Interview mit Joshua Wong Hongkonger Aktivist möchte Merkel treffen

Bonn · Der prominente Hongkonger Demokratie-Aktivist Joshua Wong will sich auch vom wachsenden Druck der Weltmacht China nicht einschüchtern lassen. Im Interview in Berlin äußert der 22-Jährige den Wunsch, in Zukunft einmal direkten Kontakt mit Angela Merkel aufzunehmen.

 Der Demokratieaktivist Joshua Wong am Mittwoch im Saal der Bundespressekonferenz in Berlin.

Der Demokratieaktivist Joshua Wong am Mittwoch im Saal der Bundespressekonferenz in Berlin.

Foto: ap

Herr Wong, am Montagabend haben Sie sich in informellem Rahmen mit Bundesaußenminister Heiko Maas getroffen. Worüber haben Sie gesprochen?

Joshua Wong: Das war eine gute Gelegenheit, sich über unsere gemeinsame Sorge in Hinblick auf eine mögliche Notverordnung auszutauschen, die die Regierung in Hongkong erlassen könnte. Notverordnungen sind ein Relikt aus der Kolonialzeit; dieses Instrument zu nutzen, wäre wie die Ausrufung des Kriegsrechts. Die Regierung könnte damit das Internet abschalten und die U-Bahnen stilllegen. Dahinter steckt die Hoffnung, mit diesen Mitteln den Protest zu behindern.

China hat auf Ihr Treffen mit dem deutschen Außenminister heftig reagiert, sich eine „Einmischung“ verbeten und Sie einen „Separatisten“ genannt. In China sind Bestrebungen zur Abspaltung von Landesteilen strafbar.

Wong: Es ist nicht überraschend, dass die chinesischen Regierungsvertreter sich so äußern. Es zeigt, wie sehr die offiziellen Stellen dort internationale Unterstützung für Hongkonger Aktivisten fürchten.

Sind Sie ein Separatist?

Wong: Nein, wir treten nicht für Unabhängigkeit ein. Wir fordern aber das Recht auf freie Wahlen in Hongkong, und wir fordern ein Ende der eskalierenden Polizeigewalt. Das ist unser Recht. Die kommunistische Führung hat sich in der chinesisch-britischen gemeinsamen Erklärung (zu Hongkong im Jahr 1985, d.Red.) dazu verpflichtet, ein freiheitliches System in Hongkong vorerst zu erhalten. Diese Erklärung ist bei den Vereinten Nationen registriert. Daran wollen wir Peking erinnern.

Und jetzt werben Sie international um Unterstützung für diese Sicht.

Wong: Ja. Wir tun das derzeit im Hinblick auf ein bevorstehendes Datum von einiger Wichtigkeit, den 1. Oktober.

Welche Bedeutung hat dieses Datum?

Wong: Am 1. Oktober jährt sich die Gründung der Volksrepublik China zum 70. Mal. Solche Jahrestage haben einen hohen Symbolwert. Die offiziellen Stellen werden da Ruhe haben wollen. Wir erwarten, dass Peking dann besonders hart gegen die Demokratiebewegung durchgreifen lässt.

Und werden Sie Ruhe geben?

Wong: Wir halten weiter unsere Demonstrationen ab. Jedes Wochenende. Am vergangenen Sonntag waren wieder hunderttausend Leute auf der Straße. Am 1. Oktober wird es auch wieder Märsche geben. Da die Verwaltung jedoch schon seit September keine Demo mehr genehmigt hat und die U-Bahnstationen abends schließt, erwarten wir auch für den 1. Oktober Behinderungen.

Wo sehen Sie die richtige Balance zwischen den streng friedlichen Märschen und den heftigeren Protesten, bei denen Demonstranten auch in Regierungsgebäude eingedrungen sind?

Wong: Keiner will Zusammenstöße und Gewalt. Keiner. Auch wir nicht. Es steht die Anschuldigung im Raum, dass Demonstranten Gewalt angewendet haben. Doch wir wissen alle, wer angefangen hat. Auf die Aktionen vor fünf Jahren (bei der Besetzung der Hongkonger Innenstadt, d.Red.) hat die Polizei nicht mit dieser unangemessenen Gewalt reagiert wie in diesem Jahr. Sie setzt jetzt lebensbedrohliche Waffen ein.

