Präsident des Bundesrechnungshof im GA-Interview Mehr Sachlichkeit bei Diskussion zur Flüchtlingslage

Über Sinn und Unsinn von zwei deutschen Regierungssitzen, die unkalkulierbaren Kosten der Flüchtlingskrise und die liebsten Steuersubventionen der Deutschen sprachen Andreas Baumann, Jasmin Fischer und GA-Chefredakteur Helge Matthiesen mit Bundesrechnungshof-Präsidenten Kay Scheller.

 Kay Scheller im GA-Interview

Kay Scheller im GA-Interview

Foto: Barbara Frommann

Politik steht ja immer in dem Verdacht, dass sie mit Geld nicht umgehen kann. Ist das ein berechtigter Vorwurf oder Polemik?
Kay Scheller: Sie geht sicherlich besser mit dem Geld um, weil es uns gibt und weil unsere Prüfer sehr genau schauen, wie es ausgegeben wird und ob die Steuerverwaltung die gesetzlich vorgegebenen Einnahmen generiert, auf die die Bürger einen Anspruch haben.

297 Milliarden Euro hat der Bund 2015 auf Projekte, Ministerien und Subventionen verteilt. Wie viel von dem Geld ist versandet?
Scheller: Wenn wir auf das Jahr blicken und die Fälle, in denen der Staat unnötig Geld ausgegeben hat – man könnte es auch Verschwendung nennen –, kommen wir auf eine gute Milliarde Euro Entlastungspotenzial, die man hätte, wenn man alles richtig machen würde. In neun von zehn Fällen folgt der Staat unseren Empfehlungen. Trotzdem prüfen wir auch das noch einmal nach.

Sie waren vor Ihrem Amtsantritt 2014 zehn Jahre lang Fraktionsdirektor von CDU/CSU in Berlin, haben dann einen Seitenwechsel vollzogen. Beurteilen Sie politische Entscheidungen im Rückblick anders?
Scheller: Sagen wir es so: Ich könnte meine Arbeit nicht so machen, wenn es meine Vorverwendung als politischer Koordinator nicht gegeben hätte. Das kommt mir heute in meiner Arbeit mit 60 unabhängigen Mitgliedern im Bundesrechnungshof sehr zugute.

Gab es denn aus der Fraktion zumindest mal den Versuch, auf Sie Einfluss zu nehmen?
Scheller: Nein. Null komma null. Die Spielregeln sind ja bekannt: Als Präsident des Bundesrechnungshofes orientiere ich mich allein an den Prinzipien Wirtschaftlichkeit und Ordnungsmäßigkeit. Wir stehen zwischen den Staatsgewalten und sind unabhängig von Regierung und Parlament. Das nimmt auch Druck von uns.

Wie hoch ist der Teil der Steuern, die dem Staat entgehen?
Scheller: Erheblich. Schauen Sie sich mal die 20 größten Subventionen an, also die Steuervergünstigungen. Hier verzichtet man auf jährlich über 14 Milliarden Euro. Diese Dinge muss man immer wieder auf den Prüfstand stellen und gucken, ob die Ziele, die man angestrebt hat, heute noch gelten. Man kann das Überkommene nicht einfach so weiterleben. Dafür gibt es zahlreiche Beispiele. Nehmen Sie den vergünstigten Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent für Luxusgüter.

... und für Zeitungen ...
Scheller: Das ist ja in Ordnung, denn Zeitungen sind Kultur, und Kulturgüter sollten von Anfang an unter die Ermäßigung fallen. Aber Trüffel und Froschschenkel mit sieben, verpacktes Trinkwasser hingegen mit 19 Prozent zu bedenken, ist erklärungsbedürftig. Natürlich ist es unpopulär, da ran zu gehen, weil diese Vergünstigungen historisch gewachsen sind und von Interessenverbänden flankiert werden. Aber wir als Behörde müssen eben nüchtern konstatieren, dass man sich solche Verhältnisse immer wieder anschauen muss.

Andere beliebte Beispiele sind die Hotelsteuer mit den sieben Prozent und der Handwerker-Bonus, den Privatleute von der Steuer absetzen können.
Scheller: Die Hotellerie hat die Steuersenkung einfach so mitgenommen, ohne sie an die Verbraucher weiterzugeben. Ziel war es doch eigentlich, eine Konjunkturbelebung in der Finanzkrise zu schaffen. Das ist damit nicht passiert. Ähnlich verhält es sich beim Handwerker-Bonus: Er sollte Schwarzarbeit verhindern. Tatsächlich decken heute 82 Prozent der Rechnungen, die Privatleute bei der Steuer einreichen, Handwerkerleistungen ab, die gar nicht schwarz erbracht werden können, weil sie gesetzlich vorgeschrieben sind – Aufzugwartung etwa, oder der jährliche Besuch des Schornsteinfegers. In den nächsten Wochen geht hierzu von uns ein Bericht an den Finanzausschuss, mit dem Vorschlag, die Ermäßigung aufzugeben oder zumindest einen Sockelbetrag einzuführen. Das Geld ließe sich besser einsetzen. Wir als Institution im Wächteramt müssen immer wieder losgelöst vom tagespolitischen Streit sagen können, dass hier Effekte schlicht ausbleiben. So verstehe ich uns.

7,7 Millionen Euro jährlich zahlt der Steuerzahler dafür, dass Regierungsmitarbeiter zwischen den Doppelsitzen Bonn und Berlin hin- und herpendeln. Wäre es aus Ihrer Sicht nicht an der Zeit, diese Doppelstruktur endlich aufzugeben?
Scheller: Es war eine politisch gewollte Entscheidung, die Regierung auf zwei Standorte zu verteilen. Hätte man aus rein wirtschaftlichen und funktionalen Erwägungen gehandelt, hätte die Regierung wie das Parlament zügig und komplett nach Berlin umziehen müssen. Hauptstadtbeschluss und Berlin-Bonn-Gesetz muss man doch immer im zeitgeschichtlichen Kontext der Bundesrepublik sehen. Man hat sich eben für zwei Standorte entschieden, was zu respektieren ist, aber immer teurer ist als ein Sitz. Insofern sind für mich die 7,7 Millionen bei einem 300-Milliarden-Haushalt überschaubar und nicht entscheidend für die Frage, wie es jetzt weitergehen soll. Wir haben seit Jahren einen ungeordneten Abwanderungsprozess. Es gibt keine Gesamtstrategie. Wenn die Bundesregierung nun ein neues Konzept ausarbeiten möchte, begrüße ich das.

Die Wirtschaft läuft sehr gut, Finanzminister Wolfgang Schäuble schreibt die dritte Schwarze Null in Folge. Warum freuen Sie sich nicht über die soliden Finanzen des Bundes?
Scheller: Ausgeglichene Einnahmen und Ausgaben sind natürlich gut, aber die Haushaltsrisiken bleiben doch bestehen. Wir haben eine schwierige demografische Entwicklung und schon heute bezuschusst der Bund alle gesetzlichen Altersversorgungen jährlich mit 111 Milliarden Euro – von 300 Milliarden. Das ist doch eine bemerkenswerte Hausnummer. Man braucht eben nicht nur eine Schwarze Null, sondern muss auch finanzielle Spielräume gewinnen.

Wenn Sie auf die derzeitige Flüchtlingslage schauen, sind Sie optimistisch und freuen sich über potenzielle, neue Steuerzahler oder fürchten Sie, dass die Integrationskosten unkalkulierbar hoch werden?
Scheller: Wenn in kurzer Zeit viel Geld verausgabt wird, ist das immer mit Risiken verbunden. Das ist aber der humanitären Katastrophe geschuldet. Mittlerweile habe ich den Eindruck, dass die Verwaltung die Lage immer besser bewältigt. In viele Abläufe kommt mehr Routine. Die Bundesregierung hat die Lage 2015 finanziell bewältigt und auch Rücklagen für 2016 gebildet. Es bleibt dennoch eine große finanzielle Herausforderung. Ich rate jedoch dringend, die Diskussion mit mehr Sachlichkeit zu führen.

