Tödliche Fluchtroute Merkel für neue staatliche Seenotrettung im Mittelmeer

Berlin · Jede Rettung schiffbrüchiger Flüchtlinge im Mittelmeer durch private Schiffe wird inzwischen zur Hängepartie. Die Bundesregierung und die EU-Kommission finden das untragbar. Berlin wüsste einen Ausweg - wenn die anderen Europäer mitspielen würden.

 Sechs europäische Staaten haben sich zur Aufnahme von Menschen von dem blockierten Rettungsschiff "Open Arms" bereiterklärt.

Sechs europäische Staaten haben sich zur Aufnahme von Menschen von dem blockierten Rettungsschiff "Open Arms" bereiterklärt.

Foto: Friedrich Bungert/SeaWatch

Bundeskanzlerin Angela Merkel pocht angesichts tödlicher Fluchtrouten durchs Mittelmeer und riskanter privater Seenotrettung auf die Wiederaufnahme der in der EU umstrittenen staatlichen Hilfe. „Sicherlich wäre es gut, wir hätten auch heute wieder eine Mission Sophia und staatliche Schiffe, die retten würden“, sagte Merkel am Donnerstagabend nach Reuters-Angaben am Rande des Zapfenstreichs für Ex-Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (beide CDU) in Berlin. Seenotrettung sei ebenso notwendig wie die Bekämpfung von Schleusern. Während das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) Merkels Vorstoß dankbar aufnahm, äußerte sich der Innenexperte der Unionsfraktion, Armin Schuster (CDU), skeptisch.

Solidarischere Beteiligung der europäischen Partner

Regierungssprecher Steffen Seibert betonte am Freitag, die Bundesregierung bedauere, dass es die europäische Mission „Sophia“ nicht mehr gebe. Es gebe aber in der Frage der Verteilung von geretteten Flüchtlingen in der EU derzeit keine Einigung. Es müsse jedoch zu einer besseren und solidarischeren Beteiligung der europäischen Partner kommen, sagte Seibert und betonte: „Wir würden ein neues Mandat, wenn es diese Einigung gäbe, begrüßen.“ Er verwies darauf, dass sich Deutschland in jedem Einzelfall an der Aufnahme von Geretteten beteiligt habe. Es könne aber nicht bei einer „ad-hoc-Verteilung“ bleiben.

Mit „Sophia“ hatten EU-Schiffe seit 2015 Zehntausende Migranten aus dem Mittelmeer gerettet, die vorrangig nach Italien gebracht wurden. Die EU-Staaten haben sich bis heute nicht auf eine faire Verteilung der Flüchtlinge geeinigt. Die Mission wurde ausgesetzt, was das UN-Flüchtlingshilfswerk als faktische Einstellung des Marineeinsatzes wertet. Der Sprecher des UNHCR in Deutschland, Chris Melzer, sagte unserer Redaktion: „Wir fordern schon lange mehr Seenotrettung, weil man Menschen einfach nicht ertrinken lässt.“ Es gehe um eine vergleichsweise kleine Zahl an Flüchtlingen. Melzer betonte, es müssten nicht alle Migranten dauerhaft aufgenommen werden. Italien droht privaten Seenotrettern inzwischen mit Strafen bis zu einer Million Euro, wenn sie unerlaubt in die Territorialgewässer einfahren.

Skepsis bei Armin Schuster

Merkels Kritiker halten die organisierte Hilfe für indirekte Unterstützung der Schlepper, weil Migranten diesen viel Geld für eine lebensgefährliche Überfahrt in überfüllten Schlauchbooten zahlten in der Hoffnung, von einem richtigen Schiff aufgenommen zu werden. Dieser sogenannte Pull-Faktor wird jedoch von Einrichtungen wie dem italienischen Institut für Internationale Politikstudien bestritten. Demnach riskierten Flüchtlinge so oder so ihr Leben, weil sie keine Alternative in ihren Heimatländern sähen, von wo aus sie aufbrechen. Die Menschenrechtsorganisation „Pro Asyl“ spricht von „Sklavencamps“ in Libyen.

Der Unions-Innenexperte Schuster meinte: „Auch mir ist sehr daran gelegen, dass keine Menschen mehr im Mittelmeer ertrinken“, sagte er. Aber: „Staatliche Rettungsaktionen animieren vielleicht noch mehr, in die Boote zu steigen.“ Erfolgsversprechender wäre seiner Ansicht nach eine Vereinbarung nach dem Vorbild des EU-Türkei-Abkommens. Spanien, Griechenland, Italien, Malta, Frankreich und Deutschland müssten ein solches Abkommen mit Ländern südlich der Sahara wie Gambia, Nigeria und Senegal abschließen. Sie könnten wie die Türkei finanziell unterstützt werden und Visa-Erleichterungen für Fachkräfte bekommen, wenn illegale Migration so verhindert wird oder nicht Schutzbedürftige wieder aufgenommen werden würden.

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