Minister im Baltikum Gabriel: Zwei-Prozent-Ziel der Nato "völlig unrealistisch"

Tallinn/Riga · Die kleinen baltischen Staaten setzen sehr auf die Nato, zur Abschreckung Russlands und für mehr Sicherheit in der Welt. Der deutsche Außenminister bereist alle drei Baltenstaaten - und warnt davor, den Blick auf das Militärische zu verengen.

 Bundesaußenminister Gabriel zusammen mit seinem estnischen Amtskollegen Sven Mikser in Tallinn.

Bundesaußenminister Gabriel zusammen mit seinem estnischen Amtskollegen Sven Mikser in Tallinn.

Foto: Bernd von Jutrczenka

Im Streit um höhere Investitionen in das Militär hat sich Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) erneut vom Rüstungsziel der Nato distanziert. Sicherheit könne in dieser Welt nicht allein durch zusätzliche Verteidigungsausgaben gewährleistet werden, sagte der Vizekanzler in Estland.

Die Nato-Mitgliedstaaten hatten sich 2014 in Wales darauf verständigt, ihre Verteidigungsausgaben binnen zehn Jahren auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu steigern. Die USA pochen darauf, dass alle Länder mitziehen. Gabriel hält das Erreichen dieser Marke in Deutschland aber für unrealistisch.

Damit hatte er einen Streit mit dem Koalitionspartner ausgelöst. Kanzlerin Angela Merkel und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (beide CDU) sehen Deutschland beim Zwei-Prozent-Ziel in der Pflicht.

Von der Leyen reist am Donnerstag ebenfalls ins Baltikum. Estland, Lettland und Litauen gehören zu den größten Nato-Befürwortern. Sie sind wegen des russischen Vorgehens in der Ukraine besorgt um ihre Sicherheit.

Gabriel sagte, Deutschland dürfe sich einem größeren Beitrag zur europäischen Verteidigung nicht verweigern. Es sei aber "völlig unrealistisch", in Deutschland oder bei seinen Partnern den Eindruck zu erwecken, innerhalb von acht Jahren 30 Milliarden Euro zusätzlich in den deutschen Verteidigungshaushalt zu stecken, sagte er nach einem Treffen mit dem estnischen Außenminister Sven Mikser in der Hauptstadt Tallinn. Das seien zehn Prozent des Bundeshaushalts. Gabriel fügte an: "Es gibt kein apodiktisches Zwei-Prozent-Ziel." Bei ihrem Gipfel 2014 in Wales hätten die Nato-Mitglieder beschlossen, sich darum zu bemühen, in den kommenden zehn Jahren in Richtung der zwei Prozent zu gehen. Sie hätten aber nicht beschlossen, dass diese Marke auch von jedem Mitglied erreicht werden müsse.

Mikser äußerte Verständnis für Gabriels Position. Der Schritt, der zum Erreichen des Zwei-Prozent-Ziels getan werden muss, sei "sehr groß". "Es ist sicherlich nicht möglich, dies über Nacht zu erreichen." Grundsätzlich müsse Beschlüssen der Nato-Staaten aber nachgekommen werden. Estland gehört als direkter Nachbar Russlands zu den wenigen Bündnisländern, die bei den Verteidigungsausgaben den Nato-Zielwert erreichen.

Gabriel sicherte den Baltenstaaten die Solidarität und den Beistand Deutschlands zu. "Die Sicherheit Estlands, Lettlands und Litauens ist gleichbedeutend mit der deutschen Sicherheit", sagte der Bundesaußenminister in Riga. Sein lettischer Amtskollege Edgars Rinkevics würdigte Deutschland als wichtigen Verbündeten in der Nato und EU.

Gabriel warb für einen umfassenderen Sicherheitsbegriff. Der Fokus dürfe nicht allein auf dem Militärischen liegen. Es bedürfe auch an Anstrengungen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit, der Krisenprävention und im Kampf gegen Hunger. Gabriel sprach sich für eine kollektive Sicherheits- und Verteidigungsarchitektur in Europa aus, eine bessere Verzahnung der Fähigkeiten der einzelnen Länder.

Nach seinen Visiten in Estland und Lettland reiste Gabriel nach Litauen weiter. Nach eigenen Angaben suchte er sich die drei Staaten bewusst für seinen Antrittsbesuch in Osteuropa aus - als Signal zur stärkeren Einbindung kleinerer EU-Staaten, um dem Zusammenhalt der EU zu bewahren. Keinesfalls handle es sich dabei um ein "anti-polnisches Komplott", betonte Gabriel. Er werde kommende Woche zu seinem Antrittsbesuch nach Warschau reisen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort