Seelsorge für Soldaten Interview mit Militärbischof Franz-Josef Overbeck

BONN · Militärbischof Franz-Josef Overbeck spricht im Interview über die Seelsorge für Soldaten, soziale Brennpunkte und das Verhältnis von Kirche und Staat.

 Franz-Josef Overbeck: „In gewissen anderen Ländern dieser Erde würde ich nicht Militärbischof sein wollen.“

Franz-Josef Overbeck: „In gewissen anderen Ländern dieser Erde würde ich nicht Militärbischof sein wollen.“

Foto: dpa

Als Militärbischof hat Franz-Josef Overbeck viel mit der Bundeswehr zu tun. Selbst Soldat war er nicht – wer Theologie studierte und Priester werden wollte, war damals vom Wehrdienst befreit. Im Gespräch mit Helge Matthiesen und Nils Rüdel beteuert Overbeck lächelnd, er habe als Militärbischof ja noch eine lange Dienstzeit vor sich. Damit „diene ich jetzt quasi nach“.

Woher kommt Ihr Interesse am Militär?

Franz-Josef Overbeck: Ich muss Ihnen verraten, ich wurde gar nicht gefragt. Der Nuntius (Vertreter des Heiligen Stuhls in Deutschland, Anm. d. Red.) teilte mir mit, dass mich Papst Benedikt XVI. zum Militärbischof ernannt habe. Da konnte ich nur ja sagen. Ich gestehe, dass ich außer als Kaplan, als ich Kriegsdienstverweigerer beraten habe, keine Militärerfahrung hatte und alles erst kennenlernen musste.

Manche sagen, Militär und Christentum schließen sich aus.

Overbeck: Seelsorge spielt immer da eine Rolle, wo es um Menschen geht. Es gibt keinen Menschen, aus dem nicht das Gewissen spricht und damit die Stimme Gottes. Meine Aufgabe sehe ich darin, Menschen in ihren Gewissensentscheidungen Stütze zu sein. Auch auf diese Weise trage ich zum Frieden bei. Jedoch gibt es immer wieder diese abstrusen Vorstellungen von anno dazumal, dass ich dazu da wäre, Waffen zu segnen. Gott bewahre, das ist natürlich Unfug. Ich bin Militärbischof in der Bundesrepublik Deutschland, die eine Parlamentsarmee hat und klaren ethischen Standards folgt. In gewissen anderen Ländern dieser Erde würde ich nicht Militärbischof sein wollen.

Die Armee ist ja eine sehr besondere Welt. Was ist anders bei Menschen, die beim Militär sind und Fragen zu Gott haben?

Overbeck: Als Militärseelsorger haben Sie es mit ganz normalen Menschen zu tun. Nicht nur mit den Soldatinnen und Soldaten, sondern auch mit deren Familienangehörigen und Partnern. Aber natürlich unterscheidet sich die Welt der Bundeswehr von anderen Kontexten. Es ist eine Welt, die von Befehl und Gehorsam bestimmt ist unter Wahrung der Freiheit des Gewissens. Dann gibt es noch die eine große Besonderheit: Die im Krisen- und Konfliktfall mögliche Anwendung von Gewalt, die mitunter auch geboten ist, um ein noch größeres Übel zu verhindern.

Was bedeutet das für Ihre Arbeit?

Overbeck: Zum einen begleiten wir die Soldaten bei Einsätzen im Ausland und hier in den Kasernen, zudem kümmern wir uns intensiv um die Familien. Zum anderen nimmt ethische Unterweisung einen zentralen Platz unseres Handelns ein. Was heißt es, unter moralisch hohem Druck eine Entscheidung treffen zu müssen, die viel Gewicht für das Leben anderer und das eigene Leben nach sich zieht? Das kennt man in dieser Radikalität in anderen Berufen kaum, außer vielleicht bei der Polizei oder der Feuerwehr. Aus Sicht der Soldaten gereicht uns zum Vorteil, dass wir in einer sonst streng hierarchischen Struktur der Schweigepflicht unterliegen.

Sie waren selbst in Afghanistan. Was haben Sie dort erlebt?

Overbeck: Ich habe erfahren, wie belastend das für die Soldaten sein kann, 24 Stunden im Einsatz zu sein und keine normalen Beziehungen führen zu können. Sie leben in Containern und stehen unter der Spannung ständiger Bereitschaft. Zu Beginn mag man das noch hinnehmen, aber nach sechs oder zwölf Monaten kann das schon sehr nervig werden. Da reicht dann auch die Muckibude nicht aus.

Verändert die Erfahrung mit Auslandseinsätzen die Truppe?

Overbeck: Die Bundeswehr ist in eine neue Ära ihrer Existenz eingetreten. Bis zur Wiedervereinigung war sie eine Verteidigungsarmee. Das hat sich verändert, vor allem angesichts weltweiter Gefahren, vom Kosovo über Mali bis hin nach Afghanistan.

In Deutschland wird das Thema Militär oft ausgeblendet, man will am liebsten nichts damit zu tun haben. Soldaten, die verwundet oder traumatisiert zurückkommen, vermissen Unterstützung.

Overbeck: In der veröffentlichten Meinung kann man so den Eindruck gewinnen; viele Menschen sehen es jedoch sehr differenziert. Sie nehmen die Notwendigkeit vieler Einsätze wahr, weil sie einsehen, dass die Gefahren einer globalisierten Welt auch das Weltgemeinwohl gefährden können. Dazu gehören auch Sicherheit und leider die mitunter nicht ausbleibende Anwendung von Gewalt. Dennoch gibt es auch die skeptischen Bürger, die nach dem Grauen des Nationalsozialismus froh waren, mit militärischer Gewalt nichts mehr zu tun zu haben.

Wo stehen Sie in der Frage?

Overbeck: Wir müssen versuchen, nicht nur alle Realitäten klar in den Blick zu bekommen, sondern wir müssen uns auch zu ihnen verhalten. Das beinhaltet freilich eine Gesamtverantwortung Deutschlands, die unter andrem auch militärisch-politische Konsequenzen haben kann.

Die Politik schickt die Bundeswehr zu gefährlichen Einsätzen, aber die Ausrüstung ist oft mangelhaft. Was heißt das für die Soldaten?

Overbeck: Dass es Erneuerungsbedarf gibt, ist unbestreitbar, dafür tritt auch die geschäftsführende Verteidigungsministerin ein. Aber das ist das politische Geschäft, nicht das des Militärbischofs. Der kann nur sagen: Wenn ihr Soldaten in einen Einsatz schickt, müssen diese ihn professionell durchführen können. Und dafür braucht es entsprechende Ausrüstung.

Die Bundeswehr verändert sich mit der Gesellschaft. Es gibt immer mehr muslimische Soldaten und mehr, die keiner Religion angehören. Beeinflusst das Ihre Arbeit?

Overbeck: Die Bundesrepublik unterhält momentan eine Armee mit rund 175 000 Soldaten. Davon sind zur Zeit etwas mehr als die Hälfte Christen. Und dann gibt es wahrscheinlich etwa 1500 bekennende Soldaten muslimischen Glaubens. Man sollte daher auch sicherstellen, dass eine entsprechende Seelsorge auch für diese Gläubigen möglich wird. Ungeachtet dessen möchte ich natürlich auch Menschen anderen Glaubens helfen, dass sie ihren Glauben leben können, ohne dass ich mich ihnen hierbei aufzwängen will.

Was tun Sie dafür?

Overbeck: Zum Beispiel trage ich mit dafür Sorge, dass diese Menschen mit einem Vertreter ihrer Religionsgemeinschaft in Kontakt treten können. Es muss aber auch klar sein, dass diese Religionsvertreter mit Blick auf Grundgesetztreue, Friedensverbundenheit oder Gleichberechtigung der Geschlechter auch unseren Standards entsprechen. Das sicherzustellen, ist Aufgabe des Staates, da er Religionsfreiheit garantiert. Wir als Militärseelsorge können da assistierend zur Seite stehen.

Wie weit ist die Bundeswehr da?

Overbeck: Hierzu gibt es bereits einige Überlegungen. Die Umsetzung wird vermutlich einige Herausforderungen mit sich bringen; ähnlich wie bei der Organisation des muslimischen Religionsunterrichts. Wir Kirchen haben auch lange vor Gründung der Bundesrepublik eine Lerngeschichte hinter uns gebracht. Diese steht manch anderen Glaubensgemeinschaften noch bevor.

Welche Bedeutung hat Religion in der heutigen Zeit?

Overbeck: Viele Menschen sind heute nicht mehr der Meinung, dass Religion unbedeutend sei. Im Gegenteil, das haben wir in den letzten Jahren zur Kenntnis nehmen können. Religion ist sogar sehr bedeutsam geworden. Was anderes ist, das darf man nicht verwechseln, ist Religiosität. Wenn ich mich mit Religion auseinandersetze, habe ich noch nichts darüber gesagt, ob ich auch ein religiöser Mensch bin und Religion praktiziere. Der Staat muss aber für Religionsfreiheit sorgen, damit der Mensch seine Religiosität leben kann. In diesem Zusammenhang betrachte ich die Bundeswehr wie ein Laboratorium, in dem man sehen kann, was auf die Republik noch viel intensiver zukommen wird.

Was folgt daraus politisch?

Overbeck: Die Politik hat, wie ich schon sagte, Religionsfreiheit zu garantieren. Ob ein Mensch religiös ist, unterliegt, Gott sei Dank, der Freiheit des Menschen. Hierbei darf selbstverständlich nicht der leiseste Eindruck entstehen, dass sich Politik in das Privatleben der Menschen einmischen will. Wenn ich von Religionsfreiheit spreche, muss ich auch von dem Recht sprechen, keiner Religion anzugehören.

Hat das auch Auswirkungen auf das Verhältnis von Kirche und Staat, wo es aus der Tradition heraus noch enge Verbindungen gibt?

Overbeck: Wir haben in Deutschland ein besonderes Verhältnis, was ich für klug halte. Nicht selten wird mir nämlich suggeriert, die strikte Trennung von Staat und Kirche nach französischem Vorbild sei das Nonplusultra. Im Gegenteil! Unser Modell führt zu einem friedfertigen Zusammenleben und zum Erfolg auf vielen Ebenen. Es zeigt, dass wir gegenseitig viel voneinander haben. Ich sage Ihnen aber auch ganz selbstbewusst: Der Staat kann das gerne auch anders regeln, aber dann möge er auch die Aufgaben übernehmen, die wir zum Teil vom Staat aufgrund der Subsidiaritätsstruktur übernommen haben.

Nach den Weihnachtspredigten brach eine Debatte darüber aus, wie politisch die Kirche sein darf. Wie ist Ihre Haltung dazu?

Overbeck: Beim Deutschen Katholikentag vor 50 Jahren in Essen lautete das Motto: „Mitten in dieser Welt“. Das ist die beste Positionierung für das Christentum. Es gibt keinen einzigen Bereich, der ausgespart ist. Auch wenn es unbequem ist, so haben wir uns maßnehmend am Evangelium und der Grundbotschaft unserer Tradition zu gesellschaftspolitischen Entwicklungen zu äußern. Das darf aber nicht parteipolitisch gefärbt sein.

Also sollte die Kirche klar Positionen beziehen?

Overbeck: Wenn ein Politiker, gleich welcher Partei, mir sagt, ihr habt euch nicht einzumischen, wird er von mir zu hören bekommen: Wir können nicht christlich sein, ohne politisch zu sein.

Die AfD setzt gezielte Provokationen, gerade beim Thema Migration. Erleben Sie solche Positionen bei Ihnen im Bistum, und wie sprechen Sie sie an?

Overbeck: Wir sind ein Bistum, das sich in sozialen Fragen immer schon sehr stark positioniert hat und das auch weiterhin tun wird. Dazu gehören auch viele Fragen des Umgangs mit Migranten und Flüchtlingen. Wir können als Kirche nur alles dafür tun, dass der soziale Frieden erhalten bleibt und wächst. Aber wir verschließen deswegen auch nicht die Augen vor der Komplexität der Situation. Etwa, wenn es darum geht, ein Einwanderungsrecht zu schaffen, oder darum, dass Menschen, die zu Unrecht hier sind, auch zurückgeschickt werden. Das Ruhrgebiet ist ein Laboratorium für diese Wirklichkeit und dankbarerweise ist es nicht so polarisiert wie andere Regionen.

Im Ruhrgebiet gibt es viele soziale Problemviertel mit hohem Migrantenanteil. Was tut die Kirche für die Integration?

Overbeck: Wir als Kirche können dort integrierend wirken, wo wir uns sozialpolitisch aufstellen. Das war so im schwierigen Strukturwandel angesichts der Schließung vieler Zechen und das ist jetzt auch bei den Migranten der Fall. Und die Kirche tut sehr viel, angefangen bei Kleiderkammern bis hin zu karitativen Einrichtungen für Menschen mit Migrationshintergrund. Wir nehmen unbegleitete Flüchtlinge in unseren Familienzentren und Kitas auf, bieten Tafeln an und geben Hilfe bei der Wohnungseinrichtung. Und nicht zu vergessen: das ehrenamtliche Engagement in den Gemeinden.

Nimmt hier die Kirche auf, was der Staat versäumt hat?

Overbeck: Warum kümmern wir uns im Ruhrgebiet um so viele Kinder? Weil der Staat es früher nicht genügend getan hat. Warum haben wir hier so viele Krankenhäuser mit kirchlicher Trägerschaft? Weil sich die meisten anderen nicht um die Kranken gekümmert haben. Das wollen einige nur nicht hören und kritisieren lieber den so genannten Machtanspruch der Kirche. Ich sage dann: Ihr könnt gerne selbst Krankenhäuser übernehmen, aber bitte mit allen Konsequenzen!

Haben Sie Hoffnung, dass Politik und Kirche die Probleme lösen?

Overbeck: Das ist eine Herkulesaufgabe für Generationen, die eignet sich nicht für wenige Legislaturperioden. Dafür braucht man Politikergenerationen, die das langfristig zu ihrem Oberthema machen. Davon haben wir hoffentlich ein paar (lacht). Sie können davon ausgehen, dass ich, wenn ich gesund bleibe, noch gut 20 Jahre Bischof von Essen bin. Dann werden Sie schon sehen, was Nachhaltigkeit ist. Das ist das Charmante am Amt des katholischen Bischofs: Der wird einmal ernannt, und dann bleibt der.

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