Kommentar zur Kriminalstatistik Gefühle und Fakten

Meinung | BONN · Für ein genaueres Bild wären umfassende Lageberichte nötig, von denen die Polizeiliche Kriminalstatistik dann nur ein Teil ist, kommentiert Nils Rüdel.

 Horst Seehofer (CSU), Bundesminister für Inneres, Heimat und Bau.

Horst Seehofer (CSU), Bundesminister für Inneres, Heimat und Bau.

Foto: dpa

Jeder vierte Deutsche hat Angst, Opfer eines Verbrechens zu werden. Boulevardmedien sehen „Messer-Epidemien“, Politiker warnen vor „No-Go-Areas“. Und nun kommt Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und sagt: „Deutschland ist sicherer geworden.“ Er beruft sich auf die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) 2017, wonach die Zahl der Straftaten so niedrig ist wie zuletzt vor 25 Jahren.

Deutschland wird also statistisch gesehen immer sicherer, aber die Deutschen fühlen sich immer unsicherer. Zwischen diesen Welten bewegt sich eine zunehmend schrille Debatte, und es ist Zeit, die Gefühls- und die Faktenwelt wieder zusammenzubringen.

Wie aber steht es nun um die Sicherheit in Deutschland? Die PKS hilft hier wenig. Das Bundeskriminalamt weist selbst darauf hin: Die Zahlen geben nur Straftaten und strafbare Versuche wieder, die der Polizei bekannt sind und die sie verfolgt hat bis zur Übergabe an die Staatsanwaltschaft – das „Hellfeld“. Nicht erfasst ist das „Dunkelfeld“, also jene Fälle, die nie angezeigt wurden. Je nach Delikt gibt es erhebliche Unterschiede: Laut einer Studie des LKA Niedersachsen von 2017 werden nur fünf Prozent der Sexualdelikte angezeigt – bei Autodiebstahl sind es 95 Prozent. Außerdem steigt oder sinkt die Zahl der Straftaten mit der Zahl der Polizisten und der Anzeigebereitschaft der Bürger. Beispiel: Setzt ein Innenminister in der Stadt A mehr Beamte ein, wird es vermutlich auch mehr Anzeigen geben und folglich laut Statistik mehr Kriminalität – und umgekehrt.

Die PKS ist eben ein reiner Tätigkeitsnachweis der Polizei. Das ist nicht ihre einzige Schwäche. So sind auch die Angaben zur Nationalität ungenau: Bei deutschen Verdächtigen wird ein möglicher Migrationshintergrund nicht erfasst. Es fehlen Verstöße wie Verkehrsdelikte, Ordnungswidrigkeiten oder Steuerdelikte. Und: In der PKS werden nur Verdächtige erfasst. Ob die Staatsanwaltschaft diese wirklich anklagt und ob ein Gericht auch die Schuld feststellt – all das bleibt unberücksichtigt.

Und so kann jeder in der PKS lesen, was er haben will: Wird das Land durch den Zuzug von Migranten krimineller, wie es Rechte behaupten? Oder ist alles nicht so wild, wie Linke dagegenhalten? Argumenten von Politikern, die nur mit Zahlen der PKS argumentieren, sollte man misstrauen.

Für ein genaueres Bild wären umfassende Lageberichte nötig, von denen die PKS dann nur ein Teil ist. Das fordern Polizeigewerkschaften seit Jahren. Dazu gehören Dunkelfeldstudien und Berichte der Staatsanwaltschaften, was aus den Fällen wurde. Auch Daten über Präventions- und Integrationsarbeit gehören dazu.

Auf Grundlage dieser Daten könnten Bürger und Politik dann sachlicher und ehrlicher über die Probleme und Lösungsmöglichkeiten diskutieren. Es wäre ein Mittel gegen Hysterie – und ein Weg, den Widerspruch zwischen Gefühlen und Fakten aufzulösen.

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