„Wir sollten niemanden verloren geben“ GA-Interview mit Bundesjustizminister Heiko Maas

Bonn · Wenn ein SPD-Minister kurz vor der Bundestagswahl einen CDU-Kollegen lobt, dann ist das sicher ungewöhnlich – nicht so für Heiko Maas (SPD). Im Interview zeigte sich der Justizminister wenig wahlkämpferisch.

 „Wir dürfen unseren Rechtsstaat nicht kaputtsparen“, sagt Justizminister Heiko Maas.

„Wir dürfen unseren Rechtsstaat nicht kaputtsparen“, sagt Justizminister Heiko Maas.

Foto: Barbara Frommann

Warum werden der SPD immer noch viel weniger als der Union Kompetenzen bei der inneren Sicherheit zugeschrieben?

Heiko Maas: Das sind traditionelle Vorurteile. Wenn man sich ansieht, was wir als Justizministerium gemeinsam mit dem Innenministerium in dieser Legislaturperiode auf den Weg gebracht haben, sieht man, dass die SPD ihrer Verantwortung gerecht geworden ist.

Was meinen Sie konkret?

Maas: Wir haben uns weiter gegen die Bedrohung durch den Terrorismus gewappnet, bekämpfen die Kleinkriminalität, haben die Möglichkeiten der Polizei verbessert und unser Strafrecht verschärft, damit etwa Wohnungseinbruchdiebstähle härter bestraft werden können. Wir treten dafür ein, dass mehr Polizisten, Staatsanwälte und Richter eingestellt werden, damit unsere Gesetze auch konsequent angewandt werden können.

Das Duo Maas/de Maizière, das sich die Bälle zugespielt hat?

Maas: Es gibt schon einige Unterschiede zwischen uns und unseren Parteien. Aber wo es nötig war, zum Beispiel bei den Folgen der Kölner Silvesternacht, hat jeder im Rahmen seiner Verantwortung seinen Teil beigetragen. In der vorigen Wahlperiode haben sich Frau Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) und Herr Friedrich (CSU) gegenseitig blockiert. Deshalb ist viel liegen geblieben. Das war jetzt ganz anders.

Was ist noch zu tun?

Maas: Das größte Plus für mehr Sicherheit wird darin bestehen, die Polizei und die Justiz personell so auszurüsten, dass sie die Gesetze, die wir haben und die ausreichend sind, auch durchsetzen können. Denn die besten Gesetze nützen nichts, wenn sie nicht ordentlich vollzogen werden.

Haben wir mehr ein Vollzugsproblem als ein Gesetzesproblem?

Maas: Bund und Länder haben in den letzten zehn Jahren im Blick auf die Schuldenbremse zu viel Personal abgebaut. Jetzt stellt der Bund 3000 neue Stellen bei der Bundespolizei zur Verfügung, einige Länder beginnen auch, mehr Personal einzustellen. Da werden jetzt die Fehler der Vergangenheit korrigiert. Aber wir müssen auch weiterdenken und dafür sorgen, dass mehr Richter und Staatsanwälte da sind. Die Straftaten, die von Polizeibeamten aufgenommen werden, müssen auch vom Rechtsstaat konsequent verfolgt werden.

Maas: Das sollte mit Nachdruck verfolgt werden. Ich hoffe, dass wir in den kommenden drei Jahren schon eine spürbare Verbesserung erleben.

Machen Sie sich die Forderung des Richterbund-Präsidenten zu eigen, der sagt, der Rechtsstaat drohe zu scheitern, weil mehr als 2000 Planstellen für Richter und Staatsanwälte unbesetzt seien?

Maas: Ja. Die Funktionsfähigkeit des Rechtsstaats muss verbessert werden und das geht nur durch mehr Personal bei Staatsanwaltschaften und Gerichten.

Sehen denn auch die Finanzminister die Notwendigkeit für Investitionen in mehr Sicherheit?

Maas: Auch wenn es lange gedauert hat, inzwischen haben sie angefangen einzusehen, dass es das Vertrauen in unseren Rechtsstaat gefährdet, wenn Verfahren wegen Personalmangel in der Justiz eingestellt werden müssen. Das darf nicht sein. Wir dürfen unseren Rechtsstaat nicht kaputtsparen.

Was halten Sie von dem Projekt Gesichtserkennung?

Maas: Wenn die Software funktioniert, habe ich nichts dagegen, diese Technik an bestimmten Schwerpunkten einzusetzen, um Straftaten schneller und besser aufzuklären und zu verhindern, dass weitere begangen werden.

