Anstieg der Kriminalitätsrate Flüchtlinge werden öfter angezeigt

BERLIN · Einer niedersächsischen Studie zufolge steigt die Anzahl der Gewalttäter in jugendlichem Alter seit zwei Jahren wieder an. Dafür gibt es sehr unterschiedliche Gründe. Antworten auf die wichtigsten Fragen.

 Oft zum Nichtstun verurteilt: Junge Flüchtlinge in einer Erstaufnahmeeinrichtung.

Oft zum Nichtstun verurteilt: Junge Flüchtlinge in einer Erstaufnahmeeinrichtung.

Foto: dpa

In Deutschland macht sich beim Thema Gewalt eine gegenläufige Entwicklung breit. Während zwischen 2007 und 2015 die Anzahl der Gewalttäter in jugendlichem Alter um mehr als die Hälfte gesunken ist, steigt sie nach einer niedersächsischen Studie seit zwei Jahren wieder an. Verantwortlich dafür ist eine kleine Gruppe von Flüchtlingen – vor allem jene aus den nordafrikanischen Staaten Marokko, Algerien und Tunesien. In diesem Punkt decken sich die Daten der Studie, die der Kriminologe Christian Pfeiffer für das Bundesfamilienministerium erstellt hat, mit den Erkenntnissen des Bundeskriminalamtes.

Was hat zur Abnahme der Jugendgewalt zwischen 2007 und 2014 geführt?

Pfeiffer und seine Co-Autoren führen eine Reihe von Gründen an, warum die Gewaltdelikte in der Mehrheitsgesellschaft gesunken sind: Eine bessere Schulbildung der Jugendlichen, die immer häufiger gewaltfreie Erziehung der Kinder, emotionale Zuwendung für die Heranwachsenden und auch ein Rückgang des Alkoholkonsums bei den jungen Menschen zählen dazu. Die Jugendlichen untereinander verstärken die positiven Effekte: Wer keine Freunde hat, die zu Gewalt neigen, kommt auch selbst weniger in Versuchung.

Warum ist die Rate der Gewaltdelikte bei Flüchtlingen so hoch?

Dies liegt unter anderem daran, dass mehrheitlich junge Männer nach Deutschland geflohen sind. Die höchste Kriminalitätsrate bei Gewalt- und Sexualdelikten haben überall auf der Welt junge Männer. Die Flüchtlinge in Deutschland stammen überwiegend „aus muslimischen Ländern, die von männlicher Dominanz geprägt sind“, wie es in der Studie von Pfeiffer heißt. Zuwanderer aus solchen Kulturen hätten sogenannte gewaltlegitimierende Männlichkeitsnormen in weit höherem Maß verinnerlicht als gleichaltrige Deutsche.

Warum fallen Syrer, Afghanen und Iraker unterdurchschnittlich oft mit Straftaten auf, wie in der Studie zu lesen ist?

Die Autoren sehen einen Zusammenhang mit dem Aufenthaltsstatus: „Wer als Kriegsflüchtling kommt oder aus anderen Gründen für sich gute Chancen sieht, in Deutschland bleiben zu dürfen, wird bemüht sein, diese Aussichten nicht durch Straftaten zu gefährden“, heißt es in der Studie.

Werden Flüchtlinge häufiger angezeigt als Deutsche?

Ja. Dies ist ein zentraler Befund der Gewaltstudie. Demnach ist die Anzeigenbereitschaft der Opfer von Gewalttaten etwa doppelt so hoch, wenn Opfer und Täter sich vor dem Geschehen noch nie begegnet sind oder wenn sie verschiedenen ethnischen Gruppen angehören. Die Gewalttaten von Flüchtlingen würden etwa doppelt so oft angezeigt wie die deutscher Täter.

Kann ein verstärkter Familiennachzug die Kriminalitätsrate der Flüchtlinge senken?

Die Experten sind der Meinung, dass Frauen einen zivilisierenden Einfluss auf Söhne und Ehemänner haben. Doch vor dem Hintergrund, dass die Gewalttäter unter den Flüchtlingen aus bestimmten Staaten kommen, scheint die Ursache der Gewalt eher nicht in der An- oder Abwesenheit von Frauen zu liegen. Die in Berlin lebenden kriminellen arabischen Familienclans zeigen sogar, dass ein starker familiärer Zusammenhalt Kriminalität noch befördern kann. Es kommt wohl sehr auf die individuelle Konstellation an.

Wer wird Opfer der Gewalt durch Flüchtlinge?

In den Mordfällen, die sich ereignet haben, kommen die Opfer zu mehr als 90 Prozent aus den eigenen Reihen. In der Regel liegen religiöse, familiäre oder ethnische Konflikte in den Flüchtlingsunterkünften zu Grunde. Bei Raubdelikten hingegen sind zu 70 Prozent Deutsche die Leidtragenden.

Wäre es sinnvoll, bei jungen Flüchtlingen im Zweifel das Alter medizinisch zu ermitteln?

Eine genaue Bestimmung des Alters wäre hilfreich, meint das Bundeskriminalamt. Wer volljährig ist und straffällig wird, kann abgeschoben werden. Auch das Strafmaß ist bei Erwachsenen höher. Erwachsene Flüchtlinge landen zudem in einem anderen Umfeld als Jugendliche. Auch vor dem Hintergrund, dass es schon mehrere Mordfälle gibt, für die Flüchtlinge mit unklarem Alter verantwortlich gemacht werden, wäre eine Altersbestimmung notwendig. Allerdings ist es nicht ganz einfach das genaue Geburtsjahr exakt zu bestimmen.

Während sich die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer und auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (beide CDU) in Zweifelsfällen für eine ärztliche Untersuchung aussprechen, meldet die Ärzteschaft Bedenken an. Das Röntgen des Handgelenks ohne medizinische Notwendigkeit sei „ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit“, sagte der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery in mehreren Interviews.

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