20 Jahre nach Regierungsumzug Kaum ein Abgeordneter war schon in Bonn aktiv

Berlin · Von den 709 Abgeordneten des Bundestages hat nur eine Minderheit Politik bereits am Rhein gemacht. Mögliche Bonn-Nostalgie? Fehlanzeige.

Von den Antragstellern ist keiner älter als 35 Jahre. 1991? Graue Vorzeit. 1994? Die Antragsteller sind noch in der Grundschule oder noch gar nicht geboren. Das Berlin/Bonn-Gesetz? Mal nachlesen, was das ist. Im vorigen Dezember bringt die Junge Union beim CDU-Bundesparteitag einen Antrag ein: „Berlin/Bonn-Gesetz zukunftsfest machen“. Darin heißt es: Fast 25 Jahre nach Inkrafttreten des Berlin/Bonn-Gesetzes „stellen wir fest, dass ein Teil der gesetzlichen Regelungen trotz der dauerhaften zeitlichen Auslegung teilweise nicht mehr eingehalten wird“. Die JU gibt zwar ein klares Bekenntnis zur Dauerhaftigkeit der Regierungsstandorte Berlin und Bonn ab. Auch sollen weitere UN-Sekretariate an den Rhein geholt werden. Aber: „Eine Beibehaltung des Status quo, nach dem unabhängig von der Sinnhaftigkeit ein Dienstsitz in Bonn zwingend bestehen muss, lehnen wir ab. Es soll keinen Dienstsitz um des Dienstsitzes Willen geben.“

Der Politnachwuchs der Unionsparteien steht mit seinem Antrag stellvertretend für die stark bröckelnde Bonn-Fraktion, sofern man die überhaupt noch so nennen kann. Mit jedem Jahr, in dem Parlament und große Teile der Regierung länger in Berlin sind, werden die Bonn-Versteher im Bundestag weniger. Abgeordnete, die noch im alten Wasserwerk oder im neuen Plenarsaal am Rednerpult standen, gibt es mittlerweile nur noch als Resteposten. Lediglich rund 40 der 709 Abgeordneten haben Politik und Gesetze bereits am Rhein gemacht. Mögliche Bonn-Nostalgie? Fehlanzeige. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hatte dazu im GA-Interview nüchtern festgestellt: „Wenn keiner mehr da ist, der das erlebt hat, dann kann es auch keine Nostalgie geben.“

Zwei Verteidigungsminister werfen sich für Berlin in die Bresche

Ganz vorn an der Front der erklärten Bonn-Gegner kämpften schon Anfang der 2000er Jahre Vertreter der heutigen Linke-Fraktion, damals noch PDS, für einen Gesamtumzug der Bundesregierung nach Berlin. Deutlich später warfen sich mit Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) und in der Folge auch Thomas de Maizière (CDU) gleich zwei Verteidigungsminister für Berlin in die Bresche. Beide beförderten den „Rutschbahneffekt“. De Maizière, selbst gebürtiger Bonner, machte unverhohlen klar, dass er so viele Dienstposten wie möglich an die Spree holen wolle. Dabei ist der erste Dienstsitz der Bundesministerin der Verteidigung, Ursula von der Leyen (CDU), bis heute die Hardthöhe.

Auch die ehemalige Bundesbauministerin und Berlin/Bonn-Beauftragte der Bundesregierung, Barbara Hendricks (SPD), immerhin selbst aus NRW, versuchte Bewegung in die Berlin/Bonn-Debatte zu bringen. Sie ließ vor zwei Jahren einen Statusbericht erarbeiten – selbstredend ergebnisoffen –, der aufzeigen sollte, wie gut die Arbeitsteilung zwischen den Regierungssitzen funktioniert. Hendricks machte dabei zwar deutlich, dass sie keinen Gesamtumzug nach Berlin fordere. Zugleich stellte sie aber auch klar: „Wer keinen Rutschbahneffekt will, muss Interesse an einem gesteuerten und geordneten Prozess haben.“

Wie lange kann Bonn seine Ministeriumsstandorte verteidigen?

Der leichteste Weg, einen Gesamtumzug nach Berlin zu organisieren, wäre eine Änderung des Berlin/Bonn-Gesetzes. Hendricks damals überzeugt: „Ich nehme an, eine solche Mehrheit wäre schnell gefunden.“ Darum gehe es aber nicht. Vorrangig sei die Frage: „Welche Strukturen braucht es in Bonn und in Berlin, um zukünftig weiterhin gute Regierungsarbeit zu machen?“ Bis heute wagt sich keine nennenswerte Gruppe im Bundestag offen daran, das Berlin/Bonn-Gesetz zu ändern – oder gar zu kippen.

Und trotzdem ist eine offene Frage, die am Rhein mehr Menschen umtreibt als an der Spree: Wie lange kann Bonn seine Ministeriumsstandorte noch verteidigen? Bundespräsidenten schwärmen von ihrem Bonner Dienstsitz. Joachim Gauck sagte, es gehe ihm das Herz auf, wenn er auf der Terrasse von Villa Hammerschmidt stehe und auf den Rhein blicke. Vielen Abgeordneten ginge das Herz auf, wenn alle Ministerien komplett in Berlin wären. Nur sagen trauen sie es sich (noch) nicht.

Alle bisher erschienen Teile der Serie "20 Jahre Regierungsumzug Bonn/Berlin" gibt es unter www.ga.de/regierungsumzug

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