Bundestagswahlkampf Pfeifkonzert und Buh-Rufe bei Merkel-Auftritt in Torgau

Torgau · Bei Auftritten der Bundeskanzlerin zwischen Ostsee und Erzgebirge rührt sich mittlerweile vernehmlich Widerstand gegen ihre Politik – wie am Mittwochabend im sächsischen Torgau.

Hier ist also so ein Ort, über den sich Angela Merkel nicht beklagen will. Auch wenn die Menschen sie ausbuhen und auspfeifen, wie an diesem Mittwochabend im sächsischen Torgau, 50 Kilometer nordöstlich von Leipzig. Die CDU-Vorsitzende hat in diesem Wahlkampf auch zu spüren bekommen: Die einstmals neuen Bundesländer sind in Teilen für sie mittlerweile zum feindlichen Osten geworden.

Hier, wo sie aufgewachsen ist, wo sie die Mentalität der Menschen kennen sollte, schlägt ihr regelrecht Feindseligkeit entgegen, wenn sie für ihre Politik wirbt. Merkel bekommt zu spüren: Als Kanzlerin ist sie vielen Menschen im Osten fremd geworden. Vor zwei Wochen in Bitterfeld, dem einst durch die Hinterlassenschaft der DDR-Chemieindustrie schmutzigsten Flecken Europas, haben zahlreiche Besucher einer CDU-Wahlkampfveranstaltung die Bundeskanzlerin ausgebuht. „Merkel muss weg“, haben sie gerufen und dabei auch ein Schild hochgehalten, auf dem geschrieben stand: „Früher habe ich CDU gewählt, heute will ich Merkel im Gefängnis sehen.“

An diesem Abend in Torgau, 18 Tage vor der Bundestagswahl, ist der Protest gegen Merkel schon vor ihrem Auftritt vernehmlich. Weit eine Stunde bevor die Bundeskanzlerin die Bühne auf dem Marktplatz der 20.000-Einwohner-Stadt in Nordsachsen betreten wird, machen Anhänger der rechten Alternative für Deutschland (AfD) trotz Dauerregens Stimmung. „Volksverräter“ und „Nato-Kriegstreiber“ steht auf einem Plakat. Dazu die Forderung: „Abwählen.“ Die örtliche CDU hält mit einer Partyband dagegen: „Ein Hoch auf uns, auf dieses Leben.“ Vor drei Wochen in Annaberg-Buchholz musste Merkel erstmals erleben, dass Sachsen, wo die CDU seit der Wende ohne Unterbrechung regiert, nicht mehr ein quasi natürliches Pflaster für ihre Politik und für Auftritte ohne Protest ist. Langsam werden die Regionen zwischen Ostsee und Erzgebirge zur unangenehmen Zone.

Die CDU-Vorsitzende hat zu dem Widerstand, den sie bei ihren Auftritten in Ostdeutschland mittlerweile erlebt, vor zwei Wochen in ihrer Sommer-Pressekonferenz gesagt: „Ich finde es besonders wichtig, dass ich deshalb in vielen Städten der neuen Bundesländer auftrete, weil ich gerade auch Menschen ermutigen möchte, dorthin zu kommen und eben auch Flagge gegen das Gebrüll zu zeigen, das es da ja zum Teil gibt. Damit muss man leben. Das ist Demokratie.“ Die rechte AfD macht vor allem im deutschen Osten besonders stark mobil gegen Merkel. Hier in Sachsen erhielt sie bei der Landtagswahl 2014 aus dem Stand 9,7 Prozent. Im Nachbarland Sachsen-Anhalt waren es im vergangenen Jahr gar 24,3 Prozent.

Der Marktplatz in Torgau ist proppenvoll. Die AfD-Ecke empfängt Merkel mit einem gellenden Pfeifkonzert. Merkel kann es nicht überhören: Der Widerstand hier in der ostdeutschen Provinz gegen sie ist gut organisiert. Merkel erzählt in Torgau ihren Zuhörern und Gegnern, sie habe während des Tages Vertreter der Opposition aus Venezuela empfangen. Und was soll sie sagen: Die Opposition in dem südamerikanischen Land wäre froh, wenn sie so demonstrieren könnte wie hier in Torgau. „Darauf können wir stolz sein“, ruft Merkel in die Menge, wo sich der Widerstand über die gesamte Dauer ihrer Rede gar nicht beruhigen will. Die Polizei schickt zur Sicherheit eine Drohne über den Platz. „Es ist gut so, dass wir heute eine Situation haben, bei der es zwar ein bisschen schwieriger ist, aber in der sich die Menschen frei entfalten können“, sagt die Bundeskanzlerin mit Blick auf die Weltlage, aber eben auch mit Blick auf den Marktplatz von Torgau. Der Protest ebbt nicht ab.

Digitalisierung, Wohlstand, Wirtschaftswachstum verfangen als Themen nur bei einem Teil des Publikums. Merkel absolviert ungerührt ihr Programm. Sie weiß: Das Aushalten von Protest gehört zu ihrem Job.

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