Michelle Müntefering im Porträt Novizin mit heiklem Job

BERLIN · Michelle Müntefering (SPD) bestreitet ihre erste Legislaturperiode im Bundestag als Vorsitzende der deutsch-türkischen Parlamentariergruppe. Die derzeitigen Veränderungen der Länderbeziehung hatte sie nicht erwartet.

Die SPD-Politikerin Michelle Müntefering. (Archivfoto)

Die SPD-Politikerin Michelle Müntefering. (Archivfoto)

Foto: picture alliance / dpa

Erste Legislaturperiode im Bundestag und dann gleich dieser Job: Vorsitzende der deutsch-türkischen Parlamentariergruppe im Bundestag. Ein Stück Holz für eine Novizin. Michelle Müntefering ist selbst erstaunt über die Wucht, mit der sich das Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei in den vergangenen gut drei Jahren verändert hat. Dass daraus inzwischen fast eine Unwucht geworden ist, war mit dem Eintritt in die laufende Wahlperiode nicht abzusehen.

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und einige seiner Minister überziehen Deutschland mit unsäglichen Nazi-Vergleichen, weil Vertreter der türkischen Regierung nicht mit Auftritten in Deutschland für Erdogans Verfassungsreferendum werben dürfen. Angela Merkel wird von Erdogan gar unterstellt, die Bundeskanzlerin unterstütze (PKK-)Terroristen.

Und jetzt wird auch noch öffentlich, dass der türkische Geheimdienst offenbar in großem Stil Anhänger der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen in Deutschland ausspioniert haben soll. Geheimdienstarbeit ist heikles Terrain. Müntefering möchte sich dazu aktuell nicht äußern. Doch das deutsch-türkische Verhältnis sieht die SPD-Politikerin in einer reichlich kritischen Phase: „Erdogan droht ja alles kaputt zu machen, was er in seinen Anfangsjahren aufgebaut hat“, sagt sie jetzt in einem Zimmer des Jakob-Kaiser-Hauses in Berlin.

Wie sich das Verhältnis der Bundesregierung zur Regierung in Ankara nach dem 16. April, dem Tag des türkischen Verfassungsreferendums, entwickeln wird, ist für sie offen. Natürlich abhängig vom Ausgang des Referendums. Doch beschleicht sie eine Ahnung: „Erdogan ist auf einem Kurs der Autokratisierung, von dem ich befürchte, dass er ihn weiter gehen wird.“ Müntefering, bald 37 Jahre alt und seit Ende 2009 mit dem früheren SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering verheiratet, hat auch in ihrem Wahlkreis Herne-Bochum II erfahren, dass die Frage der Zustimmung oder Ablehnung Erdogans schon türkische Familien in der deutschen Gesellschaft tief gespalten hat, so weit, dass Brüder nicht mehr miteinander reden.

Immerhin wird unter den Abgeordneten beider Nato-Partner weiter geredet. Anfang Februar ließ Ankara die deutsch-türkische Parlamentariergruppe, darunter türkisch-stämmige Abgeordnete wie der Grüne Özcan Mutlu, doch noch zu einem Besuch ins Land. Nach mehreren Anläufen, weil die Türkei den Besuch immer wieder erschwert hatte. Hohe Sicherheitsstufe: Für jeden Abgeordneten hatte das Bundeskriminalamt einen Personenschützer mit auf die Reise geschickt. Die Atmosphäre bei ihrer Ankunft wie auch in den späteren Gesprächen sei dann doch deutlich besser gewesen als erwartet. Reden lohnt sich eben doch. „Politik ist das langsame Bohren dicker Bretter“, zitiert Müntefering den Soziologen Max Weber auf ihrer Homepage. Im Ruhrgebiet wiederum würde man sagen: „Politik ist eben auch nur Maloche.“

Und Außenpolitik ist ein weites Feld mit dem deutsch-türkischen Verhältnis unter aktuell besonderer Spannung mittendrin. Natürlich ist da der Flüchtlingsdeal zwischen der Türkei und der Europäischen Union. Und natürlich will Müntefering die Verhaftung führender Politiker der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP nicht ignorieren – damals wenige Tage vor dem Besuch der deutsch-türkischen Parlamentariergruppe. Müntefering glaubt, dass die Türkei unter Erdogan dabei ist, die Tür nach Europa zu schließen: „Die Türkei ist dabei, sich von Europa abzuwenden. Die Frage ist nur: wohin?“

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