Das führt zu Gegenreaktionen?

Wong: Ja, wenn etwa Demonstranten die Tränengasgranaten mit Tennisschlägern zu den Polizisten zurückschlagen – diesen Anblick werde ich nie vergessen. Solche Reaktionen sehe ich nicht als Gewalt. Statt alles auf die Demonstranten zu schieben, sollten sich Verwaltungschefin Carrie Lam und Chinas Präsident Xi Jinping fragen, ob sie die Situation nicht auch durch politische Reformen hätten entschärfen können.

Auf welche Unterstützung hoffen Sie aus Deutschland?

Wong: Wegen des Brexit und des Chaos zwischen China und den USA hat China ein Interesse an einem engeren Bündnis mit Deutschland. Peking will seinen Einfluss immer weiter ausdehnen – auch auf europäische Länder.

Die Kanzlerin hat sich aber nicht mit Ihnen getroffen.

Wong: Ich hoffe durchaus, einmal mit dem Kanzleramt in Kontakt treten zu können, doch diesmal habe ich mich darauf konzentriert, bei den Parteien um Unterstützung zu werben. Daher haben wir gestern verschiedene Abgeordnete getroffen. Das ist von hohem Wert für uns.

Erwarten Sie mehr von Merkel? Bei ihrem Besuch in Peking hat Sie Hongkong immerhin öffentlich erwähnt.

Wong: Sie hat ihre Sorge über die Situation zum Ausdruck gebracht. Das ist schon etwas. Ich hoffe nun wirklich, dass eine Menschenrechtsklausel Teil der in Zukunft anstehenden Freihandelsgespräche zwischen der EU und China wird. Hongkong, eine der internationalsten Städte der Welt, droht ein Schlachtfeld zu werden, das von Tränengas eingehüllt ist. Wenn die chinesische Führung Truppen nach Hongkong schickt, dann bedroht sie nicht nur Hongkong. Xi droht damit letztlich der ganzen Welt mit seiner Macht.

Was ist Ihre künftige Rolle in diesem gewaltigen Ringen?

Wong: Am 24. November stehen bei uns Wahlen zu den Bezirksräten an. Ich spiele mit dem Gedanken, zusammen mit anderen Aktivisten zu kandidieren, aber es ist noch nichts entschieden. Es wird sich dann zeigen, ob Peking unsere Teilnahme gestattet oder uns unter einem Vorwand ausschließen lässt. Der Stimmenanteil des prodemokratischen Lagers wird auf jeden Fall zeigen, wie viel Unterstützung wir genießen.

Sie sind Aktivist, seit Sie 14 Jahre alt sind. Andere junge Leute in dem Alter spielen Computerspiele...

Wong: ...ich spiele auch Computerspiele!...

...während Sie komplett von der Politik vereinnahmt sind.

Wong: Tatsächlich wurde ich acht Mal verhaftet und musste dreimal ins Gefängnis. Das sieht erst einmal nach harter Unterdrückung aus. Aber mir ging es vergleichsweise gut. Ich habe insgesamt nur 120 Tage im Gefängnis verbracht. Im Vergleich zu (dem 28-jährigen Hongkonger Demokratie-Aktivisten, d.Red.) Edward Leung, der derzeit eine sechsjährige Gefängnisstrafe wegen Unruhestiftung absitzt, ist das wenig. Wirklich, ich zahle einen vernachlässigbaren Preis. Ich möchte die internationale Gemeinschaft bitten, eher auf unseren gemeinsamen Kampf für Demokratie zu achten als auf meine persönliche Gesundheit.

Sie vergleichen Hongkong mit dem geteilten Berlin während des Kalten Krieges. Können Sie die Parallelen noch einmal erklären?

Wong: Wie Berlin vor dem Mauerfall steht Hongkong an der Front eines Kampfs um die Freiheit. Bei allen Unterschieden handelt es sich um die Brennpunkte eines Konflikts entlang ähnlicher Linien: Unterdrückung gegen Demokratie.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort