Siegfried Eckert zur AfD auf dem Kirchentag Kein Podium für Brandstifter!

Darf die „Alternative für Deutschland“ auf einem Evangelischen Kirchentag vertreten sein? Nein, findet unser Gastautor Siegfried Eckert, evangelischer Pfarrer in Bonn: Obwohl die Partei sich als Retter des Abendlands gebärde, seien ihre Positionen alles andere als christlich.

 Nicht alle Deutschen sehen die AfD als „Alternative“: Kritik bei einer Kundgebung von Gewerkschaftern am 1. Mai in Stuttgart.

Nicht alle Deutschen sehen die AfD als „Alternative“: Kritik bei einer Kundgebung von Gewerkschaftern am 1. Mai in Stuttgart.

Foto: dpa

Ende Mai 2017 feiert der Deutsche Evangelische Kirchentag in Berlin und Wittenberg den 500. Jahrestag des Beginns der Reformation. Im vergangenen Mai fand in Leipzig der 100. Katholikentag statt. Die Katholikentage dienten dem Kirchentag als Vorbild. Sein Gründer Reinold von Thadden fragte 1948: „Mich beschäftigt auf das Stärkste die Frage [...] eines großen Resonanzbodens für die EKD in Gestalt eines deutschen evangelischen Kirchentages, in Parallele zu den Reichskatholikentagen.“

Weil dies so kam, stehen die Planungen des Kirchentages für 2017 jetzt schon im Fokus der Öffentlichkeit. In Leipzig konnte der kleinere Katholikentag ein Laientreffen ohne AfD-Funktionäre erproben. Die Nicht-Geladenen waren dennoch in aller Munde. Das Alternativprogramm gab es im Fernsehen: Die dortige Dauerpräsenz tabubrechender AfD-Führer hat dieser Partei bisher nicht geschadet.

Als „Märtyrer auf dem Schafott der Lügenpresse“ gefallen sich ihre reaktionären Selbstdarsteller besonders gut. Keine noch so kluge Kirchentagsmoderation würde diese Propagandakünstler entzaubern können. Eher stände der Kirchentag in der Gefahr, Wahlkampfhilfe für diese Provokationstaktiker im Wahljahr 2017 zu leisten.

Allein die bürgerliche Kirchentagskulisse würde der Rechtsaußenpartei das Image einer demokratietauglichen Volksgruppe verpassen. Solange jedoch die Zahl rechtsradikaler Gewalttaten ansteigt und über 1000 Angriffe auf Flüchtlinge im Jahr 2015 Beleg einer brandgefährlichen Pogromstimmung sind, wäre eine Bühnenpräsenz dieser Biedermänner und Brandstifter ein grob fahrlässiges Zeichen.

Wenn „Reichsbürger“, Republikaner und NPD-Wähler in der AfD ihr neues Zuhause gefunden haben, muss eine Kirche dem wiedererstarkten Rechtspopulismus nicht auch noch eine neue Heimat bieten. Vielmehr gilt es, die Geister zu scheiden und sich im wahrsten Sinne des Wortes auseinander und nicht zusammen zu setzen.

Noch ist die Gefechtslage offen. Ob die Projektleitungen des Kirchentages AfD-Promis auf den Veranstaltungsschild heben, ist noch nicht ausgemacht. Deshalb sollte das Kirchentagspräsidium klare Kante zeigen. Eine Appeasement-Politik gegenüber islamophoben, homophoben und xenophoben Kräften wäre falsch verstandene Nächstenliebe.

Die Nöte der AfD-Wählerschaft werden auch die Veranstaltungen des Kirchentages bestimmen. Aber dazu braucht es keine Profilierungsmöglichkeit ihrer Funktionäre. Kirchentage sind keine öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten, sind nicht zur Neutralität verpflichtet. Sie haben in haltlosen Zeiten vielmehr Haltung zu zeigen und ihre Lehren aus dem Kirchenkampf weiter zu ziehen.

Vor der Versendung von Einladungen sollten daher alle Kirchentagsmacher das Grundsatzprogramm der AfD lesen. Darin wirbt sie für einen „sicherheitspolitischen Befreiungsschlag“. Der „Schutz der Bürger“ steht für die AfD an erster Stelle, verbunden mit einem „klaren Systemwechsel hin zu Behörden, die zum maximalen Schutz der Bürger in der Lage sind: Ausländerbehörden, Polizei und Strafverfolgung.“ Wieder ist „der Ausländer“ an allem Schuld.

Mit „Britain-first“-Rufen hat ein 52-Jähriger in England die Labour-Abgeordnete Jo Cox niedergestochen. Mit „America-first“-Parolen führt Donald Trump in den USA einen gehässigen Wahlkampf. Und die AfD tönt: Deutschland den Deutschen. Bei ihr lauert der Untergang schon in ausländischen Geburtskanälen: „Dass die Geburtenrate unter Migranten mit mehr als 1,8 Kindern deutlich höher liegt als unter deutschstämmigen Frauen, verstärkt den ethnisch-kulturellen Wandel der Bevölkerungsstruktur.“

Diese Partei der Globalisierungsverweigerer interpretiert auch die Willkommenskultur um: „Die Alternative für Deutschland setzt sich für eine Willkommenskultur für Neu- und Ungeborene ein.“ Lebende, die wegen ihrer Hautfarbe, Herkunft, Religion oder sexuellen Orientierung verfolgt werden, schützt diese Partei hingegen nicht. Von ihnen fühlt sie sich eher bedroht: „ Unsere Kinder dürfen in der Schule nicht zum Spielball der sexuellen Neigungen einer lauten Minderheit werden.“

Bildungspolitisch tickt die AfD nahezu totalitär. „Das klassische Rollenverständnis von Mann und Frau soll durch staatlich geförderte Umerziehungsprogramme in Kindergärten und Schulen systematisch “korrigiert„ werden“, behauptet sie. Wer somit hinter der Gleichberechtigung den Verfall des Abendlandes wittert, beschwört alte Zeiten: „Die Alternative für Deutschland bekennt sich zur deutschen Leitkultur, die sich im Wesentlichen aus drei Quellen speist: erstens der religiösen Überlieferung des Christentums, zweitens der wissenschaftlich-humanistischen Tradition und drittens dem römischen Recht.“

Sobald das so beschworene Christentum aber tatkräftig wird, packt die AfD ihre Lügenkeule aus und unterstellt den Kirchen ein „Milliardengeschäft mit Flüchtlingen“. Diese Vorurteilspartei völkischer Alternativlosigkeit fordert den Systemwechsel in Politik und Kirche. Hinweise auf die Menschenrechte fehlen in ihrem Programm völlig.

Stattdessen wird das multikulturelle Feindbild durchs braune Dorf gejagt. „Die Ideologie des Multikulturalismus, die importierte kulturelle Strömungen auf geschichtsblinde Weise der einheimischen Kultur gleichstellt und deren Werte damit zutiefst relativiert, betrachtet die AfD als ernste Bedrohung für den sozialen Frieden und für den Fortbestand der Nation als kulturelle Einheit.“

Frauke Petrys Heimatschutzministerium ruft damit mental zu den Waffen, um die deutsche Identität bis aufs Blut zu verteidigen. Solch geschichtsblinder Kulturpessimismus übersieht die vielfältigen Wurzeln unseres christlichen Abendlandes. Zu Pfingsten schon sorgten Christen mit ihrer geistreichen Mehrsprachigkeit für Erstaunen. Die neue Familie Gottes unterschied nicht zwischen Juden und Griechen, Herren und Sklaven, Männer und Frauen.

Die AfD hingegen ist auf ihrem kulturgeschichtlichen Auge am Braunen Star erkrankt. Bei vier Millionen Muslimen im Land bekennt sie: „Der Islam gehört nicht zu Deutschland.“ Was aber ist mit meinem muslimischen Nachbarn? Gehört er nicht in unseren Stadtteil? „In seiner Ausbreitung und in der Präsenz einer ständig wachsenden Zahl von Muslimen sieht die AfD eine große Gefahr für unseren Staat, unsere Gesellschaft und unsere Werteordnung.“

Diese Volksverhetzer, die mit dem Feuer der Fremdenangst zündeln, gehören nicht zum Kirchentag. Wer den Islam so unter Generalverdacht stellt, ist dort falsch. Außerdem sind unkalkulierbare Schäden im interreligiösen Dialog zu befürchten, einem Herzstück des Kirchentages. „Das Minarett lehnt die AfD als islamisches Herrschaftssymbol ebenso ab wie den Muezzinruf“ – das erinnert an den Pro-NRW-Wahlkampf, der mit durchgestrichenen Moscheen für die Beseitigung von Gebetshäusern warb.

Allein der Glaube an die neoliberale Marktwirtschaft hat Bestand: „[Es] gilt für die AfD: Je mehr Wettbewerb und je geringer die Staatsquote, desto besser für alle. Denn Wettbewerb schafft die Freiheit […], eigenverantwortlich Verträge zum eigenen Vorteil und zum allgemeinen Wohl zu schließen.“ An den Hochhäusern der Banken stört sich die AfD nicht, aber an Minaretten. Für sie steht der Egoismus über dem Gemeinwohl, dürfen Reiche immer reicher werden. „Die AfD will die [...] Vermögensteuer und die Erbschaftsteuer abschaffen.“

Es bleibt zu hoffen, dass nach solcher Lektüre keiner mehr auf die Idee kommt, den AfD-Protagonisten Einladungen einzutüten. Darauf zu verzichten, würde den Protestantismus zudem vor einer schweren Zerreißprobe im Jubiläumsjahr bewahren. Mit Worten von Heinrich Böll will ich in diesen wirren Zeiten schließen. Ich hörte sie als Fürbitte auf der Trauerfeier für Rupert Neudeck.

„Es ist schön, ein hungerndes Kind zu sättigen, ihm die Tränen zu trocken, ihm die Nase zu putzen, es ist schön, einen Kranken zu heilen […] Aber – Recht und Gerechtigkeit sind auch schön. Und sie haben ihre Poesie, wenn sie vollzogen werden. Tuende, nicht Tätige, möchte ich ehren. Alle diejenigen, die wissen, was es bedeutet, ein Flüchtling, ein Vertriebener zu sein, unwillkommen zu sein.“

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