Mutmaßliche Dschihadisten aus Bonn Nach Abschiedsvideo Richtung Somalia

FRANKFURT · Schweidnitzer Weg, Schneidemühler und Oppelner Straße. Es sind vertraute Bonner Straßennamen, die am gestrigen Freitag von Thomas Sagebiel verlesen werden. Der Vorsitzende Richter am Staatsschutzsenat des Oberlandesgericht Frankfurt hat in den nächsten Monaten über sechs mutmaßliche Dschihadisten Recht zu sprechen.

Bei den Adressen handelt es sich um ihre letzten festen Wohnsitze. Von Tannenbusch aus zog es sie 2012 nach Somalia. Dort, so ist die Bundesanwaltschaft überzeugt, sollen sie sich der islamistischen Al-Shabaab-Miliz angeschlossen haben, zu Kämpfern für den "Heiligen Krieg" ausgebildet und als solche auch eingesetzt worden sein .

Von einer somalischen Islamistenzelle in Bonn war unter dem Stichwort "Deutsche Shabaab" aus Kreisen der Sicherheitsbehörden zumindest hinter vorgehaltener Hand schon länger zu hören gewesen. Mit dem gestrigen Prozessauftakt hat diese Szene nun einige Gesichter bekommen. Auf der Anklagebank sitzen die drei Brüder Abdullah (28), Abdulsalam (24) und Abdiwahid W. (23).

Alle drei haben somalische Wurzeln, einen deutschen Pass und lebten zuletzt in Tannenbusch. Mit angeklagt sind der 31-jährige Deutsch-Tunesier Mounir T. und der 30-jährige somalischstämmige deutsche Staatsbürger Omar D. sowie der 26-jährige Steven N., allesamt ebenfalls Bonner.

Ausführlich schildert Tobias Engelstätter von der Generalbundesanwaltschaft (GBA) in der Anklageschrift die Wege und Aktionen, die das Sextett nach Überzeugung der Ermittlungsbehörden zwischen 2012 und 2014 hinter sich brachtet. Ihm gegenüber sitzen in dem engen, holzvertäfelten Gerichtssaal die sechs Angeklagten, jeweils flankiert von zwei Anwälten. Auch das Dutzend Strafverteidiger kommt aus Bonn und dem Rheinland, mit Mandantschaften aus dem islamistischen Milieu ist man vertraut.

Nach einem Aufenthalt in einem so genannten Clearinghaus sollen die Bonner auf ihre körperliche und ideologische Tauglichkeit überprüft und an Waffen wie Kalaschnikow, Maschinengewehr und Panzerfaust ausgebildet worden sein. Mehrere Monate sollen sie sodann an verschiedenen Verteidigungsposten von Al Shabaab eingesetzt worden sein.

Zumindest Schießübungen haben die Bonner laut GBA auf Videofilmen verewigt; ebenso gebe es Erinnerungsfotos aus Kampfeinsätzen. Nicht zuletzt den Abschiedsvideos und Briefen, die noch in Bonn entstanden waren, misst die Anklage "hohen Beweiswert" zu. Ein Antrag des Bonner Strafverteidigers Mutlu Günal auf Aussetzung der Hauptverhandlung, weil der Verteidigung ein Teil der Vernehmungsprotokolle nicht zur Einsicht vorliege, wurde zunächst zurückgestellt.

Eine zentrale Frage dürften neben der möglichen Beteiligung an Kampfhandlungen die Beweggründe sein, aus denen drei der Bonner Somalia 2014 in Richtung Deutschland verließen, während zwei andere offenbar versucht haben, sich dem IS in Syrien anzuschließen, bevor sie - wie auch der sechste - von Kenia nach Deutschland abgeschoben wurden. "Aufklärungshilfe", erinnert Richter Sagebiel die Angeklagten, würde sich bei einem möglichen Schuldspruch nicht zum Nachteil auswirken. Der Prozess wird am Montag fortgesetzt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort