Kommentar zum politischen Jahr 2017 Mehr Gelassenheit und Weitsicht

Meinung · Nachdem das Jahr 2017 mit vielen Befürchtungen begonnen hat, steht am Ende eine gewisse Gelassenheit. Denn das Jahr hat gezeigt: Vieles, was für eine Katastrophe gehalten wird, bietet letztlich auch Chancen für Veränderungen, meint GA-Chefredakteur Helge Matthiesen.

 Die Politik von US-Präsident Donald Trump hat die Europäer dazu gezwungen, gemeinsam mehr Verantwortung zu übernehmen.

Die Politik von US-Präsident Donald Trump hat die Europäer dazu gezwungen, gemeinsam mehr Verantwortung zu übernehmen.

Foto: dpa

Auch in unsicheren Zeiten lebt es sich ganz passabel. Vielleicht sogar ein wenig ruhiger als gewöhnlich. Deutschland hat keine neue Regierung, geführt wird das Land quasi kommissarisch. Das ist eine neue Erfahrung für die immer auf stabile Verhältnisse bedachten Deutschen. Aber so langsam gewöhnt sich die Gesellschaft daran. Ein Vorteil ist unübersehbar: Die aufgeregten Debatten bisweilen um Nichtigkeiten sind zur Ruhe gekommen. Bis in den Sommer gab es täglich irgendetwas Neues, das dringend von allen Seiten beleuchtet und besprochen werden musste. Immerhin war in Nordrhein-Westfalen gleich zwei Mal Wahlkampf. Jetzt herrscht endlich Ruhe – und das Land macht, was es an sich besonders gut kann: Es funktioniert.

Das Grundgesetz ist einst für Krisenzeiten erdacht worden. Die schlauen Verfassungsmütter und -väter mit ihrer schlechten Erfahrung aus zwölf Jahren Diktatur haben das gut gemacht. Irgendwann und in nicht all zu großer Ferne muss ein neuer Haushalt her, damit der öffentliche Betrieb weitergeht. Ansonsten brennt derzeit nichts an. Alle haben Zeit, etwas länger nachzudenken, bevor der nächste Aufreger in die Welt gesetzt wird. Vielleicht werden wir uns Ende 2018 dankbar an diese ruhigen Monate erinnern.

Das Jahr 2017 begann als Jahr der Unsicherheiten und der Befürchtungen. Am Ende herrscht Gelassenheit. Eine stabile Demokratie funktioniert auch mit einer Partei von Rechtspopulisten, die gerne mal Krawall machen. Es ist ein Zeichen lebendiger Demokratie, wenn sich Parteien neu bilden – ganz gleich ob man sie mag oder nicht. Seit es die AfD gibt, hat die Selbstbezogenheit der politischen Debatten deutlich nachgelassen. Deutschland diskutiert wieder ernsthaft über echte Probleme. 2018 wird es vor allem um das Thema Integration gehen müssen.

Brexit hat EU motiviert

In den USA hat Präsident Donald Trump nicht nach der ganzen Macht gegriffen. Die Gegengewichte in Justiz, Politik und Gesellschaft halten ihn im Zaum. Sein erstes Jahr hat die müden Europäer dazu gezwungen, mehr Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. Sie arbeiten enger zusammen, zum Beispiel in der Sicherheitspolitik.

Der Brexit ist nicht zur großen Katastrophe geworden, sondern hat die EU motiviert, eine realistische Weiterentwicklung zu betreiben und die großen Themen anzupacken. Frankreich ist zurück in der Spur und macht, was sonst Deutschlands Mission war: Es bringt Europa voran. Das ist gut für die Deutschen, die nicht mehr länger als die nervenden Mustereuropäer auftreten. Europa hat auch gelernt, dass es weitergeht, selbst wenn es in grundsätzlichen Themen wie der Flüchtlingsfrage einen Dissens gibt. Man hat auf dem Kontinent halt schon ganz andere Krisen überstanden, manche sogar bewältigt.

Was bleibt von 2017? Vielleicht die Erkenntnis, nicht immer alles gleich für eine Katastrophe zu halten, nur weil sich etwas ändert oder weil irgendetwas nicht klar geregelt ist. Die Welt ist voller Gefahren. Das ist keine neue Erkenntnis. Sie ist aber auch voller Möglichkeiten, die Dinge voranzubringen. Im neuen Jahr ist dafür reichlich Gelegenheit, denn an Schwierigkeiten herrscht kein Mangel. Sie mit Gelassenheit und Weitsicht anzugehen, klingt nach einem guten Vorsatz.

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