Interview mit dem neuen Helge Braun Kanzleramtschef verspricht Schutz für Autofahrer in der Diesel-Krise

Berlin · Der neue Kanzleramtschef Helge Braun spricht über die Beziehungen zwischen Bund und Ländern, die Digitalisierung der Schulen und die Diesel-Krise. Ein Interview.

Im ersten Interview nach seiner Vereidigung fordert der neue Kanzleramtschef Helge Braun eine konzertierte Aktion von Bund und Ländern für die digitale Welt der Bildung. Beim heiklen Thema Diesel verspricht er Schutz für Autofahrer, Steuerzahler und Beschäftigte.

Herr Braun, was können Politiker von Notärzten lernen?
Helge Braun: Das Wichtigste ist zunächst immer, Ruhe zu bewahren. Das hilft einem im Leben überall. Weiterhin, dass man bei einem kritischen Projekt keinen Stillstand dulden darf: Auf der Intensivstation muss der Zustand des Patienten jeden Tag einen Fortschritt machen.

Auf welcher Station liegt die große Koalition gerade?
Braun: Auf der Neugeborenenstation! Der Wille ist groß, die Dinge nach vorne zu bringen. Ich freue mich darauf. Wir werden die Zeit, die wir länger für die Regierungsbildung gebraucht haben, wieder aufholen.

Was steht als erstes an?
Braun: Wir müssen gleich am Anfang die Familien entlasten und den Abbau des Solidaritätszuschlags beschließen. Der Haushaltsentwurf ist schon ein halbes Jahr alt. Den müssen wir aktualisieren.

Warum sperrt sich die Bundesregierung gegen blaue Plaketten für Dieselautos je nach Schadstoffausstoß?
Braun: Weil wir keine Fahrverbote wollen.

Es läuft ja ein EU-Vertragsverletzungsverfahren, dann müssen die Steuerzahler bald die von der EU zu verhängenden Strafzahlungen begleichen?

Braun: Nein, es wird absehbar nicht zu Strafzahlungen kommen. Erstens hat die EU noch keine Klage erhoben, weil wir zusätzliche Anstrengungen unternehmen. Zweitens werden wir mit dem Sofortprogramm „Saubere Luft“ sehr weit kommen. Die Grenzwerte nehmen wir ernst. Die 70 Städte, die sie momentan noch nicht einhalten, liegen nicht weit darüber.

München, Stuttgart, Köln aber sehr wohl . . .
Braun: Mit Maßnahmen wie intelligenter Verkehrsführung, Car-Sharing und Elektrofahrzeugen im Lieferverkehr können wir viel ausrichten. Nur bei fünf bis zwölf Städten wird allein das wohl nicht ausreichen. Als letztes Mittel könnten vor Ort Umfahrungen oder Verkehrsbeschränkungen ausgewiesen werden. Aber großflächige Innenstadtfahrverbote können wir den Dieselfahrern nicht zumuten.

Die Regierung hat die Autoindustrie jahrelang beim Thema Diesel geschont. Warum greifen Sie nicht durch?
Braun: Wir schonen die Unternehmensführungen in der Industrie nicht. Wir haben aber eine verantwortungsbewusste Haltung gegenüber den Autofahrerinnen und Autofahrern, den vielen Beschäftigten in der Autoindustrie und den wirtschaftlichen Interessen Deutschlands. Wenn es zu Schwierigkeiten in der Industrie kommt, ist das selten zum Schaden der Manager, sondern meistens zum Schaden der Belegschaften in den Werken. Ihnen fühlen wir uns verpflichtet. Aber natürlich müssen die betroffenen Autohersteller Fahrzeuge mit einer illegalen Abschalteinrichtung so lange nachrüsten, bis sie den gesetzlichen Zulassungsanforderungen entsprechen. Das werden wir nachhalten.

Das Verkehrsministerium führt ja den Titel Digital im Namen. Sind Sie dennoch Deutschlands Chef-Digitalisierer?
Braun: Ich bin als Chef des Bundeskanzleramtes für die Koordinierung aller Themen zuständig, habe aber nie einen Hehl daraus gemacht, dass mir die Digitalisierung besonders wichtig ist. Ich werde mich dafür einsetzen, dass der Aufbruch gelingt.

Wann werden in Deutschland – bis zum Niederrhein – flächendeckend gigabitfähige Glasfasernetze zur Verfügung stehen?
Braun: 2025. Das haben wir versprochen. Die heute noch ganz besonders schlecht ausgestatteten Gegenden sollen vorrangig schnelles Internet bekommen. Wir werden der Wirtschaft auferlegen, dass sie beim Ausbau von Regionen nicht wie in der Vergangenheit einfach einige Straßen links liegen lässt.

Wie wollen sie das sicherstellen?
Braun: Durch Klarheit in den Bedingungen für den öffentlich geförderten Ausbau der Netze – und einen rechtlich abgesicherten Anspruch auf schnelles Internet ab 2025. Wir wollen zehn bis zwölf Milliarden Euro öffentliches Geld in die Förderung des Ausbaus investieren. Das würde ausreichen, um die Hälfte oder mehr der Wirtschaftlichkeitslücken in dieser Legislaturperiode zu schließen. Wir rechnen mit rund 80 Milliarden privater Investitionen der Telekommunikationsunternehmen.

Was hat Priorität?
Braun: Die Ausstattung der Schulen und der Gewerbegebiete! Die sollen schon zum Ende dieser Legislaturperiode alle angeschlossen sein.

Dann muss die Grundgesetzänderung zur Lockerung des Kooperationsverbotes von Bund und Ländern schnell kommen. . .
Braun: Ja, wir müssen die Grundgesetzänderung schnell angehen. Das hilft uns auch bei der Ausgestaltung des Digitalpakts Schule.

Was nutzt es den Schulen, wenn Sie ans schnelle Internet angeschlossen sind, aber ihre Computer nicht gewartet werden?
Braun: Wir werden eine einheitliche Bildungsplattform, eine deutschlandweite Bildungs-Cloud schaffen. Die ist deshalb so immens wichtig, weil wir uns unabhängig machen wollen von Endgeräten. Die schnelle Schaffung einer Bildungs-Cloud ist auch deshalb wichtig, weil der Bildungsmarkt von den großen internationalen Plattformanbietern immer stärker bespielt wird. Der Bund und die Bundesländer sind aber an eigenen Produkten interessiert. Wenn wir ein attraktives Bildungsangebot in Plattformen haben wollen und verhindern wollen, dass uns Google und andere zuvorkommen, dann brauchen wir jetzt eine konzertierte Aktion von Bund und Ländern. Wir müssen die staatliche Hoheit über den sensiblen Bildungssektor erhalten.

Und Sie schreiben den Rechtsanspruch auf schnelles Internet bis 2025 ins Gesetz?
Braun: Wir werden einen rechtlich abgesicherten Anspruch auf schnelles Internet für alle Bürger zum 1. Januar 2025 schaffen und diesen bis zur Mitte der Legislaturperiode ausgestalten.

Wann kommen die Flugtaxis?
Braun: Nicht bis 2025. Aber man darf bei diesem Thema ruhig mal Zukunftsvisionen äußern. Das ist das Schöne an der Digitalisierung, dass man auch mal querdenken kann.

Es gibt eine Sollbruchstelle für die große Koalition mit der im Koalitionsvertrag vorgesehenen Bilanz zur Halbzeit der Legislaturperiode...
Braun: Ich empfinde das nicht als Sollbruchstelle. Diese Koalition und ihre Projekte sind eindeutig auf die volle Legislaturperiode ausgelegt. Vielleicht fallen uns bei der Evaluierung zur Halbzeit noch neue Ideen und Verbesserungen ein.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort