Ehemaliger Mitarbeiter über Helmut Kohl "Sein Kapital war seine Volksnähe"

Bonn · Helmut Kohls ehemaliger enger Mitarbeiter Stephan Eisel erinnert sich an die Zusammenarbeit mit dem Kanzler. Weltweit würdigten führende Politiker Kohls Lebensleistung.

Helmut Kohl ist wohl am besten durch das beschrieben, was er einmal über sich selbst sagte: "Ich gehöre nicht zu denen, die morgens den Finger nass machen, um zu sehen, woher der Wind weht, und sich dann möglichst windschnittig aufstellen." So haben ich ihn als Menschen erlebt und das war wohl das Geheimnis seines großen politischen Erfolgs.

Kennengelernt habe ich Helmut Kohl, als er 1978 zu einer turbulenten Studentenveranstaltung an die Universität Marburg kam, wo sich jahrelang kein führender Politiker mehr hingetraut hatte. Kohl ließ sich nicht davon irritieren, dass ihn einige Hundert Studenten niederbrüllen wollten. Nach der Veranstaltung ging er zu unserer Überraschung mit in unsere Stamm-Pizzeria. Die Diskussion ging bis weit nach Mitternacht. Kohls persönliches Auftreten überzeugte mich: Er hörte zu, interessierte sich für unsere Meinung und nahm selbst kein Blatt vor den Mund.

Helmut Kohl ließ es nie an Klarheit fehlen

So habe ich das 1983 bis 1992 auch als Mitarbeiter des Bundeskanzlers Helmut Kohl erlebt. Für ihn spielte die Stellung in der Hierarchie in der Beurteilung von Menschen keine große Rolle. Entscheidend war sein persönliches Vertrauen. Es zu gewinnen, war keine einfache Sache, aber dann konnte man sich auf seine Rückendeckung uneingeschränkt verlassen. Als die Deutsche Botschaft in London einmal wegen einiger Interviews über mich Beschwerde führte, wollte Kohl von mir nicht wissen, was ich wann wo gesagt habe, sondern beschied den Vertreter des Auswärtigen Amtes nur lapidar: "Sagen Sie denen in London: Eisel hat mein Vertrauen."

Helmut Kohl war neugierig und liebte politische Debatten. Er legte großen Wert darauf, dass seine Mitarbeiter ihm gegenüber auch kritische Dinge ansprachen. Ich hatte nie den Eindruck, dass mir aus einem offenen Wort ihm gegenüber Nachteile entstehen könnten. Aber er ließ es auch selbst nie an Klarheit fehlen - zum Beispiel wenn er Vermerke mit seinem charakteristischen schwarzen Filzstifts kommentierte. Da fand sich dann durchaus ein "Der spinnt ja wohl", "So ein Blödsinn", "Absoluter Quatsch!!" auf amtlichen Papieren.

Volksnähe und Verlässlichkeit als großes Kapital

Gegenüber der amtlichen Bürokratie war Helmut Kohl besonders misstrauisch. Als Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz hat er einmal einen persönlichen Freund in der Staatskanzlei animiert, auf dem ordentlichen Dienstweg einen Vermerk auf den Weg zu bringen, in dem der Satz versteckt war: "Der Chef der Staatskanzlei ist ein Esel und muss sofort entlassen werden." Dieser Vermerk wurde vom Referatsleiter, Unterabteilungsleiter, Abteilungsleiter bis hin zum Chef der Staatskanzlei abgezeichnet und so dem Ministerpräsidenten vorgelegt. Kohl rief dann alle zusammen und machte genüsslich klar, dass Vorlagen nicht nur abgezeichnet, sondern auch gelesen werden sollten.

Bei seinen zahlreichen Besuchen in Betrieben oder bei Verbänden war es Helmut Kohl immer wichtig, nicht nur mit Funktionsträgern zusammenzukommen. Ich erinnere mich gut daran, dass beispielsweise die Spitze des Deutschen Fußball-Bundes keineswegs begeistert war, wenn sich der Kanzler beim Mittagessen im Trainingslager nicht an den vorgesehenen Vorstandstisch setzte, sondern zu den Spielern. Helmut Kohls großes Kapital war immer seine Volksnähe und Verlässlichkeit. Da mochte es noch so viel Kritik in Einzelfragen geben, für die meisten Menschen war doch beruhigend, dass - wie es einer seiner Kritiker einmal formulierte - das rote Telefon auf seinem Nachttisch stand. Bei Kohl wusste man, woran man war. So wird er mir in Erinnerung bleiben.

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