Beginn des neuen Schuljahrs Rechnung mit vielen Unbekannten

Bonn · Sylvia Löhrmann hält viel davon, die Schulen an der langen Leine laufen zu lassen. So sei sie schon früh Anhängerin des Projekts selbstständige Schule gewesen, sagt die Ministerin an diesem Freitagmorgen. Also dafür, dass die Schulen über Vieles eigenständig entscheiden: etwa über Budgets oder auch Lehrereinstellungen.

 In rund 40 Turnhallen in Nordrhein-Westfalen sind derzeit Flüchtlinge untergebracht. Sportunterricht soll trotzdem stattfinden: auf Sportplätzen, im Wald oder im Schwimmbad.

In rund 40 Turnhallen in Nordrhein-Westfalen sind derzeit Flüchtlinge untergebracht. Sportunterricht soll trotzdem stattfinden: auf Sportplätzen, im Wald oder im Schwimmbad.

Foto: dpa

Wenn es aber darum geht, Erleichterungen für die Kinder und Jugendlichen auf dem Weg zum Turbo-Abitur umzusetzen, dann will Löhrmann die Gymnasien an die kurze Leine nehmen. "Es gibt schon viele, die zum Beispiel Hausaufgabenkonzepte haben und konkrete Entlastungen umsetzen", sagt die NRW-Schulministerin. Viele andere aber hätten bisher nur in Schulkonferenzen darüber beraten, was man denn tun könne. "Hier müssen wir stärker kontrollierend rangehen und den Prozess enger begleiten", so Löhrmann.

Konkret: Bis zum Beginn des Schuljahrs 2016/17 müssen die in einem Zehn-Punkte-Plan aufgeführten Vorgaben des Ministeriums, die auf die Empfehlungen des sogenannten Runden Tischs zurückgehen, umgesetzt werden. Dabei geht es etwa um weniger Klassenarbeiten, Hausaufgaben und Erleichterungen beim Nachmittagsunterricht im achtjährigen Gymnasium (G8). Eine Volksinitiative zur Rückkehr zum G9 hatte über 100 000 Unterschriften gesammelt. Löhrmann - unterstützt von einer breiten Mehrheit im Landtag - lehnt dieses Bestreben ab. Auch deshalb, weil die Ministerin keine grundsätzlichen Veränderungen will, wie sie sagt. Die Schulen sollen Zeit haben, "sich auf die inneren Schulentwicklungsprozesse zu konzentrieren".

Derweil ist der Wandel des Schulsystems unübersehbar. Seit dem von Rot-Grün mit der CDU 2011 vereinbarten Schulkonsens - weshalb Löhrmann auch vier Jahre später noch die damaligen Landes- und Fraktionsvorsitzenden der Union, Norbert Röttgen und Karl-Josef Laumann, dankt - gibt es rund 150 Haupt- und zehn Realschulen weniger. Weitere 250 Haupt- und 160 Realschulen laufen aus. Dafür gibt es nun gut 120 Sekundar- oder Gemeinschaftsschulen sowie 80 Gesamtschulen mehr als vor dem Konsens. Für Löhrmann ist klar: "Das Konzept des längeren gemeinsamen Lernens ist aufgegangen, weil es von den Schulen und den Eltern gewünscht ist."

Auch bei der Inklusion sieht die Ministerin nur Positives. Im neuen Schuljahr besuchen gut 39 Prozent der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf eine Regelschule. Vor zehn Jahren waren es gerade zehn Prozent. Was Löhrmann eine Folge des Elternwahlrechts nennt, stößt in den Schulen oft auf Kritik. Lehrerorganisationen wie der Verband Bildung und Erziehung (VBE) sehen die Schulen nicht ausreichend ausgestattet. Die CDU bemängelt zu große Inklusionsklassen, zu wenige Sonderpädagogen und zu wenige Fortbildungsmöglichkeiten. Dass noch Einiges im Argen liegt, hat die Regierung offenbar erkannt und die Anzahl der "Inklusionsfachberater" auf 100 verdoppelt.

Doch die größte Baustelle für die Schulverwaltungen in Ministerium, Bezirksregierung, Kreisen und Kommunen dürfte die Integration der Flüchtlingskinder in den Schulalltag sein. Dabei weiß das Land nicht einmal, wie viele es im neuen Schuljahr überhaupt gibt. Löhrmann spricht von vermutlich etwa 10 000, doch ob das auch so sein wird? Wie viele Kinder und Jugendliche können in die Regelklassen gehen? Wie viele müssen in Vorbereitungs-, Auffang- oder anderen Förderklassen unterrichtet werden? "Niemand kann im Moment sagen, wo welche Gruppe entsteht", sagt Löhrmann.

Klar ist nur, dass alle der Schulpflicht unterliegen, wenn sie aus den Erstaufnahmelagern auf die Kommunen verteilt werden. Noch im Juni hat die Landesregierung 674 Lehrerstellen geschaffen, um den wachsenden Unterrichtsbedarf aufgrund der Zuwanderung abzusichern. Zusätzlich gebe es 300 Stellen zur besonderen sprachlichen Förderung, sagt die Ministerin. Davon seien die meisten schon besetzt. Doch Lehrergewerkschaften und Opposition glauben an einen höheren Bedarf.

Sehr schön findet Löhrmann, dass sich einige Jugendliche aus Afrika und Asien, die selbst vor wenigen Jahren noch Flüchtlinge waren, gemeldet hätten, um ehrenamtlich an die Schulen zu gehen und so der Gesellschaft etwas zurückzugeben und dass seit Sonntag 57 ehemalige Lehrer ihre Unterstützung angeboten hätten. Dass insgesamt 40 Turnhallen im Land zum Schuljahresbeginn nicht zur Verfügung stehen, ist für die Ministerin kein Grund, den Sportunterricht ausfallen zu lassen. "Es gibt doch auch Sportplätze, Schwimmhallen oder den Wald." Die Schulleitungen könnten selbst entscheiden, was sinnvoll ist. Ein Erlass aus Düsseldorf sei dafür nicht nötig. Ein Fall also, in dem Löhrmann die Schulen wieder an der langen Leine lässt.

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