Analyse der Sommerinterviews Merkel verteidigt – Gabriel attackiert

Berlin · Die Kanzlerin Angela Merkel und ihr Vize Sigmar Gabriel liefern sich in zwei Sommerinterviews eine Art vorgezogenes Fernsehduell. Hauptthema ist die Flüchtlingspolitik.

Drei Jahre Regierungsalltag hat die große Koalition jetzt hinter sich. Gut ein Jahr ist es noch bis zur nächsten Bundestagswahl. In den Sommerinterviews mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in der ARD und Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) im ZDF an diesem Sonntag lässt der Wahlkampf schon grüßen.

Die Ausgangslage: Nächstes Jahr wird es an einem Sonntag im Spätsommer ein echtes TV-Duell geben, in dem Angela Merkel und Sigmar Gabriel in einem Studio aufeinandertreffen – wahrscheinlich. Die Frage, ob sie antreten, haben beide zwar auch in den aktuellen Interviews offengelassen. Dass die Kanzlerin und ihr Vize von ihren jeweiligen Parteien auf den Schild des Kanzlerkandidaten gehoben werden, ist bei allen Ungewissheiten auf beiden Seiten dennoch die plausibelste Entwicklung. Bei der SPD haben die stärksten potenziellen Konkurrenten Gabriels, Olaf Scholz und Martin Schulz, für 2017 zwar noch nichts definitiv ausgeschlossen, aber es bleibt unwahrscheinlich, dass Gabriel die SPD-Kanzlerkandidatur doch noch erspart bleiben könnte. Der Job ist nicht begehrt – zu gering sind für die SPD die Erfolgschancen. Bei Angela Merkel bröckeln zwar wegen der Flüchtlingspolitik ihre Popularitätswerte, den Nimbus der Unanfechtbarkeit hat sie verloren. Aber eine starke Alternative ist nicht in Sicht.

Die Aufstellung: Der Fernsehabend begann in der ARD mit Angela Merkel, Sigmar Gabriel folgte im ZDF. Das Gespräch mit Gabriel wurde am Samstag in seinem Wahlkreis Salzgitter, genauer: in Baddeckenstedt, aufgezeichnet. Sein Sprecher Tobias Dünow versprach einen „Polit-Thriller“ mit „Hammer-Besetzung“ und „Spannung pur“. Angela Merkel wurde am Sonntag in der Hauptstadt interviewt. Dass die Kanzlerin ins Schwitzen gerät, „kann bei unseren Fragen und 34 Grad passieren“, ließ die ARD vorab wissen.

Merkels Aussagen: Zentrales Anliegen der Kanzlerin war es, ihre Flüchtlingspolitik zu verteidigen. Dass es dabei um eine große Aufgabe gehe, habe sie bereits vor einem Jahr erklärt. „Da haben wir auch seither vieles erreicht und manches bleibt noch zu tun.“ Zu ihrem viel zitierten Satz „Wir schaffen das“ ergänzte Merkel jetzt: „Wir stehen heute ganz anders da als vor einem Jahr.“ Es gebe Tausende zusätzlicher Mitarbeiter beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf), ein Integrationsgesetz auf Bundesebene und die Entlastung der Kommunen bei den Integrationskosten.

Zugleich hob Merkel hervor, dass härtere Regeln für Menschen mit schlechter Bleibeperspektive festgelegt worden sind. An die Adresse ihrer Kritiker einschließlich Gabriel gewandt, betonte Merkel: „Wir haben alles gemeinsam beschlossen.“ Sie wolle jetzt nicht in einen Wettstreit eintreten, „zu sagen, wer hat wo mehr Bedenken gehabt“. Für die nächste Legislaturperiode stellte die Kanzlerin Steuerentlastungen in Aussicht – freilich ohne wie zuvor Unionsfraktionschef Volker Kauder eine Entlastungssumme von 15 Milliarden Euro zu nennen. Auf die Frage, warum es nicht schon früher Entlastungen gebe, sagte Merkel: „Wenn wir nächstes Jahr im Frühjahr ein sattes Polster haben, sollte mich das sehr ermutigen.“

Gabriels Positionen: Gabriels Hauptziel war, sich von Merkels Flüchtlingspolitik abzusetzen. „Wir haben immer gesagt, es ist undenkbar, dass Deutschland jedes Jahr eine Million Menschen aufnimmt. Die Union hat die Herausforderung unterschätzt. Es reicht nicht, wenn sie ständig sagen, ‚wir schaffen das’, sondern sie müssen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass wir es auch hinkriegen“, betonte er. „Das hat die Union immer blockiert.“ Er baute fest darauf, dass seine Partei ihn bei dem umstrittenen Ceta-Freihandelsabkommen mit Kanada nicht hängen lässt. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die deutsche Sozialdemokratie Europa anhält und sagt, wir wollen lieber bei den ganz schlechten Handelsabkommen bleiben, die wir heute haben“, betonte er.

Auf die Frage nach den Konsequenzen, falls der SPD-Parteikonvent ihm nicht folge, betonte er: „Das wird nicht passieren.“ Um zögernden Genossen die Folgsamkeit zu erleichtern, erklärte er die Gespräche über das noch umstrittenere TTIP-Abkommen mit den USA als „de facto gescheitert“. In der Steuerpolitik hob Gabriel hervor, dass die SPD bei Steuerentlastungen gezielt vorgehen will: Arbeitnehmern, Familien und Alleinerziehenden stellte er Erleichterungen in Aussicht. Die Pläne der Union kritisierte er als zu wenig wirtschaftsfreundlich. Darin liege die Gefahr, „dass die Union die Zukunft des Landes verspielt.“

Das Fazit: Erwartungsgemäß präsentierte sich Gabriel angriffslustiger, während Merkel die ergebnisorientierte Staatsfrau gab. Seinen Platz auf der Regierungsbank sieht Gabriel nicht als Hindernis, die Kanzlerin bei der Flüchtlingspolitik schon einmal ins Visier zu nehmen. Bei den frühen Wahlkampfmanövern der Kanzlerin steht weniger die SPD im Zentrum: Sie hat die Bürger als Adressaten für künftige Wohltaten im Blick.

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