo der Wahlkampf beginnt, sind Aktionismus und Geschichtsklitterung nicht fern.

Und noch etwas ließ Jäger beiseite: Während er und seine Kollegen den vermeintlich bedeutenden Schritt im Kampf gegen das Netzwerk von Islamisten feiern, wächst die Salafistenszene rasanter als die Polizeibehörden. Die Minister selbst werden mit betroffener und ernster Miene zumindest indirekt an diesen Umstand erinnern, wenn wieder einmal die erhöhte Terrorgefahr durch Dschihad-Rückkehrer zum Problem wird. Dass die Salafisten in Deutschland nicht vom Himmel gefallen sind, gerät da zuweilen in Vergessenheit. Gerade Bonn ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich islamistische Netzwerke über Jahre in aller Gemütlichkeit etablieren konnten, während sich Politiker, beseelt von multikultureller Spätromantik, durch Schweigen oder Verharmlosen ihrer Verantwortung entzogen und die Entwicklung geradezu befördert haben.

Fast fünf Jahre lang konnten die Koranverteiler die Behörden unter Berufung auf die Religionsfreiheit an der Nase herumführen. Umso couragierter wirkte etwa die einsame Aktion junger Bonner Kommunalpolitiker verschiedener Parteien, die vor einigen Monaten in der Bad Godesberger Fußgängerzone gegenüber dem Salafistenstand ebenfalls ein Buch verteilten: das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.

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