Interview mit Bundesrechnungshof-Präsident Kay Scheller: "Es fehlt am Willen zur Konsolidierung"

BERLIN · Kay Scheller, Präsident des Bundesrechnungshofes spricht im Interview über die Ausgabenpläne der Sondierer, Sparmöglichkeiten im Etat und Haushaltsrisiken.

Rechnungshofpräsident Kay Scheller vermisst bei den Sondierern von Union und SPD Problembewusstsein: Die Ausgabenpläne der Parteien gingen weit über den vorhandenen Finanzspielraum hinaus, kritisiert er. Mit ihm sprach Birgit Marschall.

Union und SPD haben sich viel vorgenommen in ihrem Sondierungsbeschluss: Sie wollen Mütterrenten erhöhen, Wohnungsinvestoren fördern, Langzeitarbeitslose qualifizieren. Was vermissen Sie in dem Sondierungsbeschluss?

Kay Scheller: Auffällig ist, dass aus dem Sondierungspapier nicht zu entnehmen ist, ob alle aufgeführten Maßnahmen durchfinanziert sind. Mit anderen Worten: Ich kann nicht erkennen, wie die genannten Vorhaben finanziert werden sollen. Es ist von einem Spielraum von 46 Milliarden Euro die Rede, die bis 2021 zur Verfügung stehen. Das ist aus Sicht des Rechnungshofs eine realistische und nachvollziehbare Größe. Diese Summe reicht aber bei Weitem nicht aus, um die im Papier enthaltenen Pläne von Union und SPD zu finanzieren. Die Verhandlungspartner sollten daher ein komplettes Finanztableau vorlegen – spätestens im Koalitionsvertrag.

Für welche Ausgabeposten gibt es denn keine Finanzierung?

Scheller: Für die aufgeführten Verbesserungen im Rentensektor gibt es keinerlei Zahlen. Die Kosten für die geplante Erhöhung der Mütterrente zum Beispiel sind nicht ausgewiesen. Hierfür würden nach Schätzungen der Deutschen Rentenversicherung bis zu vier Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich gebraucht. Das ist eine versicherungsfremde Leistung, die konsequenterweise aus dem Bundeshaushalt finanziert werden müsste...

Das will die große Koalition aber aus Beitragsmitteln bezahlen...

Scheller: Und dennoch steigen die Leistungen aus dem Bundeshaushalt an die Rentenversicherung, auch ohne Erhöhung der Mütterrente. Zudem würden die anderen Rentenpläne – also die Stabilisierung des Rentenniveaus auf 48 Prozent, die Einführung einer Grundrente – dazu führen, dass der Bundeszuschuss zur Rentenversicherung voraussichtlich noch deutlich vor 2021 die 100-Milliarden-Euro-Marke durchbrechen wird.

Wo sehen Sie noch eine Unterfinanzierung in den Plänen für eine Groko?

Scheller: Union und SPD wollen künftig mehr Geld für den EU-Haushalt bereitstellen. Die EU-Kommission fordert deutlich mehr Geld von Deutschland nach dem Brexit und für neue Maßnahmen. Nach vorsichtiger Schätzung dürfte Deutschland als Nettozahler dann bis 2021 mindestens zehn Milliarden Euro mehr in die EU-Kasse zahlen müssen als bisher.

Das Wort Haushaltskonsolidierung kommt im Sondierungsbeschluss nicht vor. Oder haben Sie es irgendwo entdeckt in den 28 Seiten?

Scheller: Nein, den Willen für eine qualitative Konsolidierung zum Beispiel durch den Abbau von Steuersubventionen kann ich bei den Sondierern bisher nicht erkennen. Es wäre aber sehr wichtig, neue Handlungsspielräume im Haushalt zu schaffen. Im Sondierungspapier ist eine expansive Ausgabenpolitik angelegt. Ich sehe schon jetzt nicht, wie man da mit 46 Milliarden Euro auskommen will.

Aber die Steuereinnahmen sprudeln doch.

Scheller: Ja, aber beim Bund schwindet die Einnahmenbasis in den kommenden Jahren trotz der allgemein guten Wirtschaftslage, weil der Bund den Ländern große Teile von seinem Steuerkuchen schon abgegeben hat. Das sehen Sie auch daran, dass der Überschuss des Bundes 2017 mit drei Milliarden Euro vergleichsweise gering ausfällt, während die Länder ein Plus von 16 Milliarden Euro erzielt haben. Ab 2020 wird der Bund den Ländern im Zuge der Bund-Länder-Finanzreform nochmals zehn Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich geben.

Wo sollte denn eingespart werden im Bundeshaushalt?

Scheller: Neben einer umfassenden Ausgabenkritik denke ich auf der Einnahmenseite an den ermäßigten Umsatzsteuersatz, der seit 40 Jahren für etliche Produkte gewährt wird, von denen heute aber viele gar nicht gefördert werden müssten. Vor vier Wochen waren Weihnachtsbäume stark gefragt, hier gibt es sage und schreibe vier verschiedene Steuersätze. Auf pürierte Fruchtsäfte zahlt man sieben Prozent, auf gepresste 19 Prozent Umsatzsteuer. Weitere Beispiele sind Kaffeepulver und Instantkaffee: Sie unterliegen dem ermäßigten Steuersatz – Kaffeegetränke aus dem Automaten dagegen dem Regelsteuersatz. Und nicht zu vergessen: Der 2010 eingeführte ermäßigte Steuersatz für das Hotelgewerbe gilt immer noch. Hier sollte die Politik einfach mal mutig rangehen. Auch die steuerliche Vergünstigung des Dieselkraftstoffes macht keinen Sinn mehr, weil Diesel aus heutiger Sicht unterm Strich keinen ökologischen Vorteil gegenüber Benzin bringt.

Wie bewerten Sie, dass der Sondierungsbeschluss jede Menge neuer Subventionen enthält, etwa zur Förderung des Wohnungsbaus?

Scheller: Zunächst sieht der Beschluss auch vor, dass der Bund den sozialen Wohnungsbau, für den die Länder seit der jüngsten Föderalismusreform komplett allein zuständig sind, auch 2020 und 2021 durch zweckgebundene Zuweisungen weiter fördert. Hier besteht die Gefahr für den Bund, dass er zwar für den Wohnungsbau mitbezahlt, aber die zweckgemäße und wirtschaftliche Verwendung der Mittel nicht kontrollieren kann.

Zusätzlich soll der frei finanzierte Wohnungsbau steuerlich gefördert werden, ebenso die Eigentumsbildung junger Familien. Sinnvoll?

Scheller: Direkte Finanzhilfen sind aus Sicht des Rechnungshofs generell besser als die steuerliche Förderung, weil dadurch weniger Mitnahmeeffekte anfallen. Der Staat hat durch Finanzhilfen eine bessere Steuerungsmöglichkeit, dass sein Geld auch zielgerichtet eingesetzt wird.

Welches Zinsrisiko kommt auf den Bund in den kommenden Jahren zu?

Scheller: Wie lange die Niedrigzinsphase der letzten Dekade noch anhält, ist ungewiss. Dann werden die Refinanzierungskosten des Bundes, der mit über einer Billion Euro verschuldet ist, sehr schnell steigen. Wenn die Zinsen wieder steigen, rückt der Bundeshaushalt automatisch wieder näher an die Defizitgrenze heran. Deshalb appellieren wir ja an die Politik: Macht euch durch Haushaltskonsolidierung unabhängiger von Konjunktur- und Zinsschwankungen.

Wo sehen Sie im Bundeshaushalt Einsparpotenziale aufgrund von Mittelverschwendung?

Scheller: Traditionell finden wir viele Verschwendungsbeispiele in den großen Investitionshaushalten im Verkehrs- und Verteidigungsressort. Wenn man unseren Empfehlungen folgen würde, hätte etwa die Verteidigungsministerin auf der Aufgabenseite noch viel mehr Geld zur Verfügung. Ein Beispiel war, dass die Bundeswehr Transportbehälter für Satellitenempfangsanlagen angeschafft hat, die sie dann aber gar nicht in die Einsatzgebiete fliegen konnte. Viel Geld bezahlt die Regierung für externe Berater, deren Beratungsleistungen man hinterher aber nicht kritisch überprüft.

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