Kommentar zum Solingen-Gedenken Politikversagen

Meinung | Solingen · Der Brandanschlag von Solingen erschütterte vor 25 Jahren das Vertrauen der Zuwanderer in die Deutschen. Seitdem verschleppt die Politik die dringende Frage nach einem Einwanderungsgesetz - aus Feigheit, findet GA-Chefredakteur Helge Matthiesen.

 Die Namen der fünf Opfer des Brandanschlages von Solingen im Jahr 1993 stehen auf einer Schleife. Ein Blumenkranz erinnert an die fünf Menschen, die bei einem Mord starben.

Die Namen der fünf Opfer des Brandanschlages von Solingen im Jahr 1993 stehen auf einer Schleife. Ein Blumenkranz erinnert an die fünf Menschen, die bei einem Mord starben.

Foto: dpa

Es ist wichtig, sich an die frühen 1990er Jahre zu erinnern. An die aggressive politische Debatte in Deutschland, die in mehrere Anschläge gegen Ausländer mündete. Die fünf Todesopfer in Solingen wogen damals besonders schwer, weil viele Menschen im Bergischen Land eigentlich davon ausgingen, ein entspanntes Verhältnis zu ihren türkischen Nachbarn zu haben. Die waren als Arbeitskräfte nach Deutschland geholt worden. Viele fanden eine neue Heimat, weil die Region eine lange Tradition hat, Menschen zu integrieren, die von irgendwoher kamen, um Geld zu verdienen.

Der Anschlag war weit mehr als ein politischer Kriminalfall. Er erschütterte das Vertrauen Tausender Zuwanderer an Rhein und Ruhr, die bis dahin nicht konfliktfrei, aber weitgehend friedlich mit ihren deutschen Nachbarn gelebt hatten. Gelingende Integration braucht zwei kooperative Seiten, damit sie funktioniert: Die Minderheit, die sich anpasst, und die Mehrheit, die das zulässt.

Das ist jetzt 25 Jahre her, und viele sagen, es sei seitdem eigentlich nicht viel besser geworden. Dieses Urteil greift zu kurz, denn es blendet aus, wie sehr sich das Thema ausdifferenziert hat. Es gibt viele Menschen in Deutschland, deren Vorfahren aus der Türkei kamen, die inzwischen ganz normale deutsche Staatsbürger sind, die ihre Steuern zahlen und Verwandte haben, die Meier, Müller oder Schmidt heißen.

Es sind inzwischen neue Gruppen hinzugekommen, die neue Integrationshemmnisse mitbrachten. Die Polarisierung durch den radikalen Islamismus, den Terror und die Kriege im Nahen Osten, der wachsende Nationalismus in der Türkei, der Zerfall der arabischen Staaten und die Armutsmigration haben eine ganz neue Lage geschaffen. All das hat auch in der deutschen Gesellschaft zu einer neuen Konfrontation geführt. Die Kanzlerin hat recht, wenn sie davor warnt, Menschen auszugrenzen und sie verbal hart anzugreifen. Die Folgen sind unabsehbar und die Lösung von Integrationsthemen wird dadurch schwieriger. Zwang, Gewalt und Drohung werden kein Integrationsproblem lösen.

Der eigentliche Skandal dieser 25 Jahre ist jedoch die Untätigkeit der Politik. Schon 1993 diskutierte das Land über ein Einwanderungsgesetz, das Asylbewerber von Arbeitsmigranten unterscheiden sollte. So ein Gesetz könnte helfen, Integration zu vereinfachen.

Heute ist Deutschland nicht einen Schritt weiter. Daher ähneln die Debatten von heute so sehr denen der frühen 1990er Jahre. Schuld ist die Politik, die aus Feigheit eine zentrale Frage der Gegenwart nicht löst. Migration wird ein Thema bleiben, ob wir mögen oder nicht. Ein Land in der Mitte Europas kann sich dieser Erkenntnis nicht verweigern, wenn es eine friedliche Zukunft haben will. Es wäre dringend erforderlich, sich dieser Realität endlich zu stellen.

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