Kommentar zu Krawallen in Chemnitz Machtfragen

Meinung | BONN · Dem Staat wird nach den jüngsten Krawallen in Chemnitz durch den wohlorganisierten braunen Mob die Machtfrage gestellt. Die sollte er zu seinen Gunsten beantworten, kommentiert GA-Chefredakteur Helge Matthiesen.

 Wutverzerrtes Gesicht: Polizisten versuchen in der Chemnitzer Innenstadt, ein Aufeinanderprallen von rechten und linken Gruppen zu verhindern.

Wutverzerrtes Gesicht: Polizisten versuchen in der Chemnitzer Innenstadt, ein Aufeinanderprallen von rechten und linken Gruppen zu verhindern.

Foto: Sebastian Willnow

Zuallererst sind die Vorfälle in Sachsen ein Fall für die Polizei. Die machte in Chemnitz wieder einmal keine besonders glückliche Figur und bediente das westdeutsche Vorurteil vom braunen Sumpf Sachsen. Entlang dieser wohlbekannten Argumentationslinie läuft dann auch die wie immer leicht hysterische Debatte im Netz und in anderen Medien. Die Symbolpolitiker forderten wahlweise den Besuch der Kanzlerin, des Ministerpräsidenten, des Innenministers: So, als ginge es um ein Zugunglück. So wird kein Problem gelöst, das die Sachsen zweifellos an einigen Stellen haben.

Neu ist der wohlorganisierte braune Mob, der am Montag erneut sichtbar wurde. Er probiert, die Macht auf der Straße zu übernehmen und Lynchstimmung zu erzeugen. Es gibt Ähnliches bei den Hooligans: In Köln zum Beispiel, wo die gut organisierten und gewaltbereiten Schlägertrupps sich rund um den Fußball zusammenrotten. In Sachsen eint die Schlägertruppen indes der Hass gegen Ausländer. Das macht die Sache zusätzlich gefährlich und politisch. Das ist in dieser Massivität ein neues Phänomen. Dem Staat wird die Machtfrage gestellt. Wenn er sie nicht zu seinen Gunsten beantwortet, ist der Schaden unabsehbar.

Extremisten nicht das Feld überlassen

Kein Staat kann hinnehmen, dass sein Gewaltmonopol in Frage gestellt wird. Die Debatten über Schuld und Verantwortung sollen indes nur dem politischen Gegner schaden und bagatellisieren die Situation. Politische Schuldzuweisungen sind viel zu billig. Zunächst sollten Polizei und Verfassungsschutz sich der Sache mit Nachdruck annehmen, Verantwortliche zur Rechenschaft ziehen und die Strukturen zerschlagen.

Hass gegen Minderheiten ist nicht so leicht zu bekämpfen, weil er sich vernünftigen Argumenten entzieht. Hier helfen nur beharrliche Aufklärung und Arbeit an den Vorurteilen. Es ist kein Naturgesetz, dass sich am Hass nichts ändern lässt. Die gemäßigten Kräfte, gleich welcher politischen Richtung, dürfen den Extremisten nicht das Feld überlassen. Sie müssen selbst aktiv werden. Auch in Sachsen gibt es mehr Demokraten als Extremisten, mehr vernünftige Menschen als unvernünftige. Sie verdienen jetzt jede Unterstützung und nicht die Häme und Herablassung aus Westdeutschland.

Die sächsische Polizei muss außerdem schnell professioneller werden. Sie muss sich dem Verdacht politischer Einseitigkeit stellen und ihn dringend loswerden. Die offenbar notorische Unterschätzung rechter Gewaltbereitschaft durch Politik und Sicherheitsapparat muss aufhören.

Viele Verantwortliche in Sachsen scheinen zu denken, ihr Land sei eben anders als andere Länder und könnte mit politischem Extremismus auf seine Weise umgehen. Das ist ein Irrtum und birgt eine gefährliche Selbstüberschätzung. Auch die muss aufhören, damit der Freistaat aus eigener Kraft die Probleme in den Griff bekommt. Er wird es schaffen.

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