Generaldebatte im Bundestag Merkel: "Keine Entschuldigung für Hetze und Naziparolen"

Berlin · Verständnis für die Sorgen der Menschen - klares Nein zu rechten Parolen: Das gilt für die Kanzlerin als Konsequenz aus Chemnitz. Die AfD erwähnt sie dabei nicht. Ganz anders ihr ehemaliger Herausforderer Martin Schulz.

 Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht bei der Generaldebatte im Deutschen Bundestag.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht bei der Generaldebatte im Deutschen Bundestag.

Foto: Kay Nietfeld

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat nach den jüngsten fremdenfeindlichen Übergriffen und Demonstrationen vor rechter Hetze und Ausgrenzung gewarnt.

"Juden und Muslime gehören genauso wie Christen und Atheisten zu unserer Gesellschaft, in unsere Schulen, in unsere Parteien, in unser gesellschaftliches Leben", sagte Merkel am Mittwoch in der Generaldebatte des Bundestags. Der Konsens darüber entscheide über den gesellschaftlichen Zusammenhalt. "Es gelten bei uns Regeln, und diese Regeln können nicht durch Emotionen ersetzt werden. Das ist das Wesen des Rechtsstaats."

In Chemnitz war am 26. August ein 35 Jahre alter Deutscher erstochen worden. Tatverdächtig sind drei Asylbewerber. Nach der Tat gab es in der sächsischen Stadt fremdenfeindliche Demonstrationen, Gewalt von Rechtsextremisten und Übergriffe auf Ausländer. Erschütterung löste auch eine Attacke auf ein jüdisches Restaurant aus. In Köthen in Sachsen-Anhalt starb am Wochenende ein Deutscher an Herzversagen, vorausgegangen war ein Streit zwischen Afghanen und Deutschen. Auch danach gab es Demonstrationen.

Merkel betonte, die Mehrheit der Menschen in Deutschland arbeite für ein gutes und tolerantes Miteinander. Sie habe Verständnis dafür, dass viele aufgewühlt seien durch Straftaten, die mutmaßlich von Asylsuchenden begangen worden seien. Die Täter müssten hart bestraft werden. Menschen, die ausreisepflichtig seien, müssten das Land verlassen. "Hier haben wir eine Aufgabe zu lösen."

Demonstrationen seien ein verfassungsmäßig verbürgtes Recht. "Es gibt aber keine Entschuldigung und Begründung für Hetze, zum Teil Anwendung von Gewalt, Naziparolen, Anfeindungen von Menschen, die anders aussehen, die ein jüdisches Restaurant besitzen, für Angriffe auf Polizisten", unterstrich die Kanzlerin. Wer gegen die Menschenwürde verstoße, "der legt die Axt an die Wurzeln unseres Zusammenlebens". Mit Blick auf die Debatte über die Vorfälle in Chemitz fügte sie hinzu: "Begriffliche Auseinandersetzungen, ob es jetzt Hetze oder Hetzjagd ist, helfen uns wirklich nicht weiter."

Merkel räumte ein, dass die Herausforderung der Migration bislang nicht im europäischen Rahmen gelöst sei. Das sei ein wunder Punkt. "Diese Herausforderung erscheint mir (...) noch weitaus größer als Frage für den Zusammenhalt der Europäischen Union als das, was wir in der Eurozeit erlebt haben", sagte sie mit Blick auf die vor zehn Jahren ausgebrochene Euro- und Finanzkrise. Merkel warnte vor Alleingängen und einer Fragmentierung der EU. "Wenn Europa einfach sagt: Wir schotten uns ab und wir kümmern uns nicht um das, was in unserer Nachbarschaft passiert, dann wird das schiefgehen."

Zur Bekämpfung der Fluchtursachen forderte die Kanzlerin mehr Investitionen in Afrika. "Afrika ist ein toller Kontinent, ein junger Kontinent, ein Kontinent mit den zukünftigen Märkten," sagte sie.

Aufhorchen ließ zu Beginn der Aussprache eine Attacke des früheren SPD-Vorsitzenden Martin Schulz gegen Alexander Gauland. Der AfD-Fraktionschef hatte als Vorsitzender der größten Oppositionsfraktion die Aussprache eröffnet und Straftaten mit Asylbewerbern und anderen Menschen mit Migrationshintergrund als Tatverdächtigen aufgezählt. "Es hat in Chemnitz keine Menschenjagden gegeben", sagte Gauland. Wenn Menschen Hass empfänden, sei dies aber nicht grundlos. Die AfD habe nichts zu verbergen, sagte er mit Blick auf Forderungen nach einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz. "Wer gefährdet den inneren Frieden in unserem Land? Wir nicht."

Schulz warf Gauland in einer Kurzintervention vor, er bediene sich der tradierten "Mittel des Faschismus". "Eine ähnliche Diktion hat es in diesem Hause schon einmal gegeben." Gauland reduziere komplexe Sachverhalte auf ein einziges Thema, bezogen auf die Minderheit der Migranten, sagte der ehemalige SPD-Kanzlerkandidat und heutige Bundestagsabgeordnete. Er gehöre auf den "Misthaufen" der deutschen Geschichte. Viele Abgeordnete applaudierten daraufhin. Gauland rechtfertigte sich. Er sagte: "Das hat mit Faschismus überhaupt nichts zu tun."

SPD-Fraktions- und Parteichefin Andrea Nahles warf der AfD vor: "Sie marschieren Seit' an Seit' mit Neonazis und verhöhnen unser Land und unsere Werte. Ihre Maske ist gefallen." FDP-Chef Christian Lindner warf Union, SPD, Linken und Grünen Versagen im Umgang mit der AfD vor. Die Menschen wollten ihre Alltagsprobleme gelöst bekommen.

Deutlich wurden die Differenzen in der Koalition zum Krieg in Syrien. Bei der Friedenssicherung stünden politsche Antworten im Zentrum, sagte Merkel. "Aber einfach zu behaupten, wir könnten wegsehen, wenn irgendwo Chemiewaffen eingesetzt werden und eine internationale Konvention nicht eingehalten wird, das kann auch nicht die Antwort sein", betonte sie. "Von vorneherein einfach Nein zu sagen, egal, was auf der Welt passiert, das kann nicht die deutsche Haltung sein."

Nahles sagte, niemand bezweifele, dass der Einsatz von Chemiewaffen ein Verbrechen sei. "Aber das Völkerrecht kennt aus gutem Grund kein Recht auf militärische Vergeltung." Die SPD werde keinem deutschen Eingreifen in Syrien zustimmen. Dem Recht des Stärkeren müsse das Recht der Völkergemeinschaft entgegengesetzt werden.

Linke und Grüne warfen der Koalition schwache Politik vor. "Die wahren Probleme in unserem Land werden ignoriert", sagte Linksfraktionschef Dietmar Bartsch etwa mit Blick auf Kinderarmut. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sagte: "In Deutschland regiert die Angst mit." Nötig seien echte Antworten auf die Probleme.

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