Kanzlerkandidat der SPD Martin Schulz soll Angela Merkel herausfordern

Berlin · Paukenschlag bei den Sozialdemokraten: Parteichef Gabriel überlässt dem Europapolitiker Martin Schulz sein Amt und die Kanzlerkandidatur. Ob die Personalrochade die Chancen der SPD am 24. September erhöht?

 Sigmar Gabriel und Martin Schulz.

Sigmar Gabriel und Martin Schulz.

Foto: dpa

SPD-Chef Sigmar Gabriel verzichtet überraschend auf den Parteivorsitz und die Kanzlerkandidatur - nun soll der bisherige EU-Parlamentspräsident Martin Schulz Kanzlerin Angela Merkel (CDU) herausfordern. „Wenn ich jetzt anträte, würde ich scheitern - und mit mir die SPD“, begründete Gabriel im „stern“ seinen Rückzug. Der 61-jährige Schulz, der neuer Parteichef werden soll, habe „die eindeutig besseren Wahlchancen“. Der bisherige Vizekanzler und Wirtschaftsminister Gabriel will nach Informationen aus Parteikreisen Außenminister werden.

Führende Parteifreunde äußerten Respekt für Gabriels Verzicht. Der linke SPD-Flügel signalisierte Schulz volle Unterstützung. Kritik am Rückzug Gabriels kam von FDP-Chef Christian Lindner, Skepsis gegenüber Schulz von der Linkspartei. Am Abend wollte Gabriel das SPD-Präsidium über seine Zukunft informieren.

Als neue Wirtschaftsministerin soll Gabriels bisherige Staatssekretärin Brigitte Zypries an diesem Mittwoch in einer Sondersitzung der Bundestagsfraktion vorgestellt werden, wie die Deutsche Presse-Agentur aus SPD-Kreisen erfuhr. Die 63-jährige Zypries war von 2002 bis 2009 Bundesjustizministerin.

Der 57 Jahre alte Gabriel ist seit 2009 Chef der SPD. Er hatte den überraschende Wechsel an der Parteispitze nach Teilnehmerangaben in der Sitzung der Bundestagsfraktion erklärt und Schulz als SPD-Chef vorgeschlagen.

Schulz war seit 1994 im Europaparlament und zuletzt dessen Präsident. Er schied Ende 2016 aus diesem Amt aus. In der Bundespolitik ist er ein Neuling. Die Bundestagswahl findet am 24. September statt.

Der bisherige Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) tritt am 12. Februar bei der Bundespräsidentenwahl als Kandidat der großen Koalition an - an seiner Wahl gibt es keinen Zweifel.

Zunächst hatten das Magazin „Stern“ und „Die Zeit“ über Gabriels Verzicht berichtet. Gabriel sagte dem „stern“ zur Begründung für seinen Rückzug: „Das, was ich bringen konnte, hat nicht gereicht.“ Schulz stehe „für einen Neuanfang. Und darum geht es bei der Bundestagswahl.“ Er ergänzte: „Um einen Wahlkampf wirklich erfolgreich zu führen, gibt es zwei Grundvoraussetzungen: Die Partei muss an den Kandidaten glauben und sich hinter ihm versammeln, und der Kandidat selbst muss es mit jeder Faser seines Herzen wollen. Beides trifft auf mich nicht in ausreichendem Maße zu.“

Über seinen Rückhalt innerhalb der SPD sagte Gabriel dem „stern“: „Nicht wenige hadern bis heute mit mir, weil ich damals mehr als 75 Prozent der SPD-Mitglieder davon überzeugen konnte, dass die SPD regieren muss, wenn sie den Mindestlohn, mehr Kitas, sozialen Wohnungsbau und nicht zuletzt mehr Chancengleichheit für Frauen durchsetzen wollte.“

Neben den politischen hätten ihn auch private Gründe zum Verzicht bewogen. Gabriel, der voraussichtlich im März noch einmal Vater werden wird, betonte: „Heute bin ich wirklich ein glücklicher Mensch. Ob ich es auch wäre, wenn ich meine Familie noch weniger sehen würde als jetzt schon, weiß ich nicht.“

Der Sprecher der Parlamentarischen Linken der SPD, Matthias Miersch, sagte: „Wir werden wie eine Eins, egal ob Seeheim oder Parlamentarische Linke, hinter Martin Schulz stehen und mit ihm, denke ich, einen tollen Wahlkampf machen.“ Schulz gehört wie Gabriel dem eher konservativen Seeheimer Kreis innerhalb der SPD an. Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) sagte, die Partei könne Gabriel dankbar sein für diese Entscheidung. „Er hat sie aus einer Position der Stärke heraus gefällt und damit wahre Größe gezeigt.“

FDP-Chef Lindner sieht die SPD und mit ihr die große Koalition „im ungeordneten Rückzug“. Es sei „leichtfertig, die Stabilität Deutschlands in dieser weltpolitischen Situation aufs Spiel zu setzen“. Gabriel werde lauter unfertige Reformbaustellen als Wirtschaftsminister hinterlassen. Für das Außenamt empfehle er sich „nicht gerade durch diplomatisches Geschick“.

Die Linken-Bundesvorsitzende Katja Kipping zeigte sich im Berliner „Tagesspiegel“ skeptisch: „Ob Martin Schulz ein Zeichen für einen fortschrittlichen Politikwechsel wird, ist unbestimmt.“ Linken-Fraktionsvize Klaus Ernst warnte, wer glaube, „mit Schulz geht für die SPD die Sonne auf, der wird irren. Schulz hat bewiesen, dass er ein großes Herz für große Koalitionen hat.“ Diese Richtung werde für die SPD ein weiterer Abstieg sein.

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