"Es ist wichtig, dass wir nicht vergessen" Interview mit Armin Laschet zum Holocaust-Gedenktag

Bonn · Armin Laschet war zum ersten Mal in Auschwitz. Über den Besuch am Holocaust-Gedenktag sprach mit dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Daniela Greulich.

Welche Empfindungen hatten Sie bei diesem Besuch?

Armin Laschet: Ich kannte natürlich die Bilder und Zahlen. Aber wenn man am Ort selbst ist, erschüttert das so persönlich und ermutigt gleichzeitig, alles dafür zu tun, dass sich das nie wiederholt. Es ist wichtig, dass wir nicht vergessen. Auschwitz hat gezeigt, was geschieht, wenn die schlechtesten Eigenschaften in Menschen zum Tragen kommen. Dabei war Auschwitz nur der Endpunkt. Die Entrechtung und Ausgrenzung hat bereits viel früher, bei der Machtergreifung der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 begonnen. Bereits Anfängen von Antisemitismus und Diskriminierung müssen wir deshalb entschieden entgegentreten.

Junge Juden aus der Gruppe, die größtenteils aus Bielefeld kommt, sagen, dass sie alle schon antisemitische Erfahrungen gemacht haben. Was macht das Land Nordrhein-Westfalen, um Antisemitismus entgegenzuwirken?

Laschet: Antisemitismus gibt es leider latent überall, auch in Nordrhein-Westfalen. Wir haben mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger seit Anfang November eine Antisemitismus-Beauftragte, eine Persönlichkeit mit hohem Renommee, die das Thema parteiübergreifend bearbeitet. Sie ist zentrale Ansprechpartnerin bei allen Fällen, die uns bekannt werden, soll aber auch vorbeugend tätig sein. Mir ist das Thema persönlich sehr wichtig, ebenso die Beziehung zu Israel. Der Antisemitismus kommt heute aus unterschiedlichen Richtungen: Da ist zum einen der rechte Antisemitismus, bei dem grundlegende gesellschaftliche Fragen, die eigentlich Konsens waren, wieder infrage gestellt werden. Auf der anderen Seite gibt es bei einigen Zugewanderten auch eine ganz andere, auch politisch durch den Nahostkonflikt motivierte Form des Antisemitismus. Beide muss man gleichermaßen erkennen und entschlossen bekämpfen.

Wie kann das gelingen?

Laschet: Man sollte jungen Menschen möglichst früh die deutsche Geschichte näher bringen, damit sie jenseits der eigenen Religion Empathie für die Opfer entfalten. Wir haben zum Beispiel den Jugendaustausch mit Israel ausgedehnt. Ein Besuch in der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem ist sicher sehr wichtig und beeindruckend. Noch eindringlicher ist es, die Orte des Verbrechens zu erleben, und Auschwitz steht dafür wie keine andere Gedenkstätte auf der Welt. Auschwitz ist authentische Geschichte, und deshalb ein besonderer Ort. Der Jahrestag der Befreiung ist erst 74 Jahre her, das ist sehr nah.

Wie kann man die Erinnerungskultur fördern?

Laschet: Man muss sie jeder Generation neu vermitteln. In den 1950er Jahren hat man das Thema verdrängt. Die Aufklärungsarbeit begann in Wirklichkeit erst in den 1960er Jahren durch die Auschwitz-Prozesse. Eine breite Öffentlichkeit hat das Thema durch den „Holocaust“-Film Ende der 1970er Jahre erreicht, der die Shoah am Beispiel einer Familie beschrieb. Ich dachte damals, das wissen alle, aber so viele wussten es vorher nicht. Das ist jetzt 40 Jahre her. Später gab es den Film „Schindlers Liste“. Jetzt gibt es wieder eine neue Zeit und eine neue Generation, so dass man immer neue Formen der Vermittlung braucht. Die junge Generation heute hat vielfach das Gefühl, dass sie damit gar nichts mehr zu tun hat. Ihr muss man es anders erklären. Das geht durch Besuche und Diskussionen. Und durch Zeitzeugen, die es aber irgendwann nicht mehr geben wird. Trotzdem müssen wir die Erinnerung wachhalten. Das ist die Aufgabe, die politische Bildung hat, ebenso der Geschichtsunterricht an Schulen. Aber das alleine reicht nicht. Wenn man in Auschwitz gewesen ist und all das gesehen hat, ist das so beeindruckend, dass man es nicht mehr vergisst.

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