Kommentar zum deutsch-türkischen Verhältnis Reden Ja, trauern Nein

Meinung | Berlin · Dass die Türkei nun eine neue Seite aufschlagen möchte, lässt etwas hoffen. Aber für ein "Schwamm drüber" ist in der letzten zeit zu viel passiert, kommentiert GA-Korrespondentin Kristina Dunz.

Angela Merkel ist Meisterin einer ganz besonderen Disziplin: „Schwamm drüber“. So hat sie reagiert, als Kanzlerkandidat Martin Schulz ihr im Wahlkampf allen Ernstes einen „Anschlag auf die Demokratie“ vorwarf, weil sie sich vor hartem politischen Streit in der Öffentlichkeit scheut.

So hat die derzeit nur geschäftsführende Kanzlerin auch jüngst wieder eine Überheblichkeit des SPD-Generalsekretärs Lars Klingbeil pariert, der davon sprach, seine Partei hätte nur einen halben Tag länger über den gemeinsamen Koalitionsvertrag verhandeln müssen, dann hätte sie auch noch das Kanzleramt bekommen. Und so hat sie auch auf internationaler Bühne manche Provokation ignoriert.

„Schwamm drüber“ geht aber nicht im Fall der Türkei. Da kann Ministerpräsident Binali Yildirim noch so freundlich vorschlagen, jetzt eine neue Seite aufzuschlagen und die Vergangenheit zu vergessen. Denn in dieser Vergangenheit ist zu viel passiert. Deutschland muss gewarnt sein, dass Ankara nicht der verlässliche Partner ist, der er vor Jahren zu werden schien. Die Inhaftierung deutscher Staatsbürger aus ganz offensichtlich politischen Gründen gehört zu den wundesten Punkten.

Freilassung von Yücel wäre erster Schritt

Die Türkei erweist sich keineswegs als Rechtsstaat wie Yildirim der deutschen Öffentlichkeit glauben machen will. Sonst hätte der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel nicht schon sage und schreibe ein Jahr im Gefängnis ohne Anklage hinter sich. Mit ihrem Feldzug gegen unliebsame Bürger nach dem Putschversuch im Sommer 2016 ist die Türkei auch weit von Demokratie entfernt. Und das von Präsident Recep Tayyip Erdogan zielsicher angestrebte und von Yildirim unter geplanter Aufgabe seines eigenen Amtes beförderte Präsidialsystem spricht Bände.

Dazu kommt die absolut bedrohliche Lage in Nord-Syrien, wo die türkische Armee in Afrin gegen die Kurdenmiliz YPG vorgeht. Die YPG ist aus Sicht der USA ein verlässlicher Partner im Kampf gegen die Terrororganisation Islamischer Staat. Die Drohung gegen Washington mit einer „osmanischen Ohrfeige“ weckt schlimmste Befürchtungen, dass der Nato-Partner Türkei in Syrien bald vom Nato-Partner USA unterstützen Truppen gegenüberstehen könnte.

Denn die angedrohte Ohrfeige meint nichts anderes als einen so kräftigen Schlag, dass der Gegner niedergestreckt wird. Die Stimmung ist vergiftet, Vertrauen zerstört. Merkel kennt Erdogan aber lange genug, um zu wissen, dass gerade er gesichtswahrende Lösungen braucht, weil er sonst niemals einlenken kann.

Reden besser als schweigen

Der erste Schritt zu Yildirims Angebot, eine neue Seite aufzuschlagen, muss sein, dass Ankara Yücel jetzt endlich freilässt – und mit ihm die anderen deutschen Staatsbürger. Und das ohne ein Zugeständnis von Merkel. Ohne ein Einknicken bei Rüstungsexporten, und wenn es nur die gewünschte Nachrüstung der Leopard-Panzer zum Schutz vor Minen wäre. Wo dieses Kriegsgerät hinrollen und Krisen selbst innerhalb der Nato auslösen kann, ist wieder einmal schmerzlich bewiesen.

Dass die Türkei, die international massiv unter Druck geraten ist, schwierige deutsch-türkische Vergangenheit vergessen machen will, lässt zwar ein Fünkchen Hoffnung aufkommen. Und reden ist immer besser als schweigen. Trauen darf man Ankara aber nicht.

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