Wie viel Druck sind die Prüfer ausgesetzt, wenn bei strittigen Projekten – wie dem nicht treffsicheren G36-Gewehr der Bundeswehr – Wohl und Wehe ganzer Unternehmen und die Karriere von Politikern von ihrem Urteil abhängt?
Scheller: Ich glaube, dass der Druck von Innen größer ist als von Außen. Die Prüfer müssen mit ihren Erkenntnissen im Kollegium und bei mir überzeugen. Nicht falsch zu liegen, fordert den Prüfern mehr ab, als ein wie auch immer öffentlich artikulierter Druck von einem Konzern oder Ministerium. Aber natürlich ist unser Beliebtheitsgrad bei geprüften Stellen manchmal begrenzt.

Den Prüfern stehen in kritischen Fällen immer alle Türen und Akten offen? Das kann ich mir schwer vorstellen.
Scheller: Die Prüfer müssen sich im Vorfeld intensiv Gedanken darüber machen, wie sie vorgehen wollen. Dann weiß man, was man sehen und mit wem man sprechen will. Statt uns Informationen vorzuenthalten, passiert bisweilen nämlich genau das Gegenteil: Wir werden überhäuft mit Akten und sollen uns relevante Dokumente selbst raussuchen. Aber im Großen und Ganzen müssen Sie sich unsere Arbeit weniger konfrontativ vorstellen. Manche Institutionen sind froh, wenn ein externer Finanzprüfer Schwachstellen offenlegt. Oft werden wir schon vor Projektstart um unsere Einschätzung und Beratung gebeten.

Ist der Steuerzahlerbund ein Wettbewerber für Sie?
Scheller: Nein. Wir haben einen staatlichen Auftrag, der in der Verfassung verankert ist. Der Steuerzahlerbund ist ein eingetragener Verein, dessen Mitgliedsstruktur und Interessen ich nicht kenne.

Welche Projekte prüfen Sie denn im Moment?
Scheller: Das geht quer durch den ganzen Bundeshaushalt. Fragen der Energiewende, Straßen-Infrastruktur, Bundeswehr. Auch im Bereich IT und der Flüchtlingsthematik wollen wir unser Personal verstärken und den Bundesrechnungshof 2017 neu und flexibler organisieren. Vor allem stellen wir uns angesichts Globalisierung sowie grenzübergreifender staatlicher Projekte und Strukturen internationaler auf. Wir beraten Rechnungshöfe weltweit, zum Beispiel im Kaukasus. Und auch internationale Organisationen brauchen externe Finanzkontrolle. Von Bonn aus prüfen wir die OSZE und die WHO. Die UN-Flüchtlingshilfe in Genf, die Peacekeeping-Missionen mit ihren militärischen Komponenten in Afrika und die UN-Universität in Tokio kommen dieses Jahr dazu. Für diese Aufgaben bei den Vereinten Nationen haben wir 28 Prüfer konzentriert zusammengezogen, neue Experten eingestellt und mieten für sie gerade in Plittersdorf eine Büroetage an.

Wo würden Sie, wenn Sie NRW-Ministerpräsident wären, Geld sparen, wo Einnahmen steigern?
Scheller: Darf ich mir was wünschen? Ich würde mich freuen, wenn die Autobahnbrücke über den Rhein bei Leverkusen endlich wieder für den Schwerlastverkehr freigegeben werden könnte! Im Ernst: Ich würde mir bessere Infrastruktur bei Straßen und Brücken wünschen, aus ökonomischen und ökologischen Gründen. Breitbandausbau und schnelleres Internet wären ebenfalls ein Schwerpunkt. Finanzielle Spielräume dafür könnte ich gewinnen, wenn man die Bund-Länder-Finanzbeziehungen neu regeln würde und die Steueranteile jeweils direkt an Bund und Länder gingen. Da verlieren wir derzeit viel Geld, was für wichtige Aufgaben fehlt. Fürs Ruhrgebiet wünsche ich mir gute Ideen, dass der Strukturwandel gelingt und wieder mehr Menschen Arbeit haben. Allerdings bin ich sehr gerne Präsident des Bundesrechnungshofes und auf zwölf Jahre gewählt. Das reicht mir, damit bin ich gut ausgelastet.

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