Linken-Parteitag in Bonn Noch keine Mehrheit für eine Republik Europa

Bonn · Beim Bundesparteitag in Bonn spricht sich die Linke dafür aus, die EU nicht abzuschaffen, sondern zu reformieren. Dabei hat sich die Partei ganz praktische Ziele für die nächste Wahlperiode vorgenommen.

Hans Modrow ist inzwischen 91 Jahre alt. Er war Ministerpräsident der DDR, als sein Staat anno 1989/90 langsam unterging. An diesem Samstagmorgen steht der frühere SED-Spitzenpolitiker als Vorsitzender des Ältestenrates der Linken auf dem Podium des Bonner WCCB - und spricht von der imperialen Politik des Westens, von Solidarität mit Kuba und fordert mehr sozialistische Klassenpolitik im Europawahlkampf. DDR-Nostalgie in Bonn. Auch bei vielen Delegierten des Bundesparteitags der Linken. Rund ein Fünftel von ihnen springt auf und klatscht begeistert.

Doch das ist nur eine Momentaufnahme bei diesem Europaparteitag. Die Vertreter der strammlinken antikapitalistischen Strömungen in der Partei haben es bei der Beratung des Wahlprogramms schwer. Nahezu alle Anträge, mit denen sie deutlich machen wollen, dass die EU nicht reformierbar ist, werden vom Plenum abgelehnt.

Lucy Redler zum Beispiel hat für diese Richtung gekämpft: "Die EU ist wie die Konstruktion eines Hauses auf einem schiefen Fundament", sagt die Marxistin, "auf Dauer kann man in diesem Haus nicht wohnen." Sie war eine von zwei Mitgliedern im Parteivorstand, die im Programmentwurf die Passage erhalten wollten, dass die EU als "militaristisch, undemokratisch und neoliberal" bezeichnet wird. Doch auch beim Parteitag findet sie für ihre Haltung keine Mehrheit.

Die Delegierten schließen sich eher der Position des früheren Parteichefs Gregor Gysi an, der in seiner Rede sagt: "Die EU hat noch keine Soldaten und Waffen. Was wollen wir denn sagen, wenn es soweit ist. Ist die EU dann obermilitaristisch?" Stattdessen, so Gysi, müsse sich die Linke dafür aussprechen, jede Militarisierung der EU zu verhindern.

Gysi, inzwischen Präsident der Europäischen Linken, ist auch jener, der auf den Punkt bringt, was die Mehrheit der Delegierten offenbar denkt. "Wir wollen die europäische Integration. Dafür aber muss die EU grundlegend reformiert werden." Die Linke müsse mit positiven Botschaften in den Wahlkampf ziehen, sagt er. Deshalb sei er froh, dass die Partei zum Beispiel für eine europäische Arbeitslosenversicherung kämpfe und sich für eine Stärkung des Europäischen Parlaments ausspreche, zum Beispiel durch ein Initiativrecht, damit Brüssel und Straßburg auch als Gesetzgeber tätig werden könne.

"Wir müssen die EU als Chance zur Veränderung begreifen", ruft Gysi zum Schluss seiner Rede in den Saal. Da stehen nicht nur 20 Prozent der Delegierten auf wie für Modrow, sondern weit mehr als die Hälfte.

Ohne Chance auf ein Ja des Parteitags ist in Bonn auch die Idee, sich für eine Republik Europa auszusprechen. Den meisten Delegierten ist dies offenbar zu viel Europa. "Wir brauchen ein richtiges Parlament mit einem Haushaltsrecht und einer echten Regierung", hat Stefan Liebich vom reformorientierten Forum Demokratischer Sozialismus vorher gesagt. Einheitliche Steuern und soziale Standards könnten in einer solchen Republik gelten, sagen weitere Delegierte.

Für Tilman Loos, Pressesprecher der sächsischen Linken, wäre die EU als eine Republik „das richtige Gegenbild zur derzeitigen Union“. Dass die Bezeichnung nicht im Europawahlprogramm der Linken steht, ist für Loos kein Beinbruch. Er und andere würden weiter für diese Vision kämpfen, sagt er dem GA. Sie sei ja auch erst zwei Jahre alt.

Und was wollen die Linken? "Ein Europa, in dem Löhne gezahlt werden, von denen alle leben können und Arbeitszeiten, die zum Leben passen", sagt Parteichef Bernd Riexinger. Dazu gehörten auch europäische Mindestlöhne, eine Stärkung der Rechte der Gewerkschaften und das Trockenlegen von Steueroasen. Ganz praktische Ziele, die sich die Linke für die nächste Wahlperiode vorgenommen hat.

Weniger praktisch, sondern eher gedanklich ist die Solidarität, die der Parteitag am Samstag mit dem venezolanischen Volk üben will. Eine Gruppe von mehreren Dutzend Delegierten marschiert mit Bannern auf die Bühne und fordert: "Hände weg von Venezuela". Als die Aktivisten dann auch noch den Schlachtruf "Hoch die internationale Solidarität" an- und die Delegierten im Saal darin einstimmen, wird es sicher vielen Sozialisten im Saal warm ums Herz. Hans Modrow bestimmt auch.

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