Der Bundesgesundheitsminister im Interview Hermann Gröhe: „Altenpfleger müssen mehr verdienen“

Um den Personalnotstand in Kliniken und Pflegeheimen zu beenden, soll der Dienst am Menschen besser vergütet werden, fordert Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe.

 Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU).

Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU).

Foto: dpa

Herr Gröhe, trotz guter Konjunktur steigen die Gesundheitskosten stärker als die Wirtschaft wächst. Müssen wir bald für die Gesundheitsversorgung viel tiefer in die Tasche greifen?

Hermann Gröhe: In den Jahren, in denen ich Gesundheitsminister bin, hat sich der Ausgabenanstieg deutlich abgeflacht. Er lag 2014 bei 5,7 Prozent und ist nun auf 3,6 Prozent gesunken.

Sie gelten als teuerster Gesundheitsminister aller Zeiten.

Gröhe: Das ist Quatsch. Und ich empfehle den Krankenkassen, nicht den Eindruck zu erwecken, als würden sie medizinischen Fortschritt und eine gute Versorgung ihrer Versicherten bedauern. Die Kassen haben behauptet, die Beiträge werden durch die Decke gehen. Auch hier sind sie mittlerweile zurückgerudert.

Es war das Wirtschaftsforschungsinstitut RWI, das Sie so titulierte. . .

Gröhe: Das macht es nicht richtiger. Klar ist: Eine Gesellschaft des längeren Lebens und medizinischer Fortschritt bringen auch höhere Kosten mit sich. Wir wollen auch in Zukunft moderne Medizin für jeden ermöglichen – unabhängig vom Geldbeutel. Die USA geben mehr als 17 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Gesundheit aus und versorgen die ärmere Bevölkerung schäbig. Wir geben elf Prozent aus und alle Menschen haben Zugang zu sehr guter Medizin.

Muss der Zusatzbeitrag von derzeit 1,1 Prozent 2018 steigen?

Gröhe: Die Krankenkassen stehen mit Finanzreserven von 17,5 Milliarden Euro gut da. Und das schafft gute Spielräume, ihre Versicherten mit hochwertigen Leistungen bei attraktiven Beiträgen zu unterstützen. Selbst die Krankenkassen rechnen 2018 nicht mehr mit einer Steigerung des durchschnittlichen Zusatzbeitrags. Sollten einzelne Kassen ihren Zusatzbeitrag dennoch erhöhen, haben die Versicherten die Möglichkeit, die Kasse zu wechseln.

Trotz Reformen herrscht in vielen Kliniken und Pflegeheimen Personalnotstand. Wann wird sich das bessern?

Gröhe: Die Weichen sind gestellt. In der Altenpflege haben wir mit fünf Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr eine spürbare Leistungsausweitung vorgenommen. Wir haben die Zahlung von Tariflöhnen in der Pflege gestärkt, unterstützen Pflegeeinrichtungen beim Bürokratieabbau und haben das Schulgeld für die Altenpflegeausbildung abgeschafft. Die schöne Nachricht ist: Mit aktuell 139.000 Pflegeschülern haben sich noch nie so viele für eine Ausbildung in der Kranken-, Alten- und Kinderpflege entschieden wie heute. Jetzt dürfen die Anstrengungen nicht nachlassen.

Es fehlen dennoch überall Pflegekräfte.

Gröhe: Deshalb haben wir gerade die Pflegeausbildung modernisiert, damit der Pflegeberuf attraktiver wird. Wichtig ist auch, mehr Pflegekräfte dafür zu gewinnen, von Teilzeit wieder in Vollzeit zu wechseln. Arbeitgeber und Kassen müssen mehr für die Gesundheitsförderung tun. Je besser das in Pflegeheimen und Krankenhäusern gelingt, desto geringer werden auch die Fehlzeiten des Personals sein. Und wir werden den Dienst am Menschen besser vergüten müssen: Altenpfleger müssen mehr verdienen.

Wie viel mehr müsste man den Pflegekräften zahlen?

Gröhe: Ich kann keine Tarifverhandlungen führen. Aber in der Altenpflege gibt es eine erhebliche Lohnspreizung: In Baden-Württemberg und Bayern verdient eine Altenpflegekraft nach neusten Zahlen im Schnitt 2900 Euro im Monat, in Sachsen Anhalt kommt sie nicht einmal auf 2000 Euro.

Sie haben zu Beginn des Jahres die Pflegeleistungen ausgeweitet und mehr Pflegestufen eingeführt. Wie viele Menschen profitieren?

Gröhe: Die besseren Leistungen kommen allen Pflegebedürftigen zugute. Wir rechnen mittelfristig mit 500 000 Menschen zusätzlich, die erstmals Leistungen erhalten. Auch der Anteil derer, die bei einem ersten Antrag Hilfe zugesprochen bekommen, ist von knapp 70 auf 80 Prozent gestiegen. Und an den steigenden Zahlungen sehen wir, dass die Leistungsverbesserungen bei den Pflegebedürftigen ankommen. Das ist eine gute Nachricht.

Reichen die geplanten Mittel?

Gröhe: Wir rechnen derzeit mit einem stabilen Beitragssatz bis 2022. Wir haben mit dieser Reform einen Kraftakt gestemmt, aber natürlich bleibt es eine Daueraufgabe, die Pflege zu stärken.

Wenn Pflegebedürftige einen Heimaufenthalt nicht selbst finanzieren können, werden teilweise Kinder zur Kasse gebeten. Braucht es dafür klarere Regeln?

Gröhe: Ja. Wenn Pflegeversicherung und Rente nicht ausreichen, um die Kosten einer Heimunterbringung zu tragen, dann muss es klare Grenzen geben, in welchem Umfang das Sozialamt Geld von den Kindern fordern darf. Wir wollen Kinder mit einem Bruttojahreseinkommen von bis zu 100.000 Euro vom Zugriff des Sozialamts freistellen und so vor Überforderung schützen. Gleichzeitig gilt, dass ältere Menschen kein schlechtes Gewissen haben sollten, wenn sie fürs Alter Gespartes dann auch tatsächlich einsetzen.

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