TV-Duell vor der Bundestagswahl Schulz greift an, Merkel pariert

Berlin · Die Bundeskanzlerin und ihr Herausforderer liefern sich bei ihrer einzigen direkten Auseinandersetzung dieses Wahlkampfes einen lebendigen Schlagabtausch. Eine Analyse von GA-Korrespondent Holger Möhle.

Jetzt ist der Moment. Die Kandidaten haben sich den Tag frei gehalten. Keine offiziellen Termine, vielleicht tagsüber noch ein letztes Training vor dem Gongschlag 20.15 Uhr, aber darüber schweigen sich die Berater aus. In jedem Fall noch einmal Durchschnaufen vor dem Duell, Luft holen für jene Phase ihres Langstreckenlaufes, in der auch die Reserven entscheiden werden – und das Stehvermögen. Aber jetzt ist erst einmal die Tagesform gefragt. Angela Merkel gegen Martin Schulz, Amtsinhaberin gegen Herausforderer.

Schulz wird angreifen, sie wird parieren. Es wird ein sehr offener Schlagabtausch: über den richtigen Kurs gegenüber der Türkei, über den Kurs gegenüber der Autoindustrie beim Pfusch mit dem Diesel, über den Umgang mit Terrorhelfern und Gefährdern, über Flüchtlinge und auch über die Fußball-WM 2022 in Katar. Sowohl Schulz als auch Merkel antworten auf die Frage, ob sie den Austragungsort Katar gut finden mit einem klaren „Nein“.

Schon Stunden vor dem Duell haben sich draußen vor dem Studio G in Berlin-Adlershof die beiden Fan-Gruppen postiert. Junge Union wie auch die Jusos karren in Bussen Unterstützer vor das Fernsehstudio. Die JU bietet nach eigenen Angaben etwa 200 Anhänger auf, die Jusos rund 100 Unterstützer, darunter zwölf Schulz-Fans, die eigens aus Brüssel angereist sind. Stadionatmosphäre. Die Jusos singen: „Schade Angie, alles ist vorbei.“ Die JU gibt zurück: „Wir sind Kanzler, was seid ihr?“ Dazu halten JU-Mitglieder noch Plakate mit der Aufschrift hoch: „Möge die Bessere gewinnen!“ Die Jusos trommeln auf Bongos dagegen und skandieren: „Mindestlohn, Mindestlohn.“ Der Gegner kontert: „JU eins, Jusos nuuull!“

Nuancen entscheiden Auseinandersetzung

Dann kommen die Duellanten. Erst Schulz, dann Merkel. Ein wenig ist es wie vor einem Endspiel, obwohl dieses Fernsehduell allenfalls eine Art Halbfinale sein kann – exakt 21 Tage vor der Bundestagswahl am 24. September. Nuancen werden diese Auseinandersetzung entscheiden, wenn überhaupt. Als Schulz' kleine Wagenkolonne um 19.14 Uhr auf den Eingang des Studios zurollt, schwillt der Jubel der Jusos an, doch Schulz nimmt seine Anhänger zunächst nicht richtig wahr. Der SPD-Kanzlerkandidat steigt aus dem Auto aus und geht in Richtung Spielertunnel, wo er erst die Chefredakteure der Sender begrüßt. Nach einer Minute kommt Schulz dann doch auf die andere Straßenseite. Um 19.23 Uhr rollt Merkels Kolonne vor.

Die CDU-Chefin steigt aus und geht schnurstracks auf die JU-Jubelgruppe zu. Schnell zwei Selfies mit der Kanzlerin, dann ist auch Merkel im Studio verschwunden. Dann geht es los. Aufschlag Schulz, der als Herausforderer die erste Frage bekommt. Warum die Menschen ihm nach einer Anfangseuphorie nicht in größerem Maß vertrauen wollen? Schulz spricht über verlorene Landtagswahlen, „bitter“, aber beinahe die Hälfte der Wähler seien noch unentschlossen. Schulz hält Merkel vor, sie unterlaufe mit ihrem Politikstil „kontroverse Debatten“ und betreibe „Demokratie im Schlafwagen“. Merkel kontert: „Also, ich habe die SPD als sehr streitbaren Koalitionspartner kennengelernt.“

Merkel und Schulz sind schnell im Spiel

Von wegen keine Kontroverse. Merkel und Schulz sind schnell im Spiel. Beispiel Flüchtlingspolitik: Die Bundeskanzlerin betont mit Blick auf den Spätsommer 2015 und die unbürokratische Hilfe für Zehntausende Flüchtlinge, die in Ungarn gestrandet waren: „Es musste entschieden werden. Ich hatte null Hoffnung, dass Viktor Orban seine Einstellung verändert.“ Schulz ist sofort zur Stelle. Man hätte die Partner in Europa mehr einbinden müssen.

Schulz setzt nach: Würde er Bundeskanzler, werde er sich dafür einsetzen, die Beitrittsgespräche der EU mit der Türkei abzubrechen. Merkel folgt der Linie, sie werde eine Ausweitung der Zollunion mit der Türkei nicht mitmachen. Merkel: „Die Türkei entfernt sich in einem atemberaubenden Tempo von allen diplomatischen Gepflogenheiten.“ Es dürfe auch nicht toleriert werden, wenn in Moscheen in Deutschland zu Hass und Gewalt aufgerufen werde.

„Neugier auf das Neue“

Hoffnung, Glaube, Regierung. Wer zuletzt in einer Kirche war? Schulz noch am Sonntag in einer Kapelle in Sacrow bei Potsdam, Merkel tags zuvor bei einem Gedenkgottesdienst zum Todestag ihres Vaters. Schulz baut schnell die Brücke: „Wahrscheinlich haben wir im stillen Kämmerlein beide gebetet.“

Aber dann wieder Realpolitik. Schulz will Merkel zum Diesel-Treffen mit mehr als 30 Kommunen an diesem Montag in Berlin flugs noch Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) vorbeischicken. Dann könne man sich sehr schnell über Sammelklagen für geprellte Autokunden einigen.

Merkel betont, mit ihr werde es keine Rente erst ab 70 geben. Schulz nimmt sie beim Wort: „Find' ich toll. Frau Merkel bezieht hier eine ganz klare Position.“ Wie vor vier Jahren bei der Pkw-Maut. Schulz betont, es gehe darum, Zukunft zu gestalten und nicht Vergangenheit zu verwalten. Er drückt sich vor einer Absage einer Koalition mit der Linken. Merkel wiederum wirbt mit ihrer Erfahrung und ihrer „Neugier auf das Neue“. Dann ist sie wieder bei ihrem Satz: „Ich glaube, dass wir das gemeinsam schaffen können.“ Erst einmal haben es dann beide geschafft: nach 97 Minuten.

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