Ihnen wird viel Hass entgegengebrüllt. Woran liegt das?

Maas: Ich habe mich sehr früh klar gegen Pegida, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus geäußert. Weil ich finde, dass Hass erst im Kopf entsteht, habe ich mich auch so für das Netzwerkdurchsetzungsgesetz eingesetzt, um so dafür zu sorgen, dass die strafbaren Auswüchse von Hass und Hetze schneller aus dem Internet verschwinden. Das alles scheint vielen Rechtspopulisten und Rechtsradikalen nicht zu gefallen.

Ist mit diesen Menschen ein Dialog möglich?

Maas: Ich bin bereit, mit jedem über seine Kritik zu reden. Wir sollten niemanden verloren geben von jenen, die vielleicht unzufrieden sind oder bei denen aus Angst vor gesellschaftlichen Veränderungen Wut entsteht. Gegenseitige Beschimpfungen bringen uns nicht weiter. Den nationalistischen Hetzern muss man aber mit aller Klarheit gegenübertreten.

Die AfD wird bald im Bundestag sitzen. Wie sollen sich die etablierten Parteien ihr gegenüber verhalten?

Maas: Ob es uns gefällt oder nicht: Wenn die AfD in den Bundestag kommt, ist es das Wählervotum und dann ist das von allen anderen zu akzeptieren. Ich halte jede Sonderbehandlung, die der AfD zuteil wird, für problematisch, weil es der AfD die Möglichkeit gibt, sich selbst als Opfer zu stilisieren. Damit tut man ihr nur einen Gefallen. Man muss sich mit dem, was sie tut, sehr sachlich auseinandersetzen. In den Landtagen hat sie sich sehr schnell entlarvt und kaum Beiträge zur Lösung von Problemen geleistet.

Wenn die AfD im Wahlkampf provoziert, muss man das prominent ignorieren oder sich damit auseinandersetzen?

Ein Thema in der ablaufenden Wahlperiode war die Mietpreisbremse. Sie gilt als weitgehend wirkungslos. Was ist zu tun, um Mieter vor stark steigenden Mieten zu schützen?

Maas: Wir haben nie gesagt, dass die Mietpreisbremse allein in der Lage sein wird, den Anstieg der Mieten zu verhindern. Natürlich brauchen wir dafür mehr Wohnungen, um das Verhältnis von Angebot und Nachfrage zu verändern. Die Mietpreisbremse sorgt dafür, dass Exzesse – 30/40 Prozent Mietsteigerungen bei Weitervermietung – verhindert werden. Die Mietpreisbremse könnte ganz einfach scharf gestellt werden und viel besser wirken, indem der Vermieter verpflichtet wird, die Vormiete auszuweisen. Das aber hat die CDU/CSU leider nicht gewollt. Wir werden weiter dafür kämpfen.

Welche Möglichkeiten gibt es, in Ballungsräumen für mehr Entspannung auf dem Wohnungsmarkt zu sorgen?

Zum Dieselskandal: Die Besitzer der Dieselfahrzeuge bleiben vermutlich auf dem Wertverlust sitzen. Ist das eigentlich fair?

Was ist zu tun?

Facebook will in Essen ein Zentrum mit 500 Mitarbeitern aufbauen, um strafbare Inhalte im Netz schneller und konsequenter zu löschen. Sind Sie damit zufrieden?

Was können Sie gegen die Machenschaften der türkischen Regierung tun?

Wie sehen Sie die Zukunft des Regierungsstandorts Bonn?

Maas: Das Justizministerium hat nur noch vier Referate, deren Aufgaben in Berlin und Bonn wahrgenommen werden – die große Vielzahl der Referate sitzt ausschließlich in Berlin. Dafür arbeiten im Bundesamt für Justiz so viele Menschen wie nie zuvor, und das Amt wird noch weiter wachsen. Jährlich kommen neue Aufgaben dazu, jetzt zum Beispiel als Bußgeldbehörde für das Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Dafür wird jetzt neues Personal eingestellt; rund 40 Stellen zusätzlich sollen geschaffen werden. Mittlerweile sind es im Bundesamt an vier Standorten über 1000 Beschäftigte. Wir platzen aus allen Nähten und brauchen mehr Platz. Darüber hinaus sehe ich in Berlin derzeit keine Diskussionen darüber, dass sich am Status quo der Aufteilung der Regierungsstandorte irgendetwas ändern könnte.

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