CDU-Parteitag Hilferuf an die CDU-Familie

Essen · Bundeskanzlerin Angela Merkel bittet die Partei um Unterstützung für ein schwieriges Jahr und betont Gemeinsamkeiten mit der CSU - nicht alle Delegierten teilen dabei die Zuversicht ihrer Vorsitzenden.

 Dank für den Beifall nach der Rede: Angela Merkel in Essen.

Dank für den Beifall nach der Rede: Angela Merkel in Essen.

Foto: AFP

Sie wollen es wirklich. Und sie wollen sie wirklich. 70. Minute. Langsam steuert auch dieses Spiel seiner Endphase zu. Am Vorabend noch hat Angela Merkel in der Eventetage des Stadions Essen an der Seite von NRW-Landeschef Armin Laschet zur Einstimmung auf den kommenden Tag über Aufstieg und gute Parteitage nachgedacht. Aufstieg, das passt an diesem Ort „hier ganz in Stadionnähe“: Traditionsclub Rot-Weiß Essen, 1955 zum bisher einzigen Mal Deutscher Meister, spielt jetzt vierte Liga. Laschet sagt in Anspielung darauf, er wolle Nordrhein-Westfalen nach der Landtagswahl im kommenden Mai wieder nach oben führen – selbstredend als Ministerpräsident. Merkel, die Vorsitzende und Spielführerin, will Landeschef Laschet bei dessen Mission Wiederaufstieg der NRW-CDU an die Landesregierung unterstützen. Aber in dieser 70. Minute ihrer Rede wendet sich die CDU-Bundesvorsitzende sehr eindringlich in eigener Sache an die 1001 Delegierten des Essener Bundesparteitages: „Ihr müsst mir helfen.“

Ein Hilferuf an die Familie. Merkel hat am 20. November angekündigt, dass sie im kommenden Jahr bereit sei, in ihre dann vierte Kanzlerkandidatur zu gehen. „Du musst antreten“, erzählt Merkel auf der offenen Bühne der Messe Essen von zahlreichen Aufmunterungen und Bitten auf dem Weg zur Entscheidung für eine erneute Kandidatur. Die CDU-Chefin räumt ein: „Das hat mich sehr berührt.“ Das Gegenteil wäre auch reichlich merkwürdig gewesen, würde sie nach mehr als 16 Jahren an der Spitze ihrer Partei ein knappes Jahr vor der Bundestagswahl nicht zahlreich zur Kandidatur aufgefordert. Also: Merkel will es machen. Und sie verspricht, sie werde im Wahlkampf „alles einbringen, was ich kann, (…) alles, was in mir steckt“. Gleichzeitig räumt die CDU-Chefin als Zeichen der Versöhnung an Enttäuschte und Kritiker vor allem ihrer Flüchtlingspolitik ein: „Ich habe Euch auch einiges zugemutet, weil uns die Zeit einiges zugemutet hat.“

Das "C" im Parteinamen als besondere Verpflichtung

Einer, dem Merkel „einiges zugemutet hat“, ist Eugen Abler vom CDU-Kreisverband Ravensburg. Der Delegierte aus Bodnegg hält es mit Albert Einstein: „Ein Abend, an dem alle der gleichen Meinung sind, ist ein verlorener Abend.“ Abler hat in einigen Punkten eine völlig andere Meinung als Merkel. Das „C“ im Parteinamen müsse wieder in den Vordergrund gerückt werden. Die Vorsitzende soll es hören: Anerkennung der Homoehe, Quotenregelung oder „Verharmlosung der Islamisierung“ seien völlig falsche Signale – an Mitglieder wie an potenzielle Wähler. Denn: „Links gewinnen wir wenige Wähler, rechts verlieren wir viele.“ Das „C“, die liebe Vorsitzende möge es verinnerlichen, sei eine „besondere Verpflichtung“ – gerade für den Schutz ungeborenen Lebens und gegen Abtreibung. Merkel möge im kommenden Jahr mitmachen: beim „Marsch für das Leben.“

Dabei hat auch Merkel auf das „C“ im Parteinamen abgehoben, als sie betont, dass für die CDU das christliche Menschenbild unverändert Pfeiler ihrer Programmatik bleibe, ohne damit allerdings Vertreter des konservativen Flügels wie Abler zufriedenzustellen. Merkel sagt: „Der Zusammenhalt war immer die große Stärke unseres Landes.“ Von wegen „Verharmlosung“ der von Abler gefühlten Islamisierung Deutschlands. „Hier bei uns in Deutschland gelten die Gesetze unseres Landes.“ Und dazu gehöre auch: „Unser Recht hat Vorrang vor Ehrenkodex, Stammesregeln und vor der Scharia.“

Merkel nimmt den Parteitag in den 77 Minuten ihrer Rede mit auf eine Reise in eine reichlich komplizierte Welt. Die Welt sei „aus den Fugen“, sei der Eindruck vieler Menschen. Die Verhältnisse seien zunehmend „unübersichtlich“. Viele „neue Kraftzentren“ müssten sich erst einmal neu ausbalancieren – gerade nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten. Die CDU-Vorsitzende gibt vor, ihre Lektion aus der hohen Flüchtlingszahl in Deutschland im vergangenen Jahr gelernt zu haben: „Eine Situation wie die des Spätsommers 2015 kann, darf und soll sich nicht wiederholen. Das war und ist unser und mein politisches Ziel“, beteuert Merkel. Die CDU-Chefin ist dann gleich auf dem großen Krisenbogen unterwegs. Dass es bis heute nicht gelungen sei, wenigstens Hilfskorridore für die eingeschlossenen Menschen im Aleppo einzurichten – eine „Schande“. Finanzplätze bräuchten „Leitplanken“ und Regulierung, weil auch nicht einzusehen sei, dass internationale Großkonzerne kaum Steuern zahlten. Und der Regierung in Großbritannien dürfe nach dem „Brexit“ auch keine „Rosinenpickerei“ gestattet werden. Überhaupt sei Europa weiter „eine Frage von Krieg und Frieden“. 71 Jahre Frieden auf dem alten Kontinent seien nicht selbstverständlich.

Der Funke springt nicht über

Doch so richtig will der Funke in der ersten Stunde ihrer Rede nicht auf die Delegierten überspringen. Mitreißend ist Merkel nicht. Der frühere hessische CDU-Fraktionschef Christean Wagner will später von seiner Parteichefin beispielsweise wissen: „Mit welcher Strategie wollen sie den Abwärtstrend unserer Partei stoppen und die CDU wieder zu neuen parlamentarischen Mehrheiten führen?“ Dass es die CDU trotz ihrer Stärke in der Bundesversammlung nicht geschafft habe, einen eigenen Kandidaten für die Bundespräsidentenwahl aufzustellen, sei doch „bemerkenswert“. Wagner, Initiator des konservativen „Berliner Kreises“, beklagt den Verlust von sechs CDU-Ministerpräsidenten in den vergangenen Jahren. Andere Delegierte ärgern sich über die „Harmoniesoße“, die Merkel über der Partei ausschütte. Zugleich würden sie mit der Parteichefin gerne über „krachende Niederlagen“ bei diversen Landtagswahlen diskutieren. Doch da ist Merkel gerade nicht im Saal.

Merkel schafft es auf dem Weg zu ihrer neunten Wahl als Parteichefin nur zwei Mal erkennbar, den Nerv des Parteitages zu treffen. Zur Kommunikation in diesem Lande gehöre, „dass wir Gesicht zeigen“. „Deshalb ist die Vollverschleierung nicht angebracht. Sie sollte verboten sein, wo immer es geht“, greift Merkel einen zentralen Punkt des Leitantrages auf. Drei Minuten später trifft die CDU-Chefin ein zweites Mal ins Schwarze. Sie spielt auf die „Pegida“-Demonstrationen an und bekräftigt: „Wer das Volk ist, das bestimmt bei uns noch immer das ganze Volk, das bestimmen wir alle. Und nicht ein paar wenige, und mögen sie auch noch so laut sein.“ Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier sagt später mit Blick auf die rechtspopulistische Alternative für Deutschland: „So wie die waren wir nie. So wie die wollen wir nie werden.“

Merkel ist dann nochmal bei der Union, bei CDU und CSU. Der Chef der Schwesterpartei, Horst Seehofer, ist wegen des Zerwürfnisses in der Flüchtlingspolitik erst gar nicht Essen gekommen. Merkel beteuert, CDU und CSU blieben „geschlossen und gemeinsam, auch wenn unterschiedliche Auffassungen unterschiedliche Auffassungen bleiben.“ Aber es sei auch so, „dass uns so viel mehr verbindet als uns jemals trennen kann“. In Delegiertenreihe eins werden Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt und Generalsekretär Andreas Scheuer die frohe Kunde gleich nach München kabeln.

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