Nachruf auf Guido Westerwelle Gerade mal ein halbes Leben

Bonn · Mehr als 30 Jahre Politik, zehn Jahre FDP-Chef, vier Jahre Außenminister – Guido Westerwelle gehörte über Jahrzehnte zu den prägenden und am stärksten polarisierenden Gestalten der deutschen Politik. Seiner Partei verschaffte er ihren größten Erfolg und trug zu ihrer größten Niederlage bei.

In einem seiner letzten Interviews hat Guido Westerwelle gesagt: „Ich will nicht nur durchkommen. Ich möchte vollständig genesen.“ Und in einem anderen: „Aber das kann dauern.“ Es hat nicht sollen sein. Westerwelle musste sich wieder in die Klinik begeben – „Medikamentenumstellung“ hieß die Sprachregelung. Er sollte sie nicht mehr verlassen können. Gestern ist er in Köln gestorben.

Politik ist ihm, als er am 27. Dezember 1961 in Bad Honnef geboren wird, nicht in die Wiege gelegt, wohl aber Leistung. „Es gab eine gewisse Härte. Bei uns zu Hause wurden keine großen Gefühle gezeigt, weder vom Vater, noch von der Mutter. Es ging um Leistung“, sagt Westerwelle einmal. Die Eltern trennen sich, als er acht ist. Und es geht, damals noch und zunächst, ums Verstecken.

Das Schwulsein, so sieht es seine Mutter, werde sich schon noch „zurecht rütteln“. Tut es nicht. Vielmehr bekennt sich der junge Westerwelle bei der Musterung dazu – und wird ausgemustert.

Sein Anderssein, so schildert er es selbst, fordert noch mehr Leistung: „Ich kämpfte, so wie ich meine Eltern immer hatte kämpfen sehen.“ Und er hat Erfolg damit. Aus der Realschule wird dann doch das Gymnasium, das EMA in Bonn. „Du musst besser als die andern sein, dann kann dir keiner was.“

Westerwelle wird besser. Abitur 1980, im selben Jahr Eintritt in die FDP. Er studiert Jura, gründet die Jungen Liberalen, weil der bisherige Jugendverband der FDP ihm zu links ist. Liberal liegt ihm: „Das Liberale habe ich immer mit dem Leistungsprinzip verbunden. Dazu kommt die innere Liberalität, leben und leben lassen, das ist in mir drin. Dazu kommt das, was man Weltoffenheit nennt.“ Ein Dreiklang, der sein Leben bündelt: Leistung, Liberalität, Weltoffenheit.

Eigentlich will Westerwelle nur werden, was sein Vater ist: Rechtsanwalt. „Ich hatte immer den Petrocelli im Kopf, den Anwalt aus der Fernsehserie.“ Er geht auch für kurze Zeit in die Kanzlei seines Vaters. Aber er hat längst den Reiz der Macht entdeckt: „Es war wie so häufig im Leben. Mit zunehmendem Erfolg kam die Freude an der Arbeit und mit der Freude noch mehr Erfolg“, sagt er später, als er längst Außenminister ist.

Zunächst aber lenkt ein anderer Außenminister Westerwelles Leben in die Bahn, die sein Leben bestimmen sollte. 1994 holt ihn Klaus Kinkel als Generalsekretär der FDP ins Thomas-Dehler-Haus an der B 9, zwei Jahre später sitzt er im Bundestag. Wieder zwei Jahre später schreibt er sein erstes Buch: „Neuland“. Zitat: „Deutschland braucht einen Politikwechsel, keinen Regierungswechsel. Es ist der Wechsel zu weniger Staat.“ Sein Ruf verhallt zunächst ungehört. Rot-Grün kommt und mehr Staat.

Westerwelle versucht sein Glück weiter in der Opposition. Mit allen Mitteln. Kaum ist er 2001 mit 39 Jahren zum bis dahin jüngsten FDP-Vorsitzenden der Parteigeschichte gewählt, perfektioniert er eine Eigenschaft, die ihn schon als Generalsekretär ausgezeichnet hat: seine Forschheit. „Wenn ich mir manchmal nicht ganz sicher war, dann war ich forsch. Oft zu forsch. Weil ich oft unsicher war.“

Ein neuer Wahlkampfstil ist dafür der äußere Ausdruck. Westerwelle tourt mit dem blau-gelben Guidomobil durchs Land, schreibt auf seine Schulsohlen die „18“ als Wahlziel, geht als erster Politiker zu Harald Schmidt und in den „Big Brother“-Container und lässt sich zum Kanzlerkandidaten küren.

Nur einer treibt es noch greller: Jürgen Möllemann, ähnlich jung, nicht minder ehrgeizig. Als sich Möllemann 2003 das Leben nimmt, überlegt Westerwelle, mit der Politik aufzuhören. Im selben Jahr lernt er den Sportmanager Michael Mronz kennen und lieben, „den Mann meiner zwei Leben“, wie er später sagt.

Der politische Erfolg lässt auf sich warten. Bis 2009. 14,6 Prozent! Nie ging es der FDP besser. Selbst unter Ziehvater Hans-Dietrich Genscher nicht. Westerwelle hebt ab, Koalition mit der Union. Ziel: große Steuerreform. Daraus wird nichts. Er selbst begeht den Fehler, Außen-, nicht Finanz- und Wirtschaftsminister zu werden. Enttäuschung macht sich breit, Verluste bei Landtagswahlen. Nur zwei Jahre später muss er als Parteichef abtreten. Bleibt noch zwei Jahre Minister, bis die FDP an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert.

Kaum im Ruhestand die Krankheit, die ihn nicht mehr loslassen wird. Blutkrebs. „Wir haben gekämpft. Wir hatten das Ziel vor Augen. Wir sind dankbar für eine unglaublich tolle gemeinsame Zeit. Die Liebe bleibt.“ Darunter die Namen von Westerwelle und Mronz gestern auf der Homepage seiner Stiftung. „Zwischen zwei Leben“ heißt sein letztes Buch. Es wurde gerade mal ein halbes Leben.

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