Interview mit Josef Schuster Jüdischer Zentralrat sieht Muslime nicht als Feinde

Juden in Deutschland sorgen sich um antisemitisch indoktrinierte Flüchtlinge. Der Zentralratsvorsitzende der Juden in Deutschland, Josef Schuster, spricht im Interview mit unserem Korrespondent Gregor Mayntz über Kritik an Israel, Martin Luther und die AfD.

 „Man muss nicht mit allen Entscheidungen Israels einverstanden sein. Allerdings redet es sich aus 3500 Kilometern Entfernung über vieles sehr leicht“, sagt Josef Schuster.

„Man muss nicht mit allen Entscheidungen Israels einverstanden sein. Allerdings redet es sich aus 3500 Kilometern Entfernung über vieles sehr leicht“, sagt Josef Schuster.

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150 000 Juden stehen Millionen Muslime in Deutschland gegenüber. Was macht das mit Ihnen?

Schuster: Diese Situation kennen wir ja nun seit Längerem. Ich würde im Großen und Ganzen von einem friedlichen Nebeneinander sprechen. Was unserer Gemeinschaft allerdings seit 2015 Sorgen macht, ist der Fakt, dass unter den als Flüchtlinge nach Deutschland gekommenen arabischen Muslimen viele sind, die in ihrer Heimat über Jahrzehnte antisemitisch indoktriniert wurden. Umso größer ist jetzt die Herausforderung, diesen Menschen die Werte nahezubringen, die unser Zusammenleben in Deutschland bestimmen – vom Existenzrecht Israels bis zur Gleichberechtigung von Mann und Frau.

Gibt es einen Konflikt zwischen Kopftuch und Kippa? Sollten Juden muslimische Wohnviertel meiden?

Schuster: Juden sind generell in der Öffentlichkeit zurückhaltend, sich als Juden zu erkennen zu geben. Das gilt in Gegenden, wo Rechtsextreme dominieren ebenso wie in stark muslimisch geprägten Gegenden.

Islamistische Terroristen erklären den christlichen „Kreuzfahrernationen“ den Krieg. Verringert das die Gefährdungen von Juden?

Schuster: Diese Islamisten attackieren alle Nicht-Muslime. Und sie sehen Israel als „störenden Staat“ und alle, die sie damit in Verbindung bringen.

Laut Studien ist der klassische Antisemitismus auf dem Rückzug, dafür der Antizionismus auf dem Vormarsch. Spüren Sie das auch?

Schuster: Ja, das nimmt zu. Immer häufiger wird „Israel“ gesagt, wenn „Juden“ gemeint sind. Es geht ja gar nicht darum, dass man keine Kritik an Israel äußern darf – die meisten Kritiker der israelischen Politik finden sich vermutlich in Israel. Es geht darum, dass man mit Israel-Kritik politische Korrektheit suggeriert, obwohl sich dahinter immer häufiger alte Stereotypen und Hass verbergen. Es wäre sehr sinnvoll, im Bundeskanzleramt einen Antisemitismus-Beauftragten zu installieren. Die Antisemitismus-Forschung zeigt immer wieder Handlungsempfehlungen auf, die dann in den Schubladen verschwinden. Das darf mit dem vor Kurzem veröffentlichten Antisemitismusbericht des Unabhängigen Expertenkreises nicht passieren. Wir brauchen einen Beauftragten, der die Entwicklung ständig im Blick behält, die Verantwortung für politische Initiativen hat und Ansprechpartner ist.

Auch Deutschland gehört zu den Israel-Kritikern, etwa bei Grenzanlagen und Siedlungen.

Schuster: Man muss nicht mit allen Entscheidungen Israels einverstanden sein. Allerdings redet es sich aus 3500 Kilometern Entfernung über vieles sehr leicht. Was wäre wohl in Deutschland los, wenn aus der Nachbarschaft immer wieder Raketenangriffe und Selbstmordattentäter kämen. Sicherlich würde von der Regierung hier dann auch erwartet, etwas zum Schutz der Bevölkerung zu tun.

Wie lässt sich verhindern, dass bei einem neuen Konflikt im Nahen Osten die Stimmung auf deutschen Straßen wieder eskaliert?

Schuster: Wichtig ist zum einen, dass man bei den Menschen, die jetzt zu uns gekommen sind, dieses Thema aktiv angeht. Das gilt es, in den Integrationskursen ganz klar aufzuarbeiten. Machen wir uns nichts vor: Integration dauert nicht ein Jahr, sondern eine Generation. Zum anderen müssen wir auch mit den Migranten arbeiten, die bereits in der zweiten oder dritten Generation hier leben. Hier sind vor allem die Schulen gefordert. Niemand wird als Antisemit geboren. Vorurteile werden von den Eltern und über einige arabische Medien weitergegeben. Dagegen müssen wir ankämpfen.

Wie gehen Sie mit der Behauptung der AfD um, an der Seite der Juden zu stehen?

Schuster: Diese These leitet die Partei ja daraus ab, dass sie sich sehr heftig gegen Muslime wendet. Aber die Rechnung „der Feind meines Feindes ist mein Freund“ geht nicht auf. Wir sehen Muslime nicht als unsere Feinde. In der Flüchtlingshilfe zum Beispiel sind bis heute auch jüdische Gruppen aktiv. Gerade erst hat sich der Zentralrat der Juden mit dem Zentralrat der Muslime in einem gemeinsamen Seminar darüber ausgetauscht. Die Behauptung, die AfD stehe an der Seite der Juden, wirkt auf mich mehr als geheuchelt. So ist es den Verantwortlichen bislang nicht gelungen, sich von Parteimitgliedern, die sich antisemitisch geäußert haben, etwa in Baden-Württemberg zu distanzieren. Ich halte durch die jüngsten Entscheidungen für Herrn Gauland als Spitzenkandidaten auch Herrn Höcke für eher gestärkt als geschwächt. Wenn wir Juden auf die von der AfD angebotene „Freundschaft“ wirklich angewiesen wären, gehörte ich zu den ersten, die empfehlen würden, Deutschland zu verlassen.

Höcke verlangt eine 180-Grad-Wende in der Erinnerungskultur. Könnte er damit eine Stimmung treffen?

Schuster: Ich bin mir sicher, dass Herr Höcke damit ganz gezielt auf Stimmenfang am äußersten rechten Rand geht.

Brauchen wir eine neue Form des Erinnerns, wenn nun Zeitzeugen kaum mehr zur Verfügung stehen?

Schuster: Was die Zeitzeugen uns berichten konnten, ist in den letzten Jahren vielfach in Bild und Ton festgehalten worden. Das bleibt. Und es bleiben auch die Erinnerungsorte, also die KZ-Gedenkstätten, die NS-Dokumentationsstätten. An diesen Orten können gerade junge Menschen hautnah erleben, was im Nationalsozialismus geschehen ist.

Wie schaut man als jüdischer Deutscher auf das deutsche Lutherjahr? Der Reformator war ja nicht frei von Antisemitismus.

Schuster: Ich halte es für völlig verständlich, dass die evangelische Kirche das Reformationsjahr zu Ehren ihres Kirchenstifters begeht. Ich empfinde es als sehr positiv, dass die Kirche die dunklen Seiten Luthers nicht verschweigt, sondern diese schwarzen Punkte in seiner Vita klar aufzeigt und sich davon distanziert. Sie macht das sehr verantwortungsvoll